Berlin/Frankfurt/Main. Der Kanzler kommt mit Landesregierungschefs und dem Oppositionsführer zusammen, um über die Migration nach Deutschland zu reden. Laut einer Umfrage kommt das bei den Menschen in Deutschland gut an.
Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich bei der Begrenzung irregulärer Zuwanderung einen Konsens zwischen der Ampel-Koalition und der Union als größter Oppositionskraft. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich 52 Prozent der Befragten für eine Zusammenarbeit von SPD, Grünen und FDP mit der Union bei dem Thema aus. Nur 33 Prozent meinen, die Zuwanderung nach Deutschland sollte von der Bundesregierung alleine geregelt werden.
Heute kommt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Landesregierungschefs Boris Rhein (Hessen, CDU) und Stephan Weil (Niedersachsen, SPD) als Vertretern der Ministerpräsidentenkonferenz sowie CDU-Chef Friedrich Merz als Oppositionsführer im Bundestag zu einem ersten Spitzengespräch in dieser Konstellation über die Migration nach Deutschland zusammen. Die Union will den von Scholz vorgeschlagenen „Deutschlandpakt“ zwischen Bund, Ländern und Opposition vor allem für eine Zusammenarbeit beim Thema Migration nutzen.
Ebenfalls heute beenden die Ministerpräsidenten der Länder ihr zweitägiges Treffen in Frankfurt. Sie wollen vor allem die für 6. November geplante Runde mit Bundeskanzler Scholz vorbereiten. Dann ist eine Grundsatzentscheidung über dauerhaft höhere Bundesmittel für die Bewältigung der Flüchtlingskosten geplant.
Zwei Drittel halten Flüchtlingszahlen für zu hoch
Scholz hatte in den vergangenen Wochen mehrfach gesagt, dass aus seiner Sicht derzeit zu viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Zwei Drittel der Deutschen (66 Prozent) teilen laut YouGov-Umfrage diese Meinung. Nur 20 Prozent meinen dagegen, die derzeitige Flüchtlingszahl sei verkraftbar, Deutschland sollte bloß nicht noch mehr Menschen aufnehmen. Nur acht Prozent sind der Auffassung, es könnten noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Von Januar bis August stellten mehr als 200.000 Menschen erstmals einen Asylantrag in Deutschland, die meisten aus Syrien und Afghanistan. Das ist ein Anstieg um 77 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Zudem hielten sich zuletzt mehr als eine Million ukrainische Kriegsflüchtlinge hier auf.
Diskussion um „Arbeitspflicht“
Kurz vor dem Spitzentreffen im Kanzleramt forderte der Deutsche Landkreistag eine Arbeitspflicht für alle Migranten in Deutschland. „Wer gesund ist und nicht gehandicapt ist, muss arbeiten. Eine Arbeitspflicht muss her“, sagte Verbandspräsident Reinhard Sager der „Bild“. Dabei sei es egal, ob es sich beispielsweise um gemeinnützige Arbeit oder eine Arbeit in der Gastronomie handele.
Die Ampel-Regierung hatte am Mittwoch einen Gesetzentwurf für erleichterte Abschiebungen vorgelegt und angekündigt, noch bestehende Arbeitsverbote für Geflüchtete demnächst größtenteils aufheben zu wollen. Bislang haben Asylbewerber je nach Unterbringung und familiärer Situation in der Regel nach drei, sechs oder neun Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt. Das gilt nicht für Schutzsuchende, deren Asylverfahren als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt wurden.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach sich gegen Lockerungen von Arbeitsverboten für Asylsuchende aus. Er sagte der „Augsburger Allgemeinen“: „Angesichts der vielen anerkannten Asylbewerber, die arbeiten dürfen, aber arbeitslos sind, ist die Diskussion um Lockerungen der Arbeitsverbote absurd.“
MPK-Chef Rhein will Einigung der Länder
Der MPK-Vorsitzende Rhein sagte gestern beim Auftakt der zweitägigen Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) in Frankfurt, dieses Forum sei im föderalen System in Deutschland noch bedeutsamer als das Spitzentreffen im Kanzleramt. Für den hessischen CDU-Regierungschef, der gerade eine Landtagswahl gewonnen hat, ist es nach eigenen Worten am wichtigsten, dass die Länder beim Thema Flüchtlinge und bei der Finanzierungsfrage eine Einigung und starke Argumente haben, um den Bund zu überzeugen.
Einig sind sich die Länder mit ihren finanziellen Forderungen an den Bund und dabei, dass die Bundesregierung die auf europäischer Ebene geplante Reform des Asylsystems vorantreiben soll, damit weniger Schutzsuchende nach Deutschland kommen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) knüpft eine höhere Kostenbeteiligung des Bundes aber an eine Bedingung. Er sagte der „Rheinischen Post“: „Es geht nicht zuerst darum Migration zu finanzieren, sondern illegale Zuwanderung zu reduzieren.“ Es müssten „Anreize des Sozialsystems“ reduziert werden. „Deshalb kann die Kostenbeteiligung des Bundes nicht getrennt vom Wechsel auf Sachleistungen geklärt werden“, sagte er zur Debatte um Leistungen für Asylbewerber.
Forderung nach Bezahlkarten für Asylbewerber bundesweit
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach sich für die bundesweite Einführung von Bezahlkarten für Asylbewerber aus. „Deutschland muss sich der Anziehungskraft seines sozialen Sicherungssystems bewusst sein und entsprechende Konsequenzen ziehen“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Ich halte eine schnellstmögliche bundesweite Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende für ein richtiges Signal.“ Generell gilt, dass die Entscheidung über Bezahlkarten oder Sachleistungen nicht vom Bund getroffen wird, sondern vor Ort.
Wüst forderte zudem schnellere Asylverfahren. Er sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, nötig sei mehr Routine im Umgang mit Asylsuchenden aus Staaten, in denen meist gar keine Verfolgung drohe. „Ein beschleunigtes Asylverfahren sