Berlin. Bei Familienfeiern um Weihnachten gibt es oft Alkohol. Doch wie viel ist zu viel? Und wie spricht man Trinker in der Familie an?
- Alkohol ist eine Droge – und in der westlichen Gesellschaft doch weitgehend akzeptiert
- Moderater Konsum ist nicht gefährlich, doch auch daraus kann eine Sucht entstehen
- Eine Expertin, die selbst abhängig war, berichtet, worauf Angehörige achten sollten
Die Situation kennen viele: Der Verwandte, der sich seltsam verhält oder unangenehm auffällt. Die eine in der Familie, die bei Treffen abwesend wirkt oder andersherum viel zu sehr aufdreht „Irgendwas stimmt da nicht“, denken sich Angehörige oder Freunde von Menschen, die etwas zu oft zu tief ins Glas schauen. Gerade an bei runden Geburtstagen, Hochzeiten, Ostern oder an Weihnachten wird ja öfter und mehr getrunken, wenn Freunde und Familie zusammenkommen. Aber wo ist die Grenze?
Im Folgenden erfahren Sie, wie Sie beim nächsten ausgelassenen Familientreffen herausfinden können, ob jemand ein Problem mit Alkohol hat. Nur: Wenn Sie wissen, dass jemand zu viel trinkt – was dann? Auch hierzu finden Sie weiter unten wichtige Tipps.
Vorweg: Trauen Sie Ihrem Bauchgefühl. Wenn Sie spüren „Da läuft was verkehrt“, dann stimmt das. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Menschen mit Alkoholproblemen sind Meister im Tricksen und Verschleiern. Bis Sie also Verdacht schöpfen, ist vorher schon viel passiert.
Die besten Artikel der Serie „Raus aus der Sucht“
- Therapie: Alkohol und Co.: Ausstieg aus Sucht nie ohne Hilfe angehen – Lebensgefahr
- Tablettensucht: Schmerzmittel auf Rezept: So leicht machen sie süchtig – Entzug „brutal“
- Erfahrungsbericht: 20 Jahre abhängig von Alkohol – Wie Gaby der Sucht entkam
- Selbsttest machen: Pornosucht behandeln – Expertin gibt 5 Tipps
Alkohol: Trinken in Gesellschaft – wer hat ein Problem und wer nicht?
Weihnachten oder Silvester ist für Menschen mit Alkoholproblemen die perfekte Jahreszeit. Ohnehin wird dann mehr getrunken, allemal in Gesellschaft. Ein besseres Alibi gibt es nicht. Das Gleiche gilt im Grunde unterm Jahr für größere Familienfeiern wie der runde Geburtstag oder Hochzeiten. Als Gastgeber läuft er oder sie zur Hochform auf. Vor der Feier wird eingekauft. Jeder Gast bekommt seinen – angeblichen – Lieblingstropfen. Bier, Rot- und Weißwein, Schnaps, Wodka, Whiskey – auf einmal sind unglaublich viele Alkoholika im Haus.
Der eigentliche Sinn: Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, wer wie viel getrunken hat. Diese Strategie sorgt auch für sorgenfreien Nachschub in den Folgetagen: Nach dem Fest bleiben noch viele offene Flaschen übrig. Die verschwinden dann nach und nach, notfalls mit der Ausrede „War nicht mehr gut, habe ich weggekippt“.
Auch interessant: Alkohol, Koks, Sex – „Sucht hat nichts mit dem Willen zu tun“
Während der geselligen Runde sorgt der Betroffene dafür, dass jeder stets etwas im Glas hat. Und animiert andere, mehr zu trinken, als sie vielleicht wollen („Ach komm! Noch ein Glas – heute lassen wir es uns doch gut gehen“). Das alles dient nur einem Zweck – die eigene Trinkmenge zu verschleiern. Achten Sie darauf, ob die Person deutlich mehr als alle anderen verträgt. So manch geübter Trinker wirkt auch nach Mengen noch völlig klar, die andere bereits in einen Tiefschlaf befördern.
