Berlin. Viele Informationen, viel Ablenkung – die große weite Welt ist einen Handgriff entfernt. Das hat Folgen fürs Gehirn, sagen Experten.
Ferienzeit ist Zeit zum Entspannen. Experten raten dazu, es in den Urlaubswochen daher auch mit einer Auszeit von Smartphone und Tablet zu versuchen – und ganz wörtlich einmal abzuschalten. „Es bringt enorme Vorteile, in seinem Leben digitalfreie Zonen zu schaffen“, sagt Bert te Wildt, Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen am Ammersee und Autor des Buches „Digital Junkies. Internetabhängigkeit und ihre Folgen“.
Was die Allgegenwärtigkeit von Kurznachrichten, sozialen Medien und Webseiten für Folgen hat, wird seit geraumer Zeit untersucht. Und es mehren sich die Hinweise, dass die ewige Flut an Informationen die Menschen auszehrt – und einige sogar überfordert und krank macht. „Unsere Zivilisation muss erst noch den richtigen Umgang mit den Versuchungen der Digitalgeräte finden“, glaubt te Wildt.
Digital Detox Fehlanzeige: Bei der Mehrheit ist das Smartphone nie aus
Vor zehn Jahren waren Smartphones als Massenprodukt noch praktisch unbekannt. Heute verbringen die Erwachsenen zwischen 18 und 49 Jahren im Schnitt gute zwei Stunden täglich mit dem Gerät, wie eine Studie des Mobilfunkanbieters Telefónica ergeben hat. Hinter dieser Zahl verbirgt sich jedoch eine wesentlich intensivere Nutzung: Für 78 Prozent der Befragten ist das Gerät nie aus, wird laufend abgefragt, meldet sich dauernd mit Signalen.
Eine Mehrheit legt das Smartphone in ihrer Freizeit maximal eine Stunde am Tag außer Reichweite ab. Forscher des deutschen „Menthal Balance“-Projekts, die über eine App das Verhalten von 60.000 Smartphone-Nutzern beobachten, haben herausgefunden, dass jeder Nutzer mittlerweile 88 Mal pro Tag auf das Smartphone schaut.
Die Jugendlichen verbringen sogar noch mehr Zeit mit ihren Handys als die Erwachsenen. Die tägliche Smartphone-Nutzungsdauer von 12- und 13-Jährigen hat sich im vergangenen Jahr um fast ein Viertel auf zwei Stunden 45 Minuten erhöht. Fast die ganze Altersgruppe ist davon betroffen: 97 Prozent der 12- bis 19-Jährigen besitzt ein Smartphone, wie die Studie zu Jugend, Information und Medien des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest zeigt.
Der Mensch lagert Wissen ins Internet aus
Dem abrupten Auftauchen des Smartphones als zentrales Technikgerät stehen zunehmend alarmierende Forschungsergebnisse zu dessen Auswirkungen gegenüber. „Der interaktive Charakter der Sozialmedien aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn“, sagt te Wildt. Die Beschäftigung damit könne daher zu einer regelrechten Sucht werden.
Ausgeklügelte Computerprogramme sorgen dafür, dass immer wieder interessante Inhalte erscheinen – das gilt für Videoseiten genauso wie für Facebook. Untersuchungen zur Gehirnaktivität zeigen, dass das „Pling“ oder die Vibration einer neuen Nachricht eine ganze Reihe von Prozessen im Gehirn auslöst.
Auch Professor Martin Korte sagt, „dass wir die digitalen Medien so einsetzen, dass wir unserem Gehirn keinen Gefallen tun.“ Der Neurobiologe aus Braunschweig beschreibt zwei weitere Folgen der Digitalnutzung: Zum einen lagere der Mensch Wissen ins Internet aus, zum anderen schrumpfe das Gedächtnis.
Wer mit Smartphone und Internet aufwächst, sagt Korte, denke kaum noch darüber nach, ob er die Antwort auf eine Frage selbst wisse. Er sinniere vielmehr darüber, wie und wo er die Antwort im Netz suchen könne. „Um eine Antwort als gut oder schlecht einschätzen zu könne, braucht es aber Vorwissen, dieses sammelt man nicht mehr“, sagt Korte. Und auch das sei bedenklich: Die digitale Welt beeinflusst das menschliche Arbeitsgedächtnis.
