Berlin. Es hat bis in den frühen Morgen gedauert - doch dann haben sich Bund und Länder auf einen Migrationskompromiss verständigt. Das gilt auch für die heiklen Finanzfragen.

Bund und Länder haben sich nach monatelangem Streit über die Aufteilung der Flüchtlingskosten geeinigt und Maßnahmen zur Verringerung der irregulären Migration nach Deutschland vereinbart.

Vorgesehen sind dabei auch Leistungseinschränkungen für Asylbewerber. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am frühen Morgen nach knapp neunstündigen Beratungen mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder von einem „sehr historischen Moment“. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) betonte, man habe einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. „Klar ist aber auch, dass ein Weg aus sehr vielen Schritten besteht, und natürlich noch weitere Schritte folgen müssen.“

Es sei gelungen, dass alle Ebenen des Staates eng zusammenarbeiten, sagte Scholz. „Und das ist auch notwendig, das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns, dass wir das tun.“ Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) versicherte, man habe es am Ende geschafft, „wirklich zu einem guten Gesamtergebnis zu kommen“.

Er wünsche sich, dass dies nun durch eine Einigung zwischen Bundesregierung und Union ergänzt werde. Der Beschluss von Bund und Ländern biete dafür „eine sehr gute Grundlage“. Dass es auch eine Einigung in der umstrittenen Finanzierungsfrage gegeben habe, sei bis zum frühen Morgen ungewiss und keine Selbstverständlichkeit gewesen.

Finanzierung der Flüchtlingskosten wird umgestellt

Bund und Länder einigten sich auf eine Systemumstellung bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten. Vom kommenden Jahr an zahlt der Bund für jeden Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale von 7500 Euro und nicht mehr eine jährliche Gesamtsumme von derzeit rund 3,7 Milliarden Euro. Scholz sprach vom „Übergang zu einem atmenden System“ und erläuterte: „Mit steigenden Zahlen gibt's mehr Geld, mit sinkenden Zahlen gibt's weniger.“

Hessens Ministerpräsident Rhein erklärte, die Länder könnten sich immer vorstellen, vom Bund noch mehr Geld zu bekommen. Er erläuterte, dass es zusammen mit Entlastungen um ein Volumen von insgesamt rund 3,5 Milliarden Euro für die Kommunen gehe. Es sei gelungen, „hier Handlungsfähigkeit zu beweisen“.

Weil rechnete vor, die Bundesregierung habe für das kommende Jahr 1,2 Milliarden Euro geben wollen, die Länder hätten eher 5 Milliarden Euro gewollt. „Dass es gelungen ist, unter diesen Bedingungen ziemlich genau auf der Mitte zueinander zu kommen, das ist zu früher Morgenstunde wirklich ein Ausrufezeichen wert.“ Für die Kommunen gebe es 2024 sogar „einen wesentlichen zusätzlichen Erstattungsbetrag“, weil bei den 3,7 Milliarden Euro für dieses Jahr eine Sonderzahlung für Ukraine-Flüchtlinge enthalten sei, die man rausrechnen müsse.

Verringerung der Asylbewerberzahlen

Bund und Länder hielten fest, dass derzeit zu viele Menschen nach Deutschland flüchteten. „Klare und zielgerichtete Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung“ seien daher nötig. So will die Bundesregierung prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Asylverfahren sollen schneller abgewickelt werden als bisher, dafür setzen sich Bund und Länder neue Zielmarken. Insbesondere bei Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als fünf Prozent soll das Asylverfahren in drei Monaten abgeschlossen sein. An den Kontrollen, die Deutschland derzeit an den Grenzen zur Schweiz, Tschechien, Polen und Österreich durchführt, will man festhalten. Asylbewerber in Deutschland sollen mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf einer Bezahlkarte bekommen.

Leistungskürzungen für Asylbewerber

Wenn sich Verfahren hinziehen, sollen künftig nicht nur 18, sondern 36 Monate lang nur Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden. Aktuell haben Asylbewerber eineinhalb Jahre lang Anspruch auf ein Dach über dem Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Nach 18 Monaten steigen die Sätze ungefähr auf Höhe der regulären Sozialhilfe. Dieser Schritt soll künftig später erfolgen, was im Effekt eine Kürzung der staatlichen Leistungen bedeutet.

Streit in der Ministerpräsidentenrunde über Zusatzforderungen

Vor Beginn des Treffens im Kanzleramt hatte es bei den Beratungen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten Streit beim Migrationsthema gegeben. Die unionsgeführten Länder und das grünengeführte Baden-Württemberg überrumpelten die SPD-Seite mit einem Katalog von neuen Forderungen. Sie stellten sich unter anderem hinter einen Vorschlag von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Asylverfahren auch außerhalb von Europa zu ermöglichen. Dies will der Bund nun prüfen - ein Schritt, den SPD, Grüne und FDP ähnlich bereits im Koalitionsvertrag vereinbart hatten.

Die Beratungen zogen sich drei Stunden länger hin als ursprünglich geplant. Sie seien „nicht so wirklich erquicklich“ gewesen, sagte anschließend ein genervt wirkender Weil.

Kommission zur besseren Steuerung vereinbart

Bund und Länder beschlossen, eine Kommission zur besseren Steuerung der Migration einzusetzen. Es soll ein breites gesellschaftliches Bündnis gegründet werden, das gemeinsam Lösungen zur Steuerung der Migration und zur Verbesserung der Integration mit dem Ziel der Bewahrung des gesellschaftlichen Friedens erarbeiten soll. Daran könnten zum Beispiel Kirchen und Gewerkschaften, Wissenschaftler und auch Vertreter von Organisationen teilnehmen, die sich für die Belange von Asylbewerbern einsetzen, hieß es.