Berlin. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober kommen auch viele Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht zur Ruhe. Eine Umfrage des Zentralrats fällt zwiespältig aus.
Drohungen, Beleidigungen, Schmierereien: Jede dritte jüdische Gemeinde in Deutschland hat einer Umfrage zufolge in den vergangenen Wochen antisemitische Attacken erlebt. Unisono sei psychischer Druck über Drohanrufe und Drohmails angegeben worden, erklärte der Zentralrat der Juden. „Das sind erschütternde Berichte“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster.
Der Zentralrat hatte die jüdischen Gemeinden in Deutschland vom 20. bis 30. November online nach Auswirkungen des Terrorangriffs der Hamas auf Israel und der israelischen Gegenoffensive seit dem 7. Oktober gefragt. Laut Zentralrat beteiligten sich Führungspersonen von 98 der 105 Gemeinden.
Senioren und Familien als Leidtragende
Fast 80 Prozent gaben demnach an, es sei seit dem 7. Oktober unsicherer geworden, in Deutschland als Jude zu leben und sich so zu zeigen. Leidtragende seien vor allem jüdische Senioren, Familien mit Kindern und Jugendliche. Zugleich seien aber 96 Prozent der befragten Gemeinden zufrieden mit der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden. „Die Ambivalenz der Ergebnisse ist in dieser Form eine wirkliche Neuigkeit und eine wichtige Erkenntnis“, sagte Schuster.
In einem Interview der „Zeit“ äußerte sich der Zentralratspräsident enttäuscht, dass viele in Deutschland gegenüber Antisemitismus gleichgültig seien. „Ungefähr 20 Prozent der deutschen Bevölkerung haben antijüdische Vorurteile“, sagte Schuster. „Das heißt: Die Mehrheit denkt nicht so.“ Aber wenn die Hamas einen Tag des Zorns ausrufe und Eltern Angst hätten, ihre Kinder in jüdische Kindergärten oder zum Sport zu schicken, dann sei das vielen egal. „Sie denken nichts. Sie sagen nichts. Der Hass auf uns berührt sie nicht. Dieses Schweigen ist bitter.“
Antisemitismus aus verschiedenen Lagern
Seit dem Hamas-Angriff sehe er mit Blick auf Antisemitismus „tatsächlich mehr Probleme in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund aus der arabischen und aus der türkischen Welt“, sagte Schuster. Zudem erlebe man antisemitische Äußerungen und Aktionen auch verstärkt aus linken und akademischen Kreisen. „Die Bedrohung aus dem rechtsextremen Lager ist nicht verschwunden“, sagte Schuster. „Nur haben die anderen gerade die lautere Stimme. Das benenne ich, weil es uns tangiert. Wir wollen frei leben in Deutschland, in unserem Land.“
Von einer gestiegenen Zahl von Übergriffen, Beleidigungen, Drohungen und Diskriminierungen berichten ihrerseits auch Muslime in Deutschland. 187 Fälle dokumentierte nach eigenen Angaben die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit Claim vom 9. Oktober bis 29. November. Darunter seien 149 Angriffe gegen Einzelpersonen oder Gruppen wie Familien im öffentlichen Raum. 24 Übergriffe hätten sich gegen religiöse Einrichtungen gerichtet, darunter die Schändung von muslimischen Grabmälern und Angriffe auf Moscheen.
Als Beispiel nannte Claim eine Schülerin in Berlin, die wegen einer Kette mit der Aufschrift „Allah“ von Mitschülerinnen körperlich angegriffen worden sei. Ebenfalls in Berlin sei ein Mann, der als Moslem betrachtet worden sei, beim Verlassen eines Busses als Terrorist beschimpft und auf den Kopf geschlagen worden.