Viele glauben, dass Erdogan Sezer beerbt und damit das letzte Bollwerk gegen den Islam fällt.
ANKARA. Mehrere Zehntausend Menschen haben am Sonnabend Abschied vom früheren türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit genommen. Das Staatsbegräbnis für den fünfmaligen Regierungschef nutzten Tausende Trauergäste zu einem Protest gegen die islamisch orientierte Regierung. "Die Türkei ist weltlich und wird weltlich bleiben", riefen sie, als Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an der Kocatepe-Moschee in Ankara eintraf. Beim Verlassen der Moschee wurde Erdogan von der Menge ausgebuht.
Erdogan reagierte auf einem Parteitag seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) verärgert auf den Vorfall. Er kämpfe für den Säkularismus in der Türkei, ihm das Gegenteil zu unterstellen sei "nicht nett".
Seit seinem Regierungsantritt 2002 hat sich Erdogan allerdings für eine Lockerung des Kopftuchverbots in Behörden und Schulen eingesetzt. Unter anderem wegen der anhaltenden Beschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit und der Gerichtsverfahren gegen Journalisten und Schriftsteller hat sich seine Regierung zudem harsche Kritik vonseiten der EU eingehandelt.
Viele säkular orientierte Türken fürchten, dass Erdogan nach dem Ende der Amtszeit von Ahmed Necdet Sezer im Mai neuer Staatspräsident werden könnte. Sezers Nachfolger wird vom Parlament gewählt, in dem Erdogans AKP die Mehrheit stellt. Sezer hat zahlreiche Gesetze mit seinem Veto blockiert, die seiner Ansicht nach gegen die säkulare Verfassung verstoßen und die von Erdogans Regierung angestrebte Ernennung Hunderter mutmaßlich islamisch geprägter Beamter für wichtige Posten verweigert.
Mitglieder von Ecevits Demokratischer Linkspartei ließen während des Trauerzugs weiße Tauben in den Himmel steigen. Parteichef Zeki Sezer würdigte den früheren Regierungschef als "Mann des Friedens". "Wir werden dich immer lieben, wir werden dich immer vermissen", sagte er. "Wir werden dich nicht vergessen" war auf einem Plakat mit einem Bild Ecevits zu lesen. Der Politiker war am vergangenen Sonntag im Alter von 81 Jahren gestorben. Mehr als 10 000 Polizisten und Soldaten riegelten Straßen für den Trauerzug ab. Auf Dächern und Balkonen wurden Scharfschützen postiert, Flüge über die Stadt verboten.
Ecevit hatte im Mai einen Schlaganfall erlitten und lag seitdem im Koma. Der sozialistische Politiker war fast 50 Jahre lang eine der bestimmenden Persönlichkeiten in der türkischen Politik und war fünfmal Premier, zuletzt von 1999 bis 2002.