Berlin. Er nimmt kein Blatt vor den Mund: SPD-Vorsitzender Klingbeil nennt die AfD-Vorsitzende Weidel eine „Rechtsextreme“. Auch Vizekanzler Habeck findet deutliche Worte über die AfD.
SPD-Chef Lars Klingbeil hat die AfD-Vorsitzende Alice Weidel als „Rechtsextreme“ bezeichnet. Klingbeil sagte in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv: „Ich finde, sie ist eine Rechtsextreme. Sie trägt Verantwortung in einer rechtsextremen Partei.“ Die AfD wird in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom jeweiligen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch bewertet, bundesweit gilt sie als Verdachtsfall.
Das Medienhaus Correctiv hatte vorige Woche über ein bis dahin nicht bekanntes Treffen von Rechtsradikalen mit Politikern von AfD und CDU in einer Potsdamer Villa vom 25. November berichtet. Auch ein Mitarbeiter Weidels, Roland Hartwig, hatte an dem Treffen teilgenommen. Anfang der Woche war sein Arbeitsvertrag als Weidels Referent in „beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst“ worden. Heute will Correctiv seine Recherche im Berliner Ensemble vorstellen. Bei der szenischen Lesung sollen auch einige neue Details bekannt werden.
Klingbeil bezeichnete dies nun als „Bauernopfer“. „Das ist Augenwischerei. Es gibt kein Wort der Reue, keine Distanzierung, keine Entschuldigung bei Millionen Menschen, die die AfD in Angst und Schrecken in diesem Land versetzt hat“, sagte er.
Habeck: „Angriff auf das Wesen der Republik“
Bei dem Treffen im November hatte der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, nach eigenen Angaben über „Remigration“ gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. Nach dem Bekanntwerden des Treffens hatten in den vergangenen Tagen in mehreren deutschen Städten Zehntausende gegen die AfD demonstriert. Weitere Demonstrationen sind angekündigt.
Vizekanzler Robert Habeck warnte eindringlich vor der rechten Partei. „Es geht den Rechtsautoritären um einen Angriff auf das Wesen der Republik“, sagte der Grünen-Politiker dem Magazin „Stern“. „Sie wollen aus Deutschland einen Staat wie Russland machen.“ Darauf bereiteten sie sich systematisch vor.
Werteunion bestätigt Teilnahme von Mitgliedern an Treffen
Derweilt hat die erzkonservative Werteunion die Teilnahme zweier Mitglieder in Potsdtam erstmals offiziell bestätigt. Die beiden Frauen „hielten sich dort als eingeladene Privatgäste und nicht als Vertreter der Werteunion auf“, teilte der Verein mit. Befragungen der beiden Mitglieder und weiterer Personen hätten ergeben, dass bei dem Treffen unter anderem „von einer sogenannten Remigration“ gesprochen worden sei.
Wenn Rechtsextremisten diesen Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. Über das Thema sei „ausschließlich als Teil eines Vortrages von Herrn Sellner“ gesprochen worden, erklärte die Werteunion. Martin Sellner ist der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich. Er hatte selbst bestätigt, über „Remigration“ gesprochen zu haben.
„Die nunmehr bestätigte Teilnahme von Mitgliedern der Werteunion an dem rechtsextremen Treffen in Potsdam zeigt die Gefahr und die Erfolge rechtsextremer Strategien: Längst wirken auch Politikerinnen und Politiker aus der vermeintlichen Mitte des politischen Spektrums an der Vernetzung mit“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Grünen-Innenexperten, Irene Mihalic und Konstantin von Notz.
Die Werteunion kritisierte Correctiv und erklärte unter Verweis auf eigene Recherchen, es sei „um die Rückführung von sich in Deutschland illegal aufhaltenden Migranten, Ausländern mit geduldetem Aufenthaltsstatus und Ausländern mit Bleiberecht, die durch schwere Straftaten aufgefallen sind“ gegangen, nicht aber um „massenhafte Rückführung von Deutschen mit Migrationshintergrund“.
Der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen, sagte in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Bundestages nach übereinstimmenden Angaben von Teilnehmern, es habe bereits vier Vernetzungstreffen dieser Art gegeben, bei denen Politiker mit Akteuren der sogenannten Neuen Rechten zusammenkommen.
Debatte über AfD-Verbot
Infolge der Correctiv-Recherche nahm auch die Debatte über ein mögliches AfD-Verbot wieder Fahrt auf. Habeck sagte dem „Stern“ auf die Frage, ob er für oder gegen ein AfD-Verbot sei: „Das ist keine Frage der politischen Haltung, sondern des Rechts.“ Über ein Verbot entscheide allein das Bundesverfassungsgericht. Die Hürden seien zu Recht sehr hoch, und der Schaden durch ein gescheitertes Verfahren wäre massiv. „Daher müsste alles absolut gerichtsfest sein. Das muss man sehr genau bedenken.“ So oder so müssten die demokratischen Parteien die AfD politisch schlagen.
Neben einem möglichen Verbotsantrag wird mittlerweile auch über einen Antrag auf Entzug der Grundrechte für herausragende Verfassungsfeinde diskutiert. Bis zum späten Dienstagabend verzeichnete eine Unterschriftensammlung, die sich namentlich gegen den Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschef Björn Höcke richtet, mehr als 1,1 Millionen Unterschriften. Der Thüringer AfD-Landesverband wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.
Juso-Chef Philipp Türmer sprach sich dafür aus, dieses Mittel gegen Höcke einzusetzen. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz könne man zudem das aktive und passive Wahlrecht verwirken, sagte Türmer dem „Tagesspiegel“. „Der Nazi Björn Höcke bewirbt sich seit Jahren initiativ darum, dass diese Paragrafen mal an ihm angewendet werden.“
Petition eingereicht
Rechtswissenschaftler Ulrich Battis sagte RTL/ntv: „Es ist plausibel, dass man gegen ihn (Höcke) ein solches Verfahren einleitet, weil er sich in besonderer Weise, wie wir sie vorher so in Deutschland in den letzten 40 Jahren nicht hatten, exponiert hat.“ Battis betonte: „Im Moment haben wir eine Situation, wie wir sie bisher nicht hatten. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Verfahren Erfolg haben wird, eher größer einzuschätzen, als ich es je in der Vergangenheit beurteilt hätte.“
Wie die „Rheinische Post“ berichtete, ist mittlerweile auch beim Petitionsausschuss des Bundestags eine Petition eingereicht worden, die fordert, Höcke Grundrechte zu entziehen. Sie müsse allerdings noch geprüft werden, bevor sie veröffentlicht werde, sagte die Ausschuss-Vorsitzende Martina Stamm-Fibich (SPD) der Zeitung. Ab 50.000 Unterstützern muss sich der Petitionsausschuss mit einer öffentlichen Petition befassen und Gelegenheit zur Anhörung geben.
Die Linke brachte noch eine weitere Forderung auf. Sie plädiert dafür, zunächst die Jugendorganisation Junge Alternative ins Visier zu nehmen. „Ein erster Schritt wäre ein Verbot der Jugendorganisation der AfD“, sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert der Deutschen Presse-Agentur. „Ein Verbot der JA wäre deutlich einfacher und schneller möglich, da sie nicht durch einen Parteienstatus geschützt ist. Ein Verbot wäre hier durch einen einfachen Ministerialerlass möglich.“