Die Villa Linari in Flottbek wurde mit dem Architekturpreis der Reiners Stiftung ausgezeichnet. Überzeugt haben die Juroren Formensprache und Energiekennwerte des Gebäudes, in dem nur hochwertige Materialien zum Einsatz kommen.
Ist die Villa als baukünstlerische Aufgabe heute noch wichtig und zeitgemäß? „Auf jeden Fall!“, sagt der Hamburger Architekturexperte Holger Reiners, dessen Stiftung in diesem Jahr einen Architekturpreis für die schönsten Villen ausgelobt hat. „Von wo, wenn nicht von der Hochkultur des Bauens sollen die Impulse kommen, die dann in einem anderen Maßstab wieder Anregung für das Bauen auch mit kleinem Budget abgeben?“ Zu den von seiner Stiftung ausgezeichneten Villen gehört auch die Villa Linari in Flottbek. Woher der Name? „Das ist der Name eines Örtchens in der Toskana“, antwortet Bauherr Rainer Diersche.
Der kubische Bau sollte sich perfekt in die Umgebung einfügen
Der Produktdesigner, der erlesene Raumdüfte vertreibt, hat augenscheinlich ein Faible für anspruchsvolle Architektur und hochwertiges Design. Seine Vorstellungen vom zukünftigen Traumhaus waren sehr konkret: Er wollte einen zeitlosen kubischen Bau mit einer starken Ausstrahlung, der sich formal an das Bauhaus anlehnt und der in seiner Formensprache auf das Wesentliche reduziert und dabei an heutige Bedürfnisse angepasst ist. Zudem war es ihm wichtig zu beweisen, dass auch eine Villa durch die Nutzung regenerativer Primärenergie energiesparend sein und nachhaltig gebaut werden kann. Und schließlich sollte sich sein Bau in die durch Einfamilienhäuser mit Walmdächern und Klinkerfassaden aus den 1920er-Jahren geprägte Umgebung perfekt einfügen.
Den passenden Architekten fand er in Thomas Dibelius. „Die Planungsphase für diese Villa hat fast drei Jahre gedauert. Das lag einerseits daran, dass von der Bodenfliese über das BUS-System für die intelligente Haussteuerung bis hin zu den Türklinken alles individuell geplant wurde. Andererseits musste die Baugenehmigung hart erkämpft werden, denn die Straße, an der die Villa entstehen sollte, steht unter Ensembleschutz“, erklärt der Hamburger Architekt. Eine deutliche Hommage an die benachbarten Rotkliner-Häuser ist daher der anthrazitfarbene Klinker, den der Bauherr in Dänemark entdeckt hat. Die einzelnen Steine sind außergewöhnlich flach und breit. Außerdem haben sie eine lebendige raue Oberfläche mit gold schimmernden Einschlüssen sowie eine unterschiedlich dichte Besandung. „Wir haben die Grundfarbe des Steins, den Anteil der Einschlüsse und den Grad der Besandung direkt auf der Baustelle vor Ort bemustert. Die Klinker wurden anschließend im Werk speziell für dieses Haus angefertigt“, sagt Thomas Dibelius.
Dass Rainer Diersche sich der Perfektion und der Liebe zum Detail verschrieben hat, wird bei dem Bau sehr deutlich. Die Griffe für die deckenhohen Türen hat der bekennende Ästhet und Liebhaber italienischen Designs nach seinen Zeichnungen anfertigen lassen. Und für einen Teil der Möbel hat er sogar ein eigenes Stoffkonzept entworfen: So haben die Betten und Sofas alle einen Bezug aus hellem Filz. Die motorisierten, bis zu fünf Meter breiten, bodenbündigen und dreifach verglasten Fenster sowie Glasschiebetürenelemente wurden aus der Schweiz angeliefert. Das Besondere daran: Nur ein Hauch von Rahmen fasst die Verglasung ein, wodurch ein fließender Übergang in den Garten und auf die große Terrasse geschaffen wird. Und auch nach dem passenden Ecksofa für den lichtdurchfluteten Wohnbereich hat Diersche lange gesucht: Vier Jahre zogen ins Land, bis die Entscheidung für ein Modell von B&B Italia gefallen war.
Die repräsentative Villa hat die Grundform eines einfachen Quaders mit 40 Prozent verglaster Fassade. Während sich der Bau zur Straße hin eher geschlossen zeigt, erscheint er zum Garten hin leicht und offen. Die Wohnfläche auf drei Ebenen beträgt rund 400 Quadratmeter, wobei jeder Quadratmeter in seinen Funktionen perfekt durchdacht wurde. Dazu kommen ein Keller mit Sauna und eine Tiefgarage mit fünf Stellplätzen.
Wenn der Hausherr die 54 Stufen bis ganz nach oben nicht zu Fuß gehen will, kann er alternativ auch in den Aufzug steigen, der vom Untergeschoss bis ins obere Staffelgeschoss fährt. Dieses nutzen der Bauherr und seine Lebensgefährtin vorzugsweise für ihre Gäste oder an den Wochenenden. „Das ist dann hier oben für uns wie Urlaub machen“, schwärmt Diersche. Einer seiner bevorzugten Rückzugsorte ist die große vorgelagerte Dachterrasse mit Blick ins Grün der Nachbarschaft.
Besonders spannend ist der Kontrast zwischen der Außenhülle der Villa und dem nahezu flächenbündigen Innenausbau, der bis auf die Bäder komplett in Weiß beziehungsweise in sehr hellen Tönen gehalten ist: von der modernen Strato-Küche mit ihren weißen Lackfronten über die großformatigen italienischen Kalksteinfliesen sowie die darauf abgestimmten, geölten und gebürsteten Eichendielen bis hin zu den schneeweiß geputzten Wänden und den Lackflächen der Einbauschränke im ganzen Haus, die wie Wände wirken. Analog dazu sind auch die Farben der Möbel,Gardinen und Teppiche auf wenige helle Farbnuancen beschränkt.
Alle Blicke auf sich zieht auch der offene Kamin im Wohnbereich, vor dem zwei Designer-Lounge-Chairs, Modell Shrimp von COR, stehen. Der Kamin ist nicht nur ein prägendes, Raum bildendes Element, sondern Sichtschutz zum Nachbarn. Der Kaminblock ist ebenfalls aus den dänischen Ziegeln der Fassade gemauert – eine gelungene Liaison zwischen innen und außen.
Mit Erdwärmesonden setzt das Haus auch im Bereich Technik Maßstäbe
„Das Erdgeschoss wurde bis auf drei untergeordnete Nebenräume als ein offener und fließender Raum mit mehrfach abgestuften Raumübergängen konzipiert“, erläutert der Architekt. Von der zweigeschossigen Empfangshalle, die um die Mittelachse des Hauses angeordnet ist, führt eine filigrane Holztreppe, deren Handlauf elegant in die Wand eingelassen wurde, ins Obergeschoss. Dieses beherbergt ein großzügig gestaltetes Büro, ein Vollbad mit allen Extras, einen separaten Ankleideraum sowie ein Schlafzimmer, das sich auf Wunsch per Knopfdruck komplett verdunkeln lässt.
„Die Wärmeerzeugung erfolgt durch geothermische Bohrsonden in Verbindung mit einer Wärmepumpe“, sagt Rainer Diersche. Im Winter werde die Villa über die Erdwärmesonden mit einer Fußbodenheizung beheizt. Im Sommer kommt das System zur Kühlung des Gebäudes mit kaltem Wasser zum Einsatz. Somit überzeugt das Haus nicht nur optisch, sondern auch in Bezug auf Nachhaltigkeit.
In dem Buch „Die Villa heute – Baukultur und Lebensart“ stellt Holger Reiners die 25 gelungensten Villen von Architekturbüros vor, die sich um den Architekturpreis der Reiners Stiftung beworben haben. Sämtliche Bauwerke sind durch ausführliche Texte, Bilder und Grundrisse dokumentiert.
„Die Villa heute – Baukultur und Lebensart“,
erschienen bei DVA Architektur, 272Seiten,
ISBN: 978-3-421-03950-7, 69,99 Euro