Berlin. Bei welcher Familie ist man an den Feiertagen? Diese Frage führt in Beziehungen oft zu Streit. Psychologen raten zu diesen Strategien.
Weihnachten ist die Zeit der Besinnlichkeit. Eigentlich. Denn die Realität vieler Familien sieht anders aus. Zwischen Weihnachtsfeier und Weihnachtsmarkt müssen Plätzchen gebacken, Geschenke gekauft, die Wohnung dekoriert, der Christbaum ausgesucht und die Feiertagsbesuche organisiert werden. Kein Wunder, dass das Fest für Viele zum ultimativen Stressmoment des Jahres wird. Umso schlimmer, wenn sich dann auch noch in der Beziehung die leidige Frage stellt: Feiern wir Weihnachten dieses Jahr bei deiner Familie oder bei meiner? Zwei Psychologen verraten, wie man diese Frage klärt und ohne Streit durch die Weihnachtszeit kommt.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2019 gab jeder vierte Befragte an, dass über Weihnachten in der Familie immer oder gelegentlich gestritten wird. Streitgegner sind demnach vor allem der Partner (36 Prozent) und die eigenen Eltern (35 Prozent). „Beliebtestes“ Streitthemen: Wie die Weihnachtsfeiertage organisiert werden und ablaufen sollen.
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Zu mir oder zu dir? Der häufigste Streitpunkt zu Weihnachten
Der Chefarzt der Parkklinik Heiligenfeld für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Dr. Hans-Peter Selmaier, sagt: „Zu Weihnachten kann eigentlich überall Streit lauern.“ Er bietet mit seinem Team extra über Weihnachten und Silvester Gespräche und Therapien an. Aus Erfahrung weiß er: „Einer der häufigsten Streitpunkte ist natürlich: Wo verbringt man die Feiertage. Es wird aber auch über Weihnachtstraditionen, Essen oder Religion gestritten.“ Zu Weihnachten seien sowieso schon die meisten Menschen im Stress, müssten viel vorbereiten, wollen gleichzeitig auch noch den Erwartungen der Kinder gerecht werden. „Und da kommt es häufiger zu Streit als sonst.“
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Auch Diplompsychologe Jörg Hermann kennt die Streitproblematik rund um Weihnachten. Er leitet die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche im Landkreis Wolfenbüttel. Hermann bestätigt, dass ein häufiger Konfliktpunkt die Frage „Bei welcher Familie wird gefeiert“ ist. Er sagt: „Ich glaube, man sollte sich ein bisschen von der Vorstellung lösen, dass es eine ‚gerechte‘ Lösung gibt.“ Vielmehr solle man darauf schauen, was einem selbst guttut. „Man sollte sich überlegen, wo die eigenen Prioritäten liegen. Ist es einem sehr wichtig, es der Herkunftsfamilie, also den Eltern, recht zu machen? Oder nimmt man es sich ein Stück weit heraus zu sagen: Ich bin jetzt erwachsen und mein Partner und ich legen jetzt auf unsere eigene Art und Weise fest, wie wir das Fest begehen wollen.“
Konflikte rund um Weihnachen: Das Streitgespräch richtig angehen
Will man mit seinem Partner ausdiskutieren, wo man die Weihnachtsfeiertage verbringt, empfiehlt Selmaier die gewaltfreie Kommunikation. Er erklärt: „Ich formuliere ein Bedürfnis, verbunden mit einer konkreten Bitte.“ Wichtig dabei: Man darf seinen Partner nicht einengen und es darf auch von vornherein noch keine Entscheidung feststehen. „Es muss ein gemeinsamer Prozess sein, in dem dann eine Entscheidung entsteht“, erklärt der Chefarzt. „Man könnte zum Beispiel sagen: ‚Ich erlebe das gerade so und so. Das macht mit mir das und das. Und ich bitte um jenes.‘ Dann wird man sich als Paar näherkommen.“ Im Gegenzug sollte man nicht sagen: „Es muss so und so ablaufen, ansonsten bin ich raus.“ Das baue nur Druck und Zwang auf, so Selmaier.
