Hamburg. Von Genuss zu Abhängigkeit: Suchtexperte erläutert, wie Alkoholkonsum das Vertrauen und die Liebe zwischen Partnern beeinträchtigen kann.
Beziehungen können durch jede Art von Abhängigkeit auf eine harte Probe gestellt werden. So auch im Fall einer Alkoholsucht. Wenn der Beziehungsalltag vom Alkoholrausch des Partners bestimmt wird, kann die Partnerschaft stark darunter leiden. Ein Suchtexperte setzt sich mit dem Thema auseinander und erklärt, welche Konsequenzen ein Alkoholproblem für Beziehungen haben kann.
Therapeut spricht Klartext: Ab wann wird ein Feierabendbier zum Problem?
Der Suchtexperte und Psychotherapeut Michael Musalek aus Berlin unterscheidet zwischen Genuss- und Wirkungstrinken, was demnach über die Wahrscheinlichkeit einer Alkoholsucht entscheide. Will ich ein Glas Wein haben, weil ich den Geschmack mag? Oder will ich es, weil ich mich sonst nach der Arbeit nicht entspannen kann? Der Grund, warum Menschen zum Alkohol greifen, sei hier entscheidend: „Nach der Arbeit greifen viele Menschen gerne zu einem Absacker – in der Annahme, dass dieser besonders gut schmeckt. Schaut man aber genauer hin, stellt man schnell fest, dass das Getränk konsumiert wird, um Spannungen abzubauen oder vielleicht auch, um die Familie zu Hause besser ertragen zu können“, erklärt der Experte.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es bestimmte Alkoholmengen, die für Menschen als riskant gelten. Bei Frauen sind es ab zwölf Gramm Alkohol pro Tag (etwa ein Glas Sekt), bei Männern etwa 24 Gramm (ein halber Liter Bier). Haben Menschen die Trinkmenge nicht mehr unter Kontrolle und konsumieren sie Alkohol, damit sie ihre Realität besser ertragen können, könne man bereits von einem Alkoholproblem sprechen.
Sucht: Wie kommt es zu einer Alkoholabhängigkeit?
Ob jemand abhängig wird, hängt nicht nur von der Alkoholmenge ab – dabei spielen Genetik, Persönlichkeitsmerkmale, als auch soziale Faktoren eine zentrale Rolle. Oft sei es ein Zusammenspiel von verschiedenen Aspekten, die das Entstehen einer Sucht begünstigen – zwei davon seien besonders wichtig, betont Musalek.
Der Experte konnte in seiner langjährigen Praxis beobachten, dass ein Alkoholproblem häufig mit Stress, Depression oder Beziehungsproblemen zusammenhängt. „Es ist nicht so, dass man gerne trinkt und dann irgendwann alkoholabhängig wird. Alkoholabhängigkeit ist meist mit einem katastrophalen Lebensereignis verbunden“, erklärt er. Doch auch biologische Faktoren seien oft der Auslöser von Suchtverhalten. „Wer schon nach wenig Alkohol Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit oder Übelkeit verspürt, trinkt natürlich weniger. Wer Alkohol verträgt, ist stärker gefährdet“, so Mursalek.
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Alkoholsucht in Partnerschaften: Wann wird es zur Gefahr?
Die Grenze zwischen Genusstrinken und Sucht verläuft oft fließend. Ein Glas Sekt, um ein besonderes Ereignis zu zelebrieren, oder ein Glas Wein zum Abendessen betrachten die meisten als eher unproblematisch. „Alkohol wirkt in geringen Dosen leicht euphorisierend und enthemmend. Das ist natürlich für die Kontaktaufnahme mit anderen Menschen sehr hilfreich, weil man die Emotionen, die man in der Begegnung hat, besser zeigen kann“, so der Experte. In Beziehungen wird ein gemeinsames Anstoßen oft als ein Ritual gesehen, das die Bindung sogar fördert.
Wird der Alkohol nicht nur in großen Mengen, sondern auch regelmäßig konsumiert und verliert die Person unter Alkoholeinfluss möglicherweise auch die Kontrolle über ihr Verhalten, sollten bei Partnern die Alarmglocken läuten. Der Suchtexperte erklärt: „Alkohol ist eine depressiogene Substanz. Zuerst wirkt er aufheiternd, dann stimmungsmäßig dämpfend. Und bei etwa einem Sechstel der Menschen ist es auch eine Substanz, die eine Dysphorie erzeugt, wo es dann zu aggressiven Handlungen kommt.“
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Experte enthüllt: Wie Alkohol die Beziehung beeinflusst
Ein übermäßiger Alkoholkonsum kann das Vertrauen in Partnerschaften zerstören und in vielen Fällen auch ein Trennungsgrund sein. Suchtexperte Musalek benennt vier negative Folgen einer Alkoholsucht:
1. Enthemmungen
Unter Alkoholeinfluss können Verhaltensweisen zum Vorschein kommen, die der Partner sonst nie zeigt. Unterdrückte Emotionen, aber auch aggressives Verhalten können durch Alkohol enthemmt werden und zu Konflikten führen, erklärt Musalek. Besonders in toxischen Beziehungen passiere es nicht selten, dass sich der ohnehin schon aggressiver Partner noch aggressiver verhält und körperliche und psychische Gewalt anwendet.
2. Co-Abhängigkeit des Partners
In vielen Fällen unterstützen Menschen ihren alkoholabhängigen Partner und versuchen die Sucht zu minimieren, indem sie seinen Geliebten vor Freunden oder bei der Arbeit entschuldigen, weil er wieder einmal zu betrunken ist, um seinen Pflichten nachzugehen. „Vereinfacht gesagt wird hier die Sucht gutgläubig unterstützt“, erklärt der Suchtexperte. Das sei zwar löblich, mache aber das Suchtproblem langfristig noch größer. Der Partner, der seinen süchtigen Partner unterstützt, entwickele die sogenannte Co-Abhängigkeit, die sich negativ auf dessen eigenes Leben auswirkt.
3. Ausreden und Lügen
Häufig versuchen alkoholsüchtige Menschen die Sucht zu verheimlichen, indem sie anfangen, ihre Partner zu belügen. „Ich musste länger arbeiten“ oder „Ich habe keinen Hunger“ seien dabei die gängigsten Lügen. Der Suchtexperte erklärt: „Alkoholkrankheit ist ein sehr schambesetztes Thema, über das Betroffene nicht gerne sprechen.“ Doch es gebe noch ein weiteres Problem: Versprechen wie „Heute trinke ich nichts“ werden regelmäßig gebrochen und sind für den anderen Partner extrem frustrierend. Auf Dauer kann es der Beziehung stark schaden, da das Vertrauen immer wieder aufs Neue erschüttert wird.
4. Vernachlässigung
Menschen, die ein fortgeschrittenes Alkoholproblem haben, neigen dazu, ihre alltäglichen Dinge immer mehr zu vernachlässigen. „Abhängige stellen den Alkohol oft über andere wichtige Dinge in ihrem Leben“, so Musalek. Absprachen mit dem Partner werden nicht mehr eingehalten, Arbeit und Hobbys rücken auch immer weiter in den Hintergrund. „Das führt zu großem Ärger, weil die Angehörigen merken, dass der Alkohol wichtiger ist als sie selbst, und denken: ‚Wenn er mich lieben würde, würde er das nicht versäumen‘“, warnt der Experte. „Wenn dann noch Versprechungen gemacht werden, die immer wieder nicht eingehalten werden können, ist das ein doppelter Schlag für die Beziehung.“
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Beziehung: Wann und wie führt man am besten ein Gespräch über das Alkoholproblem?
Eines müssen Partner beachten: Betroffene schämen sich meistens für das Suchtproblem und tun sich schwer damit, darüber zu sprechen. „Wie bei allen Konfliktthemen ist es wichtig, das Gespräch auf der Symptomebene zu führen“, so Musalek. Der Experte rät dazu, einen passenden Moment für das Gespräch zu suchen, in dem der Partner nüchtern ist und man ungestört unter vier Augen sprechen kann. „Wenn Kinder in das Gespräch miteinbezogen werden, ist das für die Betroffenen besonders entwürdigend“, sagt Musalek aus seiner Erfahrung und fügt hinzu: „Die Betroffenen blocken dann ab und entziehen sich allen positiven Möglichkeiten.“
Der Experte betont: „Jeder hat seine Funktion. Und das Wichtigste ist, jemandem zu helfen.“ Dennoch sollen Partner nicht versuchen, die Rolle eines Therapeuten übernehmen zu wollen. Es sei ratsamer, der süchtigen Person zu helfen, indem man beispielsweise entsprechende Beratungsangebote findet, die sie in Anspruch nehmen kann, so Musalek. Auch Angehörige, die selber von der Sucht ihres Partners betroffen sind, können von solchen Hilfsangeboten profitieren und lernen, wie sie mit der Belastung umgehen können.
Beziehung mit einem Alkoholiker: Wann ist eine Trennung die beste Option?
„Man kann den Partner auf seinen Alkoholkonsum ansprechen und Unterstützung anbieten, aber letztlich liegt die Entscheidung beim Betroffenen selbst“, so Musalek. Wenn die Alkoholsucht des Partners die Beziehung toxisch macht und die Oberhand gewinnt, sei es ratsam, die Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen und über eine Trennung nachzudenken. Als Co-Abhängiger müsse man einsehen, dass man nicht die Sucht des Partners kontrollieren oder ihn zu einer Therapie zwingen kann, so der Experte.
Musalek macht es an einem Beispiel aus der Bibel deutlich. „Was Gott zusammengeführt hat, soll der Mensch nicht trennen“ stimme zwar, aber es gelte gleichzeitig auch die Aussage: „Was Gott getrennt hat, soll der Mensch auch nicht versuchen zusammenzuführen“, zitiert er. Laut Musalek ist eine Trennung manchmal die beste Option für beide Partner, insbesondere wenn jahrelang keine Verbesserung eintritt.