Berlin. Millionen Frauen und Männer machen laute Atemgeräusche beim Schlafen. Experten warnen vor Verharmlosung.
Es gibt Theorien, die besagen, das Schnarchen habe einmal eine wichtige Funktion erfüllt. Als der frühe Mensch noch unter freiem Himmel nächtigte, habe das Geräusch die Aufmerksamkeit der Raubtiere auf die alten – und oft schnarchenden – Menschen gelenkt oder die Räuber gleich ganz abgeschreckt. Nein, sagt Dr. Michael Herzog.
Schnarchen habe keinerlei Nutzen. Weder früher noch heute. Im besten Fall sei es lästig, im schlimmsten stecke eine ernsthafte Erkrankung dahinter. Zwar sei die Gesellschaft in den letzten Jahren sensibler für das Thema geworden, „trotzdem wird es bagatellisiert“, sagt Herzog, Chefarzt an der Klinik für HNO-Krankheiten in Cottbus, der derzeit an einer neuen medizinischen Leitlinie zum Schnarchen mitarbeitet.
Das Problem beginnt schon bei der Definition. Bis heute gibt es keine festen Kriterien, ab wann man von Schnarchen spricht. „Letztlich ist es ein Atemgeräusch beim Schlafen“, sagt Professor Jörg Lindemann, Leiter des Schlaflabors der HNO-Klinik am Uniklinikum Ulm. „Aber ab wann ist es so laut, dass man es Schnarchen nennt?“ Hinzu kommt: Schnarchen allein ist keine Erkrankung.
Zahl schnarchender Männer liegt in Deutschland weit vor den Frauen
Entsprechend der Unschärfe in der Definition schwanken auch die Angaben zur Zahl der Betroffenen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin schnarchen 20 bis 46 Prozent der Männer im mittleren bis höheren Lebensalter. Doch es ist kein Männerproblem. Auch wenn das Klischee sagt: Er schnarcht, sie ist genervt.
Wie britische Forscher kürzlich herausgefunden haben, schnarchen 34 Prozent der britischen Frauen zwischen 25 und 34 Jahren und 31 Prozent der Männer in der gleichen Altersgruppe. Die Forscher führen das auf die gestiegene Zahl übergewichtiger Frauen in Großbritannien zurück.
Und obwohl die Zahl schnarchender Männer im mittleren Lebensalter in Deutschland weit vor den Frauen liegt, holen diese nach der Menopause auf. Kurz: Schnarchende Frauen sind nicht selten. Gleichzeitig gehöre das Schnarchen zu einem der größten Tabus, sagt Dr. Yael Adler.
Hinter dem Schnarchen kann eine ernsthafte Erkrankung stecken
Die Ärztin hat ein Buch über Körpertabus geschrieben („Darüber spricht man nicht“), und sie spricht auch in TV-Shows und Videoclips darüber. „Ich habe festgestellt: Die Menschen sind bereit, über alles zu sprechen. Verdauungsprobleme, Geschlechtskrankheiten. Beim Schnarchen ist es nahezu unmöglich, einen Protagonisten zu finden.“
Doch das Problem hinter der Schlafzimmertür zu verstecken, birgt Risiken. Denn hinter dem Schnarchen kann eine ernsthafte Erkrankung stecken. Die häufigste ist das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS), das dem Körper Schwerstarbeit abverlangt.
Bei einer Apnoe erschlafft die Muskulatur der oberen Atemwege. In der Folge schrumpft der Schlund auf einen geringeren Durchmesser und hat weniger Raum, um die eingeatmete Luft durchzulassen. „Wir können aber dauerhaft nicht weniger atmen und auf die benötigte Menge Sauerstoff verzichten“, erklärt Herzog, „also müssen wir uns stärker anstrengen.“
Durch diesen verstärkten Sog beim Atmen zieht es den Rachen noch mehr zusammen, bis er komplett verschlossen ist – der Mensch kann nicht mehr atmen, die Sauerstoffsättigung im Blut sinkt, der Kohlendioxidgehalt (CO2) steigt. Ist der CO2-Gehalt im Blut zu hoch, wird der Mensch ohnmächtig. „Um das zu verhindern, strengt sich der Körper noch mehr an und schlägt Alarm“, sagt Herzog.
