Berlin. Trotz einer Trennung finden Paare oft wieder zueinander. Ist das eine emotionale Falle oder sogar heilsam? Paartherapeuten klären auf.
Fünf Jahre sind Paula* und Max* ein Paar, es kriselt schon länger, bevor die Beziehung dann Anfang des Jahres in die Brüche geht. Keine großen Konflikte mehr – einvernehmlich, aber trotzdem schwer. Eine neue Wohnung wird nun gesucht. Meist schläft er auf der Couch, sie im Schlafzimmer. Doch sie bleibt nicht in jeder Nacht allein. „Wir waren gestern beide so traurig, da ist es einfach passiert“, erklärt Paula. „Aber es war sehr schön und intensiv.“ Die Tage danach bleibt sie verwirrt zurück.
Paulas Situation ist keine Seltenheit. Laut einer Yougov-Umfrage unter 12.000 Menschen von 2017 hatten bereits 25 Prozent aller Deutschen in Single-Zeiten schon mal Sex mit dem Ex. Das deckt sich auch mit den Eindrücken des Hamburger Paartherapeuten Eric Hegmann. „Nach meiner Erfahrung ist das Phänomen in der Trennungsphase häufig anzutreffen, nach der Trennung allerdings eher sehr selten“, so der Psychologe.
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Körperliche Anziehung: Warum der Ex-Partner wieder attraktiv wird
Aber worin liegt der Reiz? „Zu jeder Trennung gehört die Phase, in der sich die Partner an die guten Zeiten zurückerinnern, in der das Vermissen schmerzhaft erlebt wird und je nach persönlicher Biografie und Bindungssystem Alleinsein vermieden werden soll.“ Unser Gehirn finde Unbekanntes zunächst bedrohlich, erklärt der Experte. „Da kann es durchaus passieren, dass bekannte Konflikte mit dem Ex-Partner attraktiver erscheinen als beispielsweise eine neue Partnersuche.“
Außerdem wäre bei Ex-Partnerinnen und -Partnern eine starke Anziehung schon mal vorhanden gewesen. „Die Ambivalenz, jemanden gleichzeitig zu vermissen und dennoch eine Beziehung mit dieser Person als unglücklich zu erleben oder die Person, die man selbst geworden ist in dieser Beziehung, nicht mehr zu mögen, die ist normal – obwohl sie natürlich oft sehr schwer auszuhalten ist“, so Hegmann.
Auch kann der Sex mit dem Ex während der Trennungsphase Trost spenden, ist sich der Psychologe sicher. „Viele Paare schildern ihre erotischen Begegnungen in dieser Zeit als besonders leidenschaftlich.“ Doch er warnt: „Für einen Partner kann Intimität in dieser Phase Hilfe bedeuten, für andere besteht die Gefahr einer emotionalen Abhängigkeit.“
Auch im Arbeitsalltag der Paar- und Sexualtherapeutin Annette Hosenfeld spielt das Thema immer wieder eine Rolle. „Empfehlen würde ich es jetzt nicht, aber ich höre ständig, dass es passiert.“ Besonders wenn noch wie bei Paula und Max die räumliche Distanz fehle. Wenn frisch getrennte Klientinnen und Klienten zu ihr kämen, sei daher meist ihre erste Frage: „Wann hatten Sie denn zuletzt Sex?“
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Für Hosenfeld ein Zeichen, ob sich das Paar überhaupt schon wirklich in der Trennung befinde. Denn: „Ist die Anziehungskraft noch da, ist das für mich ein Indiz, dass noch etwas gelöst werden muss.“ In der Therapie werde dann herausgearbeitet, warum es die Beziehung nicht mehr gibt, auch wenn sich beide noch sexuell attraktiv finden.
Sex als kleinster gemeinsamer Nenner in der Krise
Auf die Frage nach dem „Warum“ hat Hosenfeld eine andere Antwort. Verlockend sei die Nähe in der Trennungsphase, weil Sex oft als der kleinste gemeinsame Nenner diene. „Das ganze Drama drum herum spielt keine Rolle,“ so die Expertin. Doch einfach sei die Situation eigentlich nie. „Die Gefahr bei Sex mit dem Ex ist immer, dass einer noch Nähe will und der andere sich hergibt.“ Nicht selten fühle sich eine Person zum „Sexobjekt degradiert oder ausgenutzt“. Um eine solche Situation zu verhindern, appelliert sie an die Eigenverantwortung. „Man darf sich wünschen, dass der andere einen nicht ausnutzt. Aber letzten Endes passiert es leider. Man ist immer für sich selbst verantwortlich.“ Doch auch die andere Seite sieht sie in der Pflicht: „Wenn ich weiß, die eine Person will emotional noch mehr, dann sollte ich nicht mit ihr schlafen. Sonst ist das eine Form des Missbrauchs.“
Gibt es denn einen Punkt, ab dem die Nähe ungefährlicher wird? „Prinzipiell finde ich immer, man muss erst mal Distanz haben, um zu gucken, was dann passiert. Vier Wochen keinen Kontakt und dann schauen: Wie geht’s mir und was vermisse ich?“ Allerdings, betont sie, gebe es keine Allgemeingültigkeit. „Manche brauchen viel länger oder sollten gar keinen Kontakt mehr haben.“
Von Trost durch Verflossene hält Hosenfeld nichts. „Kurzfristig ist es schön wie eine Sucht, langfristig schädigt man sich. Das Drama hört nicht auf“, ist ihre Einschätzung. Aber kann sie Sex mit dem Ex auch etwas abgewinnen? Die Therapeutin wird pragmatisch. „Im schlimmsten Fall lernt man anschließend durch Schmerz.“ Wenn man sich benutzt fühle, komme es dadurch zu mehr Distanz. „Und dann kommt irgendwann der Punkt, dass man eben doch genug hat und sich lösen kann.“
Beziehungsexpertin über Sex mit dem Ex: „Reflexionsmöglichkeit und Lernerfahrung“
Und wenn es trotz aller Vernunft dann doch fürs eigene Empfinden zu früh zur Intimität kommt? Dann gehe es darum, sich nicht selbst abzuwerten. „Mit sich selbst milde zu sein. Das Leben geht weiter. Es ist kein Weltuntergang!“ Dabei könne es helfen, sich zu fragen: „Worum geht es? Höhepunkt, Anerkennung oder Genuss?“ Und dann könne der Rückfall eben doch etwas Gutes haben: „Für mich ist Sex mit dem Ex vor allem eine Reflexionsmöglichkeit und eine Lernerfahrung.“
Paula hat mittlerweile eine eigene Wohnung gefunden – in der Nähe der ehemals gemeinsamen. Der Kontakt zu Max ist eher sporadisch. „Ich denke schon noch oft an ihn und vermisse die körperliche Nähe“, gibt Paula zu. Wenn sie sich abends einsam fühle, habe sie schon überlegt, ihn zu sich einzuladen. „Aber gefragt habe ich noch nicht.“
* Name von der Redaktion geändert.