- ADHS bei Erwachsenen: Betroffene verrät, was ihr mit ADHS wirklich half
- Stress: Achtsamkeit – warum der Trend problematisch sein kann
- Vorsorge: MRT für Selbstzahler – wann es sinnvoll ist und wann nicht
- Ohrensausen: Tinnitus-Patientin berichtet, was ihr endlich geholfen hat
Vorglühen vor dem Eintreffen der Gäste ist ebenfalls ein deutliches Signal. Am einfachsten ist das, wenn auch gegessen wird: Der Küchenwein ist doch immer eine perfekte Ausrede. Oder der Wein muss halt mal „vorgekostet“ werden. Um Sprüche sind Trinker nie verlegen. Einmal in Fahrt findet der Betroffene kein Ende. Wer wiederholt trotz offenkundig bereits zu viel Alkohol erst so richtig Gas gibt, der hat mit ziemlicher Sicherheit ein Problem bis hin zur Sucht.
Alkohol in der Beziehung: Trinkt mein Partner heimlich?
Sie sehen: Trinker sind trickreich. Wenn Sie in Ihrer Beziehung den Verdacht haben, dass Ihr Partner oder Ihre Partnerin zu viel trinkt, laufen solche Spielchen wie eben beschrieben auch im Alltag. Achten Sie auf folgende Warnsignale:
- Ihr Partner legt Wert darauf, der Lebensmittel-, mindestens aber der Getränkeeinkäufer zu sein – und zwar allein.
- Spätestens gegen Abend geht er regelmäßig mit einem fadenscheinigen Grund noch mal raus. Es gibt Familien, die haben eigentlich nur deshalb einen Hund, weil ein Familienmitglied heimlich trinkt. Oder jemand kommt regelmäßig später von der Arbeit, da der Rückweg zum Einkaufen und Trinken genutzt wurde.
- Körperlicher Nähe weicht der Partner oder die Partnerin wegen der Fahne aus. Tic Tac und Fisherman‘s Friend sind als Atemerfrischer im Auto, in der Tasche oder am Schreibtisch immer griffbereit.
- Der Partner hat tägliche Routinen, die zwar merkwürdig, aber für Unbedarfte nicht auffällig sind: der Gang in den Keller, zur Garage, zum Kofferraum, immer ab einer gewissen Uhrzeit am Tag. Da sind dann die Geheimverstecke.
- Es fehlt Geld in der Haushaltskasse.
Trinkt mein Bekannter oder Freund zu viel?
Etwas schwerer ist es natürlich, Alkoholprobleme bei Menschen aufzuspüren, mit denen man nicht unter einem Dach wohnt. Aber auch hier gibt es wichtige Anhaltspunkte:
- Abends ist der- oder diejenige kaum telefonisch zu erreichen – weil im Alkoholschlaf. Falls doch, verlaufen diese Gespräche sehr merkwürdig. Sie erhalten komische Nachrichten, etwa per Whatsapp oder über andere Messenger-Dienste. Bei Sprachnachrichten hört sich die Stimme seltsam an, sehr häufig sind diese Nachrichten hochemotional (in jede Richtung).
- Verabredungen werden auffallend oft abgesagt (häufig sogar sehr kurzfristig). Der Grund: Die Person möchte daheim alleine trinken.
Alkoholproblem ansprechen: Wie gehe ich vor?
Egal ob Partner, Verwandter, Freund oder Bekannter: Alle werden alles abstreiten und vielleicht sogar aggressiv, wenn Sie diese auf deren Konsum ansprechen. Sie müssen dazu wissen: Ein Mensch mit Alkoholproblemen muss so reagieren.
Täte er es nicht, müsste er oder sie sich das Problem eingestehen – und etwas ändern. Als Süchtiger steckt man in einer Gedankenwelt, die für einen Nichtabhängigen schwer bis gar nicht nachvollziehbar ist.
Deshalb gilt als erste Regel:
Nie mit sogenannten „Du-Botschaften“ an die Sache rangehen. „Du trinkst zu viel“ oder „Du hast heimlich getrunken“ ruft automatisch eine Abwehrhaltung auf den Plan. Besser sind „Ich-Botschaften.“ Wie zum Beispiel „Ich habe beobachtet, dass du dich veränderst“ oder „Ich mache mir Sorgen um dich“. Bleiben Sie immer bei sich. Drücken Sie Ihre Sorgen und Beobachtungen aus. Aber immer aus der „Ich-Perspektive“.
Das sitzt natürlich nicht beim ersten Mal, das braucht mehrere Anläufe. Reagiert der Angesprochene aggressiv, bleiben Sie ruhig. Erkennen Sie das Muster dahinter. Sagen Sie „Das macht mich traurig, was du sagst“ und gehen weg. Ganz wichtig: Niemals das Gespräch anfangen, wenn bereits Alkohol im Spiel ist.
- Beziehungsratgeber: Alle Artikel zum Thema Liebe & Beziehungen im Überblick
- Warnzeichen? Partner nicht mehr attraktiv? Therapeut verrät überraschende Lösung
- Theorie: Welcher Beziehungsytp sind Sie? Test schafft Klarheit
- Emotionen: Partner zeigt keine Gefühle? Was dahinter steckt
- Tipps: Forscher finden Schlüssel für glückliche Beziehung
Zweitens: Hören Sie selbst auf, in seiner oder ihrer Gegenwart Alkohol zu trinken. Bietet die Person Ihnen was an, lehnen Sie ab. Und zwar nicht mit der Begründung „Dann trinkst du bloß auch wieder“, sondern schlicht mit „Nein danke. Ich möchte nicht“. Wenn Sie spüren, dass Sie der Konsum eines anderen Menschen belastet, sprechen Sie das so aus wie oben geschrieben. Dann aber ziehen Sie Ihre Grenzen. Zu Freunden oder Verwandten kann und sollte man dann auch den Kontakt abbrechen.
Trinkt der eigene Partner, ist das natürlich alles viel komplexer. Suchen Sie sich Unterstützung. Alle großen Selbsthilfeorganisationen haben Angebote, auch gezielt für Angehörige. Nutzen Sie sie. Dazu gehören unter anderem die Anonymen Alkoholiker, das Blaue Kreuz Deutschland (BKD, christlicher Hintergrund) oder etwa die SoberGuides, ein ehrenamtliches Selbsthilfeangebot der Guttempler in Deutschland e.V.
Zur Person
- Gaby Guzek ist seit mehr als 30 Jahren Fachjournalistin für Wissenschaft und Medizin.
- Sie arbeitete nach ihrem Studium unter anderem bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der Fachzeitschrift „Die Neue Ärztliche“. Jahrelang selbst von schwerer Alkoholsucht betroffen und mit den Therapiemöglichkeiten unzufrieden, begann sie, sich intensiv mit dem Phänomen Sucht auseinanderzusetzen. 2020 veröffentlichte sie im Eigenverlag ihr Buch „Alkohol adé“* und steht heute als Coach unter gaby-guzek.com und in ihrem Forum alkohol-ade.com Alkoholsüchtigen zur Seite.
- Ihr Buch „Die Suchtlüge. Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen“ ist bei Heyne erschienen.
ANZEIGE
Gaby Guzek: Die Suchtlüge
Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen. HEYNE Verlag, Taschenbuch mit 224 Seiten, 13 Euro
Verfügbar bei Amazon*, Thalia* und bücher.de*
* Der Artikel enthält sogenannte Affiliate-Links. Die verlinkten Angebote stammen nicht vom Verlag. Wenn Sie auf einen Affiliate-Link klicken und über diesen Link einkaufen, erhält die Funke Digital GmbH eine Provision von dem betreffenden Online-Shop. Für Sie als Nutzerinnen und Nutzer verändert sich der Preis nicht, es entstehen Ihnen hierdurch keine zusätzlichen Kosten. Die Einnahmen tragen dazu bei, Ihnen hochwertigen, unterhaltenden Journalismus kostenfrei anbieten zu können.