Smartphone verringert bei vielen Menschen die Konzentration
„Die Zeit, in der wir uns konzentrieren können, ohne uns abzulenken, wird kleiner“, erklärt Korte. Es gebe Untersuchungen, die zeigten, dass eine Reihe von Nutzern am Computer nur noch etwa 40 Sekunden konzentriert einer Sache nachgehen können, bevor sie sich ablenken lassen. „Und man kann erwarten, dass das nicht zu einer sinnvollen Arbeitsproduktivität führt“, sagt Korte, der auch Schulbehörden berät.
Tatsächlich kann schon die reine Anwesenheit des eigenen Smartphones auf dem Tisch die Denkfähigkeit deutlich verringern, wie ein Experiment der University of Texas in Austin (USA) gezeigt hat. Wenn das Gerät in der Tasche steckt, ist die Konzentration ebenfalls beeinträchtigt.
Erst, wenn das Gerät aus dem Raum entfernt wurde und damit komplett aus dem Sinn war, brachten die Teilnehmer der Studie volle Leistung. Volle Konzentration ist jedoch für Schule und Studium ebenso wichtig wie für Beruf und Freizeit. Psychiater te Wildt findet es daher schade, dass sich viele Menschen um die Chance betrügen, eine Aufgabe fokussiert durchzuziehen.
Eltern oft ein schlechtes Vorbild für die Kinder
Neurobiologe Korte ist davon überzeugt, dass die Erfindung des Smartphones dazu beigetragen hat, dass sich Menschen seit etwa zehn Jahren zunehmend überfordert fühlten von Informationen. Für ihn gibt es einen Zusammenhang. Dass es grundsätzlich abwärts geht mit Hirn und Konzentration, glaubt Korte allerdings nicht. Nicht die digitalen Medien seien Schuld an der Überlastung, sondern die Art ihrer Nutzung.
Bert te Wildt rät jedem, in Eigenverantwortung dafür sorge zu tragen, zumindest gelegentlich richtig zur Ruhe kommen zu können. Und er nimmt die Eltern in die Pflicht: Sie seien meist ein schlechtes Vorbild für die Kinder, weil sie selbst ständig am Handy hängen. „Das Bindungsverhalten schon der Kleinsten leidet, wenn sich Eltern mit dem Smartphone beschäftigen, statt sich ihnen zuzuwenden“, sagt te Wildt.
Es sei also schädlich, beim Schieben des Kinderwagens vor allem auf den Bildschirm zu schauen. Und auf langen Bahn- oder Autofahrten sei es besser, gemeinsam ein Hörspiel zu hören, statt die Kinder auf der Rückbank ständig mit digitalen Geräten ruhig zu stellen. Hier seien die Eltern gefragt, auch mal Nein zu sagen.
Größen der Technikindustrie wissen um negativen Folgen
Dass das Digitale negative Folgen haben kann, scheinen vor allem die Größen der Technikindustrie zu wissen. An den Privatschulen im Großraum des Silicon Valley in Kalifornien gilt in vielen Fällen ein Technik-Verbot. Microsoft-Gründer Bill Gates hat seine Kinder nach eigener Aussage so technikfrei wie möglich aufwachsen lassen.
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Seine Tochter erhielt ihr erstes Smartphone erst mit 14; Videospiele waren verboten. Der inzwischen verstorbene Apple-Chef Steven Jobs wiederum hat seinen Kindern keine iPads in die Hand gegeben, wie er der Zeitung „New York Times“ anvertraute.
Te Wildt findet es allerdings zynisch von den Internet-Entrepreneuren, einerseits Geld mit den Netzdiensten zu verdienen, andererseits ihre Kinder vor den Folgen zu schützen. Ein guter, bewusster Umgang mit den Geräten müsse auch in der Breite ankommen, findet er. (mit dpa)