Betroffene erwachen am Morgen häufig mit Kopfschmerzen
„Das geht mit einem leichten Aufwachen einher, die Muskelspannung nimmt zu, der Schlund öffnet sich mit explosionsartigem Schnarchen, und wir können wieder atmen.“ Ein nächtlicher Dauerlauf für den Körper. Die gesundheitlichen Folgen können schwerwiegend sein.
Betroffene sind chronisch erwachen am Morgen häufig mit einem dumpfen Kopfschmerz, ausgelöst durch den Sauerstoffmangel, sie schwitzen im Schlaf viel und müssen nachts häufiger auf die Toilette, weil das Herz nicht mehr richtig arbeitet. Langfristig hätten Betroffene ein erhöhtes Risiko für Libidoverlust, Herzinfarkt und Schlaganfall.
Auch äußerlich machten sich nächtliche Atemaussetzer bemerkbar, sagt die Hautärztin Yael Adler. Denn die Haut sei ein Netzwerkorgan. „Durch die Anstrengung in der Nacht schüttet der Körper die Stresshormone Cortisol und Adrenalin aus“, sagt Adler.
Auf Dauer führe das zu Haarausfall, öliger Haut und Pickeln. „Menschen, die nicht gut schlafen, altern außerdem schneller. Denn die Reparaturmechanismen der Haut laufen in der Nacht, im Schlaf, ab“, sagt Adler.
Konsum von Alkohol oder Schlafmedikamenten sind Risikofaktoren
Wie viele Menschen in Deutschland von einem therapiebedürftigen obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom betroffen sind, weiß man nicht genau. Daten aus Skandinavien und den USA legen nahe, dass es fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung sein könnten.
Derzeit würden Studien ausgewertet, um auch für Deutschland belastbare Zahlen zu haben, erzählt Herzog. Erste Ergebnisse könnte es bald geben. Auch die Ursachen für eine Apnoe sind noch nicht ganz geklärt.
„Bei etwa einem Drittel ist es einfach anatomisch bedingt“, sagt Herzog. Eine zu große Zunge, zu große Mandeln oder ein zu enges Gesichtsskelett. „Man vermutet außerdem neurologische Ursachen, die den Spannungszustand der Rachenmuskulatur beeinflussen“, sagt Herzog.
Grundsätzlich kann aus jedem Schnarcher ein Apnoiker werden. Und zum Schnarcher kann jeder werden, dessen obere Atemwege verengt sind. Zu den Risikofaktoren für das Schnarchen gehören außerdem der Konsum von Alkohol oder Schlafmedikamenten, die entspannend auf die Muskeln wirken, und Übergewicht: „Wer am Bauch ansetzt, setzt auch unter den Schleimhäuten im Rachen Fett an – der Schlund wird enger“, sagt Herzog.
Wie kann ich selbst, wie kann der Partner schlafen?
Für die Behandlung des Schnarchens gibt es viele Optionen: Seitenliegekissen, Rückenlageverhinderungswesten, Bissschienen, Schlaf-Apps, Atemmasken, die Implantation eines Zungenschrittmachers, operative Straffung der Gaumensegel, die Entfernung der Mandeln oder Polypen.
„Weil wir nicht immer wissen, wo und wann das Schnarchen und die Apnoe entstehen, ist die Behandlung manchmal schwierig“, sagt Jörg Lindemann. „Auch weil die Behandlung des Schnarchens ja zu einem bestimmten Zeitpunkt des Lebens stattfindet. Der Mensch verändert sich“, sagt Lindemann. „Die Atemwege werden schlaffer, die Menschen schwerer, die Muskeln sind nicht mehr so kräftig.“
Gerade wegen des oft vielseitigen Krankheitsbilds und der unterschiedlichen Therapieoptionen rät Yael Adler den Patienten, interdisziplinären Rat einzuholen: bei Schlafmedizinern, HNO-Ärzten, spezialisierten Zahnärzten, Kardiologen und Neurologen.
Kann dann ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom als Ursache für das Schnarchen ausgeschlossen werden, sei die wichtigste Frage laut Jörg Lindemann: Wie kann ich selbst, wie kann der Bettpartner schlafen? Denn auch wenn Schnarchen allein keine Erkrankung ist, es kann herausfordernd sein.