König berät mit Regionen. Flamen und Wallonen streiten um Sprachen und Zuständigkeiten.

Brüssel. Nach dem Rücktrittsgesuch von Premierminister Yves Leterme ist Belgien in eine tiefe Krise gestürzt. Nun sucht König Albert II. mit ungewöhnlichen Schritten nach einem Ausweg. Nach nur vier Monaten im Amt hatte Leterme dem Monarchen seinen Rücktritt angeboten, weil er keine fristgerechte Lösung für die versprochene Staatsreform gefunden hatte. Hintergrund der verfahrenen Situation ist der Dauerstreit zwischen Flamen und Wallonen um Einfluss und Macht.

Der König ließ Letermes Rücktrittsgesuch zunächst ruhen. Er lud die Ministerpräsidenten der wichtigsten Regionen zu Krisengesprächen in den Palast - ein Novum bei politischen Problemen auf der Ebene des mehrsprachigen Gesamtstaats.

Der Noch-Regierungschef verband sein Rücktrittsgesuch gleich mit einer politischen Bankrotterklärung für das ganze Land. Der belgische Föderalismus sei "an seine Grenzen gestoßen", die Differenzen zwischen niederländischsprachigen und frankofonen Belgiern seien unüberbrückbar, erklärte der 47-jährige Christdemokrat nach einer nächtlichen Audienz. Eine Staatsreform bleibe aber ein wesentlicher Teil der Koalitionsvereinbarung. Leterme hatte zuletzt vorgeschlagen, die Regionalregierungen in die Verhandlungen einzubeziehen.

Hintergrund ist der Streit zwischen niederländischer und französischer Sprachgemeinschaft über die Neuordnung staatlicher Zuständigkeiten. Leterme hatte beim Start seiner Regierung vor Ostern versprochen, bis zum 15. Juli konkrete Vorschläge für die Reform auszuhandeln. Der Bildung seiner Koalition aus Konservativen und Liberalen beider Sprachgruppen sowie frankofonen Sozialisten war mit zwölf Monaten die längste Krise in der Geschichte des Landes vorausgegangen.

Die flämischen Sozialisten verlangten Neuwahlen. "Wenn Premierminister Yves Leterme nicht in der Lage ist, die Krise zu entschärfen, dann müssen Neuwahlen her", sagte die Parteivorsitzende Caroline Gennez, deren Formation der Fünf-Parteien-Koalition nicht angehört. Vize-Premier Didier Reynders von den frankofonen Liberalen sprach sich hingegen für eine Fortsetzung der Regierung aus - "mit Leterme als Premierminister".

"Der König zieht nun sowohl Mitglieder der Mehrheit als auch der Opposition zurate, um zu sehen, ob die heutige Formation fortgesetzt werden kann, und wenn nicht, ob eine Alternative geprüft werden muss", sagte Professor Mark Van den Wijngart, der an der Katholischen Universität Brüssel Politikgeschichte lehrt und als Kenner des Königshauses gilt. Man habe allerdings schon so viele Formeln geprüft, dass nur noch wenige Möglichkeiten denkbar seien.

Das belgische Parlament sagte seine Sitzung ab, in der Leterme eine Regierungserklärung zum Stand der Reform hatte abgeben sollen. Der rechtsextreme Vlaams Belang forderte unterdessen einen "Plan zur Erbteilung" im Land.

Yves Leterme hatte die Wahl vom 10. Juni 2007 gewonnen. Seine flämischen Christdemokraten waren dazu ein Bündnis mit der nationalistischen Flamen-Partei NV-A eingegangen. Dieser Bündnispartner widersetzte sich Reformideen, die für die frankofonen Koalitionsparteien akzeptabel gewesen wären. Umgekehrt lehnten die Frankofonen weitreichende Vorschläge der Flamen ab.