Auch Psychologe Hermann setzt auf Verständnis. Er weiß: „Die meisten sind zu Hause mit bestimmten Weihnachtstraditionen aufgewachsen, die sie schön finden und die ihnen am Herzen liegen. Es ist verständlich, dass man die weiterführen möchte. Aber man ist jetzt nun mal in einer Beziehung – und auch die Partnerin oder der Partner hat solche schönen Traditionen daheim erlebt.“ Es helfe, sich in den anderen hineinzuversetzen, um ihn besser verstehen zu können. Dann könne man einen Kompromiss finden. „Der kann so aussehen, dass sich beide zu einem Teil von den Traditionen verabschieden müssen. Aber dadurch kann ja auch etwas Schönes, etwas Neues entstehen. Oder man sieht ein: Für den Partner ist das viel wichtiger als für mich und ich komme ihm da jetzt ein Stück weit entgegen.“
Weihnachtstage aufteilen: Diese Lösungen schlagen die Psychologen vor
Sowohl Selmaier als auch Hermann schlagen vor, die Weihnachtsfeiertage unter den Familien aufzuteilen: Ein Jahr bei der einen Familie, und das nächste Jahr bei der anderen. „Oder, wenn die beiden Familien nicht allzu weit auseinanderleben, den 24. Dezember bei der einen Familie, und die anderen Weihnachtsfeiertage bei der anderen“, sagt Hermann und betont: „Man darf nicht aus dem Blick verlieren: Weihnachten ist kein einmaliges Fest, es findet jedes Jahr wieder statt.“
Und wenn die beiden Familien weit auseinander wohnen? Da hat Selmaier noch eine andere Idee: „Man kann den Familien auch einen Kompromiss vorschlagen: Wenn es diese Weihnachten nicht klappt, dann machen wir zu einem anderen Zeitpunkt einen Familienurlaub zusammen. Oder man verbringt Ostern oder Pfingsten zusammen. Man kann da verschieden Alternativen aufzeigen.“ Auch er betont: Nicht alle Bedürfnisse und Wünsche müssten sich auf Weihnachten fixieren.
Hermann fügt noch an: „Man muss akzeptieren, dass man nicht immer alles unter einen Hut bekommt.“ Beim Ziel, eine für alle passende Lösung zu finden, sei es nötig, Abstriche zu machen. „Die tun jedem ein bisschen weh. Aber so kann man einen Kompromiss finden, der am Ende für alle Seiten gut genug ist. Aber: Nicht alle Konflikte sind lösbar, vor allem, wenn jemand beteiligt ist, der oder dem der Konflikt wichtiger ist als die Lösung.“
Wie geht man mit Eltern oder Schwiegereltern um, die sich in die Entscheidung einmischen?
Wenn man als Paar die Entscheidung getroffen hat, wie man Weihnachten feiern will, und sich die Eltern oder Schwiegereltern dann trotzdem noch einmischen, dann sollte man keine weiteren Entscheidungen ohne den Partner treffen, empfiehlt Hermann. Natürlich könne man seine Pläne nochmals ändern. „Aber ich würde nicht dazu raten, das ohne erneute Absprache zu tun. Hier gilt es, die Paarebene zu respektieren und ein gutes Team zu bleiben“, rät der Psychologe.
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Denn Hermann weiß aus Erfahrung: „Ein häufiger Konfliktpunkt bei Paaren ist generell, dass die Eltern oder Schwiegereltern ihren Einfluss geltend machen wollen – und dann der Vorwurf entsteht: ‚Du hörst viel zu sehr darauf, was die anderen sagen‘. Wenn gemeinsame Konfliktlösungen nicht gelingen und sich jemand wiederholt übergangen fühlt, können Kränkungen entstehen, die dauerhaft Wirkung entfalten und eine Beziehung nachhaltig belasten oder am Ende sogar infrage stellen.“ Sein Tipp: Man sollte die Paarebene durch gemeinsame Entscheidungen stärken, wenn man nicht will, dass der Konflikt zum Dauerthema wird.
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Selmaier hat noch eine andere Idee: eine Art Familienkonferenz. Diese sollte einige Wochen vor Weihnachten stattfinden, damit man nicht erneut unnötig in Stress gerät. Auch hier empfiehlt er wieder den Weg der gewaltfreien Kommunikation. „Sonst kann das Ganze schnell eskalieren und die Spannungen entladen sich in einem großen Streit.“ Und wenn man merkt, dass es doch zum Streit kommt oder hitzig wird, könne man im Voraus auch ein Code-Wort ausmachen. „Das kann man dann sagen – und eine Pause machen. Kurz durchatmen, vielleicht vor die Tür gehen. Dann fahren die Emotionen in der Regel wieder runter und man kann weiter diskutieren“, sagt Selmaier.