Berlin. Diese Runde könnte die letzte sein: Am Sonntag verhandeln die Ampel-Spitzen wieder über den Bundeshaushalt für 2024. Es könnten Belastungen auf die Bürgerinnen und Bürger zukommen.
Noch sind keine Kompromisslinien bekannt: Die Ampel sucht weiter eine Lösung für das Milliardenloch im Haushalt des kommenden Jahres und für wichtige Investitionen in die Modernisierung der Wirtschaft. Klar scheint: Es muss gespart werden. Es könnte also weh tun, auch den Bürgerinnen und Bürgern. Nur an welcher Stelle genau, ist noch völlig offen. Kommt es Anfang der Woche zu einem Durchbruch und einer politischen Einigung über den Bundeshaushalt 2024?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) wollen am Sonntagabend erneut im Kanzleramt verhandeln. Es geht um eine Lücke von 17 Milliarden Euro im Kernhaushalt 2024, aber auch um 60 Milliarden Euro, die bis 2027 im Klima- und Transformationsfonds eingeplant waren. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts stehen sie nicht mehr zur Verfügung.
Laut Habeck gehen die Ampel-Spitzen „Schritt für Schritt voran“ und versuchen, fehlende Mittel zu kompensieren. Das gehe nur, wenn an anderen Stellen Zumutungen ertragen würden. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte im rbb24 Inforadio, es gebe nicht die eine Lösung, sondern man schaue „sehr genau in die vielen tausend Haushaltstitel“.
Subventionen, Soziales: Welche Bereiche betroffen sein könnten
Sparen also nach dem „Rasenmäher-Prinzip?“ Die FDP will etwa Kürzungen im Sozialetat. Lindner wirbt dafür, dass das Geld im Sozialbereich effektiver eingesetzt wird. „Wir müssen mehr Menschen in Arbeit bringen, die jetzt Bürgergeld in Anspruch nehmen.“ Vor allem die SPD aber lehnt Kürzungen im Sozialetat ab. Scholz versprach am Samstag auf dem SPD-Bundesparteitag: „Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben.“ An der von der FDP infrage gestellten Bürgergeld-Erhöhung hält er fest: „Ich finde aber, da muss man widerstehen“, sagte Scholz. Lindner will auch bei internationalen Finanzhilfen sparen und Subventionen überprüfen.
Die Koalition hat aber klar gemacht, dass Fördermittel für den Austausch von Heizungen, die aus dem Klimafonds bezahlt werden, von Einsparungen ausgenommen bleiben sind. Ungewiss ist dagegen zum Beispiel, wie viele der versprochenen Milliardenmittel zur Modernisierung des teils maroden Schienennetzes kommen. Daran hängt aber die geplante Generalsanierung stark belasteter Hauptstrecken. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat bereits betont: Die Strecke Frankfurt-Mannheim wird planmäßig ab dem kommenden Sommer erneuert. Aus dem Fonds finanziert werden sollte auch der Ausbau der Elektromobilität und der Ladeinfrastruktur - kommt es nun zu Kürzungen etwa bei der staatlichen Förderung von E-Autos?
Die Grünen fordern seit langem einen Abbau klimaschädlicher Subventionen und nennen etwa steuerliche Vergünstigungen bei Dienstwagen. Auf dem Tisch könnte auch die Abschaffung des sogenannten Dieselprivilegs liegen. Bisher wird Diesel niedriger besteuert als Benzin, eine Reform könnte Milliarden-Mehreinnahmen bringen. Die Ampel könnte auch eine Kerosinsteuer für innerdeutsche Flüge einführen und Steuerbegünstigungen für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft streichen, den sogenannten Agrardiesel - das hätte aber vermutlich Protestaktionen der Bauern zur Folge.
Lindner hat sich zum Subventionsabbau bereits skeptisch geäußert. Nicht selten werde von vermeintlichen Privilegien gesprochen, um dann doch die arbeitende Bevölkerung zu belasten, sagte er der „Wirtschaftswoche“. Auch ein Abbau vermeintlich umweltschädlicher Subventionen könne den falschen Bereich treffen, zum Beispiel den sozialen Wohnungsbau. Wegen der Flächenversiegelung gelte dessen Förderung als umweltschädlich.
Mehr Einnahmen über CO2-Preis oder Schuldenbremse?
Um die Einnahmen zu steigern, könnte die Ampel auch den CO2-Preis beim Tanken und Heizen mit fossilen Energien erhöhen - allerdings ist dann fraglich, wie Mehrbelastungen sozial abgefedert werden sollen.
Umstritten ist, ob die Ampel-Koalition im kommenden Jahr erneut die Schuldenbremse aussetzen soll und sich so Milliarden-Kredite genehmigen könnte. Das wollen viele bei SPD und Grünen. Der SPD-Parteitag beschloss am Samstag indirekt eine solche Forderung - wenn auch mit einigem Interpretationsspielraum in der Formulierung. Doch Scholz wird das Votum nun mit in die weiteren Verhandlungen nehmen.
Für die Aussetzung der Schuldenbremse müsste eine Notlage erklärt werden, begründet etwa durch den Krieg in der Ukraine. Lindner ist davon bisher aber nicht überzeugt, auch weil er befürchtet, dass die Bundesregierung damit erneut vor Gericht landet. Eine Klage der Union wäre sehr wahrscheinlich.
Höhere Strompreise möglich
Auf private Haushalte und Firmen könnten höhere Strompreise zukommen. Eigentlich hat die Koalition für das kommende Jahr einen Zuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten von bis zu 5,5 Milliarden Euro geplant. Das Geld sollte aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds kommen, der infolge des Karlsruher Urteils aber aufgelöst wird. Nun müsste man den Zuschuss also aus dem ohnehin unter Druck stehenden Kernhaushalt stemmen.
Außerdem könnte ein milliardenschweres Paket zur Entlastung von Industrie und Mittelstand angesichts der hohen Strompreise wieder infrage stehen. Unter anderem soll die Stromsteuer für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes auf den in der EU zulässigen Mindestwert gesenkt werden.
Was Ökonomen und Verbände sagen
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, sprach sich für ein Sondervermögen zur verlässlichen Finanzierung „transformativer Infrastrukturinvestitionen“ aus, ähnlich dem der Bundeswehr. Die Milliardenkredite für die Bundeswehr hatten Ampel und Union nach Beginn des Ukraine-Kriegs eigens im Grundgesetz abgesichert.
Hüther sagte, im Haushalt 2024 könne zudem Effizienz und Effektivität in der Sozialpolitik erhöht werden. „Auch bei den Subventionen gibt es Spielräume. Zugleich gilt aber auch, dass wir mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit die Steuerlast der Unternehmen senken müssten. Das geht mit der Schuldenbremse so einfach nicht.“
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sagte: „Die Erklärung einer Notlage für 2024 und das Einhalten aller Versprechen ist bei weitem der beste Weg, um noch größeren wirtschaftlichen Schaden abzuwenden.“ Die Schuldenbremse nochmals auszusetzen, sehen die Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer und Achim Truger ebenfalls als möglichen Weg.
Auch Olaf Bandt, Vorsitzender des Umweltverbands BUND, ist für eine Aussetzung der Schuldenbremse. Zudem müssten umwelt- und klimaschädliche Subventionen wie das „Dienstwagen- und Dieselprivileg“ sowie die Energiesteuerbefreiung von Kerosin abgeschafft werden.