Berlin. Könnte das Vogelgrippevirus bald leichter Menschen infizieren? Laut einer neuen Studie würde eine einzelne Mutation dafür ausreichen.

Eine einzelne Mutation des in den USA unter Rindern grassierenden Vogelgrippevirus H5N1 könnte ausreichen, damit der Erreger deutlich leichter Menschen infizieren kann. Dies zeigt eine neue Studie, die im Fachjournal „Science“ erschienen ist.

Die Forscherinnen und Forscher um Ting-Hui Lin vom Scripps Research Institute aus Kalifornien (USA) modifizierten den Angaben zufolge das erste bekannte H5N1-Virus aus Rindern, das im Frühjahr dieses Jahres bei einem Menschen im US-Bundesstaat Texas nachgewiesen worden war. Dazu veränderten sie die Bindungsstelle des Virus, mit dem es an die Zelloberfläche des Wirtes andockt.

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Mit nur einer einzelnen Veränderung des sogenannten Hämagglutinin-Proteins, so Lin, sei es gelungen, die Bindungspräferenz des Virus auf menschliche Rezeptoren umzustellen. Das bedeute jedoch nicht, dass das aktuelle H5N1-Virus allein mit dieser Mutation auch zwischen Menschen übertragbar wäre. Allerdings: Die Bindung sei robuster gewesen als im Falle des humanen H1N1-Schweinegrippevirus, das im Jahr 2009/2010 eine Pandemie ausgelöst hatte. Ähnliche Mutationen sind der Studie zufolge auch von den Grippe-Pandemien 1918, 1957, 1968 bekannt.

Vogelgrippe: Mindestens 282 Rinderbetriebs in den USA betroffen

Das hoch ansteckende H5N1-Virus der Klade 2.3.4.4b trat erstmals 2021 in Nordamerika auf. Es hat bereits eine Vielzahl von Wirten infiziert, darunter Vögel, Meeressäuger oder Katzen. 2024 hat sich das Virus erstmals unter Milchkühen in den USA ausgebreitet und wurde mittlerweile in mindestens 282 Betrieben in 14 Bundesstaaten nachgewiesen.

Dieses undatierte Bild zeigt eine kolorierte Transmissionselektronenmikroskopie von Partikeln des Vogelgrippevirus A H5N1 (blau).
Auch bei den Pandemien in den Jahren 1918, 1957 und 1968 passten sich die Grippeviren an menschliche Rezeptoren an. © AFP | HANDOUT

Es gab bereits mehrere bestätigte Fälle von menschlichen Infektionen. Meist brauchte es dazu einen engen Kontakt zu den Tieren. Zuletzt infizierte sich aber auch ein Jugendlicher in British Columbia (Kanada) und erkrankte schwer. Die Infektionsquelle des Teenagers war zunächst unklar, er hatte keinen Kontakt zu Wildvögeln oder Geflügel- und Rinderfarmen.

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Der Genotyp des Virus in Kanada ist nicht identisch mit dem in den USA zirkulierenden Virus. Es handelt sich aber um dieselbe Virusklade 2.3.4.4b. Zudem zeigte sich dieselbe Mutation im Hämagglutinin-Protein, wie sie nun in „Science“ beschrieben wurde. Eine Mensch-zu-Mensch-Ansteckung soll es bisher nicht gegeben haben.

Experten fordern Früherkennung und Testungen

Für Wissenschaftler in Deutschland sind die Studie aus Kalifornien und der Fall des infizierten Jugendlichen in Kanada Belege dafür, dass H5N1 Pandemie-Potenzial hat und es notwendig sei, die H5N1-Ausbreitung vor allem in den USA intensiv zu überwachen. Eine vollständige Anpassung an den menschlichen Rezeptor sei möglich, auch wenn H5N1 dazu weitere Hürden überwinden müsste, sagt Prof. Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit. Das müsse bei der Risikoeinschätzung unbedingt beachtet werden.

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Beer mahnt deutlich mehr Anstrengungen an, die Situation in den USA mit vielen Vogelgrippe-Fällen bei Rindern zu bekämpfen. „Menschen, die in infizierten Betrieben tätig sind, müssen unbedingt entsprechend geschützt werden. In allen Bereichen sind zudem engmaschige Früherkennungs- und Beobachtungs-Maßnahmen notwendig“, so Beer. Dazu gehörten auch umfassende Testungen und Untersuchungen des kompletten genetischen Materials des Virus.

„Das aktuelle Infektionsgeschehen in den USA macht eine engmaschige Überwachung von Virusisolaten aus Menschen und anderen Tieren unbedingt erforderlich“, sagt auch Prof. Martin Schwemmle vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum in Freiburg. Nur so könne das Auftreten weiterer Mutationen, die das Risiko für den Menschen erhöhen, frühzeitig erkannt werden. Dem Experten zufolge ist dies vor allem im Hinblick auf die bevorstehende Grippewelle und die Möglichkeit eines Austauschs genetischer Informationen zwischen H5N1-Viren und humanen Influenzaviren von Bedeutung.