Hamburg. In Langzeitbeziehungen kann die Lust auf Intimität deutlich abnehmen. Eine Sexualcoachin erklärt, wie Sie Ihre Sexualität neu beleben.
Wer kennt es nicht: Die Verliebtheitsphase lebt in den meisten Beziehungen davon, dass Partner ihr Schlafzimmer am liebsten gar nicht mehr verlassen wollen. Doch mit der Zeit werden die romantischen Küsse, lange Kuscheleinheiten und gefühlvolle Berührungen immer weniger und in die Beziehungen schleicht sich immer mehr Alltagsroutine ein. Eine Sexualexpertin erklärt, wie Paare ihre Sexualität intensivieren können.
Leidenschaft in Beziehungen: Warum schwindet sie?
Die Sexualität gehört in Partnerschaften zu den häufigsten Problemen – das geht aus einer Langzeitstudie aus dem Jahr 2016 hervor. Die Leidenschaft nimmt in Langzeitbeziehungen meistens ab, die Partner finden einander nicht mehr so attraktiv wie früher und der Alltag nimmt die Oberhand – das scheint in den meisten Partnerschaften ähnlich zu verlaufen. Einer Studie der Universität Göttingen von 2015 zufolge gab mehr als die Hälfte der Befragten an, maximal einmal in der Woche Geschlechtsverkehr zu haben. 17 Prozent der Studienteilnehmer gaben sogar zu, im letzten Monat keinen Sex gehabt zu haben.
Wie erklärt sich die schwindende Leidenschaft? Stress, Alltagssorgen, keine Zeit können einige der Gründe sein. Wohnt man schon länger zusammen, finden auch viele, dass es sich dabei um eine natürliche Entwicklung handelt, wenn man mit der Zeit weniger Sex hat. Doch Maria Kehr, Conscious Sexuality Coach aus München, sieht die Ursachen woanders. Ihre langjährige Erfahrung zeigt, dass die üblichen Erklärungen nicht unbedingt der Realität entsprechen. „Nicht zu viel Nähe ist das Problem, sondern ein Mangel an echter Intimität“, sagt die Sex-Expertin. „Unsere Körper und Köpfe sind voller Anspannung. Das verhindert Nähe und Intimität, auch wenn wir uns danach sehnen“, erklärt sie.
Laut Kehr fehle es in vielen Beziehungen an echter Intimität. Dazu kämen häufig unrealistische Erwartungen und ein hoher Leistungsdruck. Statt den eigenen Körper als eine Lustquelle zu sehen, neigten Menschen eher dazu, nach vermeintlichen Mängeln ihres Aussehens zu suchen und sich selbst zu kritisch zu betrachten.
Lustlosigkeit: Was können Paare dagegen tun?
Laut Maria Kehr gibt es etwas, was Paare gegen nachlassende Lust tun können – und zwar, sich auf die Sinnlichkeit konzentrieren. Kehr erklärt: „Sinnlichkeit ist frei von Leistungsdenken. Sie hat kein Ziel und ist bedingungslos“. Oft setzen sich Partner unter enormen Druck und haben so hohe Erwartungen, dass sie die Intimität gar nicht mehr genießen können.
Doch erst, wenn Menschen aufhören, Sex wie einen Leistungssport zu sehen, können sie sich auf echte Empfindungen einlassen. Die Sexualcoachin betont: „Erst wenn wir uns sicher und entspannt fühlen, ist der Körper bereit, sinnlich-sexuelle Reize voll aufzunehmen. Alles, was wir mit dieser inneren Qualität erleben, wird dadurch reicher und intensiver.“
Spüren und spüren lassen: Warum Sie mehr Sinnlichkeit brauchen
Die Sex-Expertin beobachtet in ihrer beruflichen Praxis, dass viele Menschen beim Sex zu verkopft sind – sie sind gedanklich oft ganz woanders und fokussieren sich viel mehr auf die eigene Performance, als auf das, was sie empfinden. Zudem gehen sie oft kritisch mit dem eigenen Körper um und vergleichen ihn mit unrealistischen Idealen. „Diese Fokussierung blockiert die eigene Wahrnehmung und führt dazu, dass echte Empfindungen gar nicht erst entstehen können“, warnt die Coachin.
Laut Kehr erfordert Sinnlichkeit Übung: „Um wirklich sinnlich zu sein, muss man lernen, den eigenen Körper bewusst wahrzunehmen und zu spüren.“ Erst wenn Partner offen dafür sind, Neues auszuprobieren und sich auf das Hier und Jetzt einzulassen, können sie das Bewusstsein für den eigenen Körper entwickeln. „Es geht darum, angestauten Stress loszulassen und Sexualität dort zu erleben, wo sie tatsächlich stattfindet – im eigenen Körper“, sagt die Expertin.
Richtig berühren: „Alles, was wir langsam tun, erleben wir intensiver“
„Es geht darum, wahrzunehmen, wie sich Berührungen wirklich anfühlen, und diese Momente in Ruhe auszukosten“, erklärt die Expertin. Und auch wenn die sexuelle Begegnung nicht immer mit einem Höhepunkt endet, ist es total in Ordnung. Sich nur darauf zu fixieren, kann Partner noch zusätzlich unter Druck setzen und dem bewussten Genießen im Weg stehen. „Unsere konventionelle, schnelle Sexualität mag im Kopf aufregend wirken, doch die Körper bleiben dabei auf der Strecke, denn unser Empfindungsreichtum wird regelrecht erstickt“, betont Kehr.
Paare sollten sich am besten Zeit lassen: „Alles, was wir langsam tun, erleben wir intensiver“, so die Expertin. Dabei rät die Sexualcoachin dazu, der Fantasie freien Lauf zu lassen und nicht unbedingt direkt zum Sexspielzeug zu greifen. „Weniger ist oft mehr. Achtsame Berührungen haben das Potenzial, intensive sinnlich-sexuelle Empfindungen hervorzurufen“, sagt Kehr.
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Expertenrat: Sprechen Sie Ihre sexuellen Wünsche aus
Es sei wichtig, sich klarzumachen, dass nicht nur der Partner allein dafür die Verantwortung trägt, ob beispielsweise die Frau zum Orgasmus kommt, betont Kehr. Die Expertin erklärt, dass Menschen erst selber herausfinden sollten, welche Berührungen sie angenehm finden oder wer sie in ihrer Sexualität sind. Dafür könnten solche Fragen wie „Was weckt in mir Lust, was lässt mich tiefe Verbundenheit spüren“ hilfreich sein. Sobald Menschen anfangen, ihren eigenen Körper bewusster wahrzunehmen, könnten sie dem Partner auch besser vermitteln, welche Bedürfnisse sie haben und wie sie berührt werden möchten.
Damit beide Partner auf ihre Kosten kommen, sei es wichtig, nicht nur offen für die Wünsche seines Geliebtes zu sein, sondern auch eigene Bedürfnisse manchmal zurückzustellen. „Leider fällt es vielen Menschen schwer, offen und spielerisch auf die Wünsche des Partners einzugehen“, sagt die Sexualcoachin. Doch auch das könnten Partner erlernen, indem sie sich beispielsweise fragen: „Was empfindest du, bei dieser Berührung?“ Auf den Partner einzugehen und sich auch auf seine Wünsche einzulassen, kann die Intimität demnach auf ein ganz anderes Niveau bringen.
Manchmal sind es wohl auch alte Glaubenssätze, die einem erfüllten Sexleben im Weg stehen. „Vieles, was wir über Sexualität gelernt haben, ist Unsinn. Das gilt für uns alle. Erst wenn wir bereit sind, ohne Angst und Scham neu anzufangen, können wir wirklich etwas verändern“, so Kehr. Auch wenn die Veränderungen nicht sofort eintreten, sei es durchaus möglich, die Sexualität neu zu beleben und die Bindung zu seinem Partner zu vertiefen: „Die Sehnsüchte und Verletzungen, die sich angestaut haben, können verschwinden – und Platz machen für eine erfüllte Ruhe und Nähe in der Beziehung.“, so die Expertin.