Washington/Hamburg. Forscher haben Gravitationswellen aus dem All nachgewiesen. Wissenschaftler aus Hamburg beteiligt. Beweis für Einsteins Theorie.
Es ist eine neue Ära in der Astronomie: Erstmals haben Weltraumforscher die von Albert Einstein vor 100 Jahren vorhergesagten Gravitationswellen nachgewiesen. Die Wellen entstehen insbesondere, wenn große Objekte beschleunigt werden, zum Beispiel bei der Explosion eines Sterns am Ende seines Lebens. Sie stauchen und strecken den Raum. Die Gravitationswellen breiten sich in alle Richtungen aus und verbiegen den Raum, ähnlich wie ein ins Wasser geworfener Stein die Oberfläche. Experten sprechen von einer Physik-Sensation. Denn Wissenschaftler können die Gravitationswellen als Boten aus dem Weltall nutzen und hoffen auf völlig neue Entdeckungen im Weltraum.
Es war der 14. September 2015, an dem die Raumzeit erzitterte: Zwei Schwarze Löcher in einer fernen Galaxie, rund 1,3 Milliarden Lichtjahre von der Erde, waren miteinander verschmolzen. Das kosmische Beben, das von diesem gewaltigen Ereignis ausgelöst wurde, passierte die Erde diesmal nicht unbemerkt wie sonst. Im Spezialobservatorium Ligo im Norden der USA schlugen zwei gerade fertiggestellte Detektoren für Gravitationswellen an – noch bevor ihre offizielle Beobachtungszeit überhaupt begonnen hatte.
Ligo steht für Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorium. Es wurde gebaut, um den Nachweis von Gravitationswellen zu erbringen: Ligo lauscht mithilfe eines hochempfindlichen Lasersystems nach den Schwingungen aus dem All. Das Observatorium besteht aus zwei jeweils vier Kilometer langen, schnurgeraden Röhren, die im rechten Winkel zueinander angeordnet sind. Im Inneren vermessen Präzisionslaser kontinuierlich die Längen der beiden Röhren. Treffen Gravitationswellen diese Anlage, stauchen und strecken sie die Arme unterschiedlich um winzige Beträge. Das Lasersystem erfasst dabei Längenänderungen, die rund zehntausendmal kleiner sind als ein Wasserstoffatomkern. So gelang den Astrophysikern vom Ligo-Observatorium ihre nobelpreisverdächtige Entdeckung, die sie am Donnerstag in Washington präsentierten.
„Wir hatten unglaubliches Glück“, berichtete Bruce Allen, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam und Hannover, das Technologie zu dem Ligo beigetragen hat und wo dieses Signal zuerst bemerkt worden war. „Die verschmelzenden Schwarzen Löcher haben die beiden Arme um maximal zwei Attometer gestaucht und gestreckt, das ist rund tausendmal weniger als der Durchmesser des Wasserstoffatomkerns.“ Das Signal erschien klar und deutlich auf den Monitoren der Forscher. Dabei sollte Ligo, das aus zwei nahezu identischen Detektoren mit 3000 Kilometern Entfernung in Hanford (Washington) und Livingston (Louisiana) besteht, eigentlich erst vier Tage später mit den eigentlichen Beobachtungen beginnen. Die technischen Vorbereitungen waren gerade abgeschlossen. „Es war der erste Tag, an dem die Detektoren gleichmäßig stabil gelaufen sind“, erzählt Prof. Karsten Danzmann, Max-Planck-Direktor aus Hannover.
Der Nachweis bestätige 100 Jahre nach der Vorhersage durch Albert Einstein nicht nur die Existenz der Gravitationswellen. „Wir haben auch die Existenz von Doppelsystemen aus zwei Schwarzen Löchern bewiesen, zwei Entdeckungen auf einen Streich“, so Bruce Allen. Solche Doppel-Schwarze-Löcher ließen sich nicht auf anderem Weg als mit Gravitationswellen nachweisen.
Damit habe eine neue Ära in der Astronomie begonnen, betonten die Forscher. „Wir haben eine neue Art Teleskop gebaut und ein völlig neues Feld eröffnet. Es ist der Anfang dessen, was manche als Gravitationswellenastronomie bezeichnen“, sagte einer der Gründungsväter des Ligo, Prof. Rainer Weiss vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Erstmals ließen sich nun Supernova-Explosionen, kreisende Neutronensterne oder verschmelzende Schwarze Löcher – vor allem solche massereichen Objekte also – über Gravitationswellen beobachten, sagte Alessandra Buonanno, Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam.
Hamburger erforschen, wie man die Gravitationswellendetektoren verbessern kann
„Das ist eine Entdeckung von historischem Ausmaß. Ich würde es vergleichen mit der Erfindung des ersten Glasteleskops von Galileo Galilei vor 400 Jahren“, sagte auch Prof. Roman Schnabel vom Institut für Laserphysik an der Universität Hamburg, der mit fünf Wissenschaftlern aus seiner Arbeitsgruppe an der Entdeckung beteiligt war. „Wir werden mit dem Gravitationswellendetektor Dinge im Universum beobachten können, die mit bisherigen Teleskopen nicht zu erkennen sind, wie zum Beispiel Schwarze Löcher. Anhand von Gravitationswellen haben wir jetzt gesehen, dass es Schwarze Löcher tatsächlich gibt. In den nächsten Jahrzehnten werden wir Dinge sehen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können, und wir werden, so unsere Hoffnung, verstehen, wie das Universum entstanden ist“, sagt Schnabel. Er und seine Hamburger Kollegen erforschen, wie man die Gravitationswellendetektoren noch weiter verbessern kann. „Die von uns entwickelte Technologie ist dafür geeignet, in den amerikanischen Detektor eingebaut zu werden“, sagte Schnabel.
Seit über 50 Jahren suchen Physiker einen direkten Beweis. Alle vermeintlichen Erfolgsmeldungen entpuppten sich bisher als haltlos. Dennoch gab es kaum Zweifel an der Existenz der Wellen: 1974 hatten die beiden US-Astronomen Russell Alan Hulse und Joseph Taylor ein Doppelsystem aus zwei besonderen Neutronensternen entdeckt, die sich eng umkreisen. Ihre Umlaufzeit nimmt langsam ab, was sich exakt mit dem Energieverlust durch Gravitationswellen erklären lässt. Für diesen indirekten Nachweis bekamen sie 1993 den Physik-Nobelpreis.
Den Analysen der Wissenschaftler zufolge hat sich die Verschmelzung der beiden Schwarzen Löcher in etwa 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung in einem Gebiet am Südhimmel in Richtung des Sternbilds Schwertfisch ereignet. Ein Lichtjahr ist die Distanz, die das Licht in einem Jahr zurücklegt, etwa 9,5 Billionen Kilometer. Die beiden Schwarzen Löcher hatten 29- und 36-mal so viel Masse wie unsere Sonne.
Bruce Allen: „Albert Einstein hat nicht geglaubt, dass man Gravitationswellen jemals nachweisen können wird, und er hat nicht an Schwarze Löcher geglaubt. Ich denke, er würde sich freuen, dass er in beiden Punkten unrecht hatte.“