Berlin. Das Hin und Her zwischen Sommer- und Winterzeit bringt uns aus dem Takt, sagt ein Chronobiologe. Zeitumstellung gehöre abgeschafft.

„Wer ständig Schuhgröße 40 trägt, aber eigentlich die 42 hat, macht sich die Füße kaputt“, sagt der Chronobiologe Professor Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ähnlich sei es, ständig gegen die innere Uhr zu leben.

Er plädiert für ein Schlafen und Arbeiten nach dem Biorhythmus. Das Gefühl, zu kurz, zu selten, zu unruhig zu schlummern, würde bei vielen verschwinden.

Herr Prof. Roenneberg, in der Nacht zu Sonntag wird die Uhr wieder um eine Stunde zurückgestellt. Was macht das mit uns?

Roenneberg: Dann können wir endlich wieder in der natürlichen Zeit leben, was viel mehr unserem biologischen Rhythmus entspricht. Daher muss dieser Unsinn mit der Umstellung zwischen Sommer- und Winterzeit endlich aufhören.

Immer mehr Menschen schlafen schlecht, berichten Ärzte. Warum?

Roenneberg: Oft hat das etwas mit unserer inneren Uhr zu tun, die eigentlich das Signal zum Schlafen und Aufwachen gibt. Bei vielen Menschen hat sie sich verschoben. Wir leben ständig unter unnatürlichen Lichtverhältnissen, bekommen tagsüber zu wenig Licht, nachts zu viel, vor allem von den Bildschirmen. Die Zeit, die wir draußen verbringen, ist über die letzten 20 Jahre messbar weniger geworden. Viele leiden daher ständig unter „sozialem Jetlag“.

Sie fühlen sich permanent wie nach einem Langstreckenflug durch mehrere Zeitzonen, weil Arbeit und Freizeit in einer anderen Zeitzone liegen als ihre innere Uhr. Das zeigt sich schon daran, dass 80 Prozent der Bevölkerung in Deutschland unter der Woche einen Wecker brauchen.

Was ist so schlimm daran, einen Wecker zu stellen?

Roenneberg: Wenn Sie einen Wecker brauchen, haben Sie schon ein Schlafproblem, weil Sie sich zum Aufwachen zwingen müssen. Unsere Studien haben gezeigt, dass die Deutschen mehr unter sozialem Jetlag leiden als etwa die Engländer. Deutsche gehen traditionell früh zur Arbeit. In England schlafen die Menschen heute durchschnittlich sogar länger als früher, weil mehr im Servicebereich statt im Schichtdienst arbeiten und das mehr zu ihrer inneren Uhr passt.

Wie kann das denn aussehen, arbeiten, leben und schlafen im Rhythmus der inneren Uhr?

Roenneberg: Das ist natürlich sehr komplex, weil viele auch eine Familie haben, in der es auch wieder verschiedene Chronotypen, Früh- und Spät­aufsteher, gibt. Generell sollte die Arbeit aber so flexibel wie möglich gestaltet werden. Der Arbeitgeber sollte eigentlich sagen: Komm zur Arbeit, nachdem du ohne Wecker aufgewacht bist, solange du acht Stunden arbeitest.

Davon profitiert er ja selbst. Er bekommt die beste Zeit seiner Mitarbeiter, die nicht erst zwei Stunden Kaffee trinken, um in die Gänge zu kommen. Die Mitarbeiter haben mehr Spaß bei der Arbeit, der Krankenstand geht runter. Wir müssen wegkommen davon, dass der persönliche biologische Rhythmus keine Rolle spielt.

Wie ist das beim Arbeiten im Schichtdienst?

Roenneberg: In solchen Firmen müssen ja mehr als acht Stunden besetzt werden. Da könnte man auf die Vielfalt an inneren Uhren innerhalb der Belegschaft zugreifen. Da gibt es genügend, die gern die frühen Schichten übernehmen, es aber furchtbar finden, nach 16 Uhr zu arbeiten. Und umgekehrt. In einer Studie haben wir Schichtarbeiter bei Thyssenkrupp chronotypisiert.

Die Frühtypen haben in den Morgenstunden gearbeitet, die Spättypen in der Nacht. Letztere konnten selbst die eigentlich unbeliebte Nachtschicht viel besser wegstecken und jeden Tag eine Stunde länger schlafen, als wenn sie zum Frühdienst angetreten wären. Der Frühtyp kann dagegen nach einer Nachtschicht oft nur zwei, drei Stunden die Augen zumachen, dann weckt ihn seine innere Uhr.

Darum ergibt die Zeitumstellung keinen Sinn

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    Dennoch wurde das System von Thyssenkrupp nicht übernommen. Warum nicht?

    Roenneberg: Weil Arbeitnehmer nur für die Nachtschicht Zuschläge erhalten. Das wollten die anderen nicht mitmachen. Dafür müssten sich die Gesetze ändern. Zuschläge müsste es dann geben, wenn man gegen seinen Chronotyp arbeitet.

    Wenn wir uns also mehr nach unserer inneren Uhr richten, sind alle Schlafprobleme vom Tisch?

    Roenneberg: Nein, es gibt noch andere Ursachen. Die innere Uhr mehr zu beachten, ist nur ein oft bereits hilfreicher Weg. Oft stecken auch psychologische Ursachen, vor allem Stress, oder zu wenig Bewegung dahinter. Wenn dann noch die Angst vor dem Nichtschlafen hinzukommt, geht’s gar nicht mehr mit dem Schlafen.

    Hier muss man versuchen, sich nicht verrückt zu machen und sich zu sagen, dass das vorbeigeht. Viel von dem Stress entsteht aber auch erst, wenn wir gegen unseren eigenen Biorhythmus leben.

    Viele haben jedoch das Gefühl, nicht genügend Zeit für ausreichend Schlaf zu haben.

    Roenneberg: Denen kann ich nur sagen, dass Schlaf eine der wichtigsten Aktivitäten überhaupt ist. Schlaf macht wach möglich. Manche glauben immer noch, dass Schlaf Zeitvergeudung sei. Man weiß aber inzwischen, dass Schlafentzug ähnlich wie Alkohol wirkt. Die Leistung bricht ein und die Leute merken es nicht.

    Der Staat hat große Kampagnen gestartet, um gegen das Rauchen anzugehen. Jetzt müsste er für den Schlaf werben. Schlafen muss wieder cool werden. Dann könnte er gleichzeitig viel Geld sparen. Die Folgeerscheinungen von Schlafmangel wie mehr Krankheiten, geringere Produktivität und mehr Unfälle werden auf zwei bis vier Prozent des Bruttoinlandproduktes geschätzt.

    Zum Beginn der dunklen Jahreszeit klagen die Menschen über noch mehr Müdigkeit. Was raten Sie?

    Roenneberg: Würdigen Sie das. Schlafen Sie, wenn es an den freien Tagen geht, etwas länger. Es gibt nichts Schöneres, als dass wir akzeptieren, dass jetzt die ruhigere Jahreszeit beginnt. Da sind wir alle etwas melancholischer. Das kann man ja auch zelebrieren mit Lesen, Kuscheln und Gesprächen und ein etwas anderer Mensch sein – statt zu versuchen, es zu bekämpfen und immer das Gefühl haben zu müssen, hip und hop zu sein. Nutzen Sie außerdem die kurzen Lichtzeiten. Gehen Sie während der Mittagspause raus, da haben Sie 10.000 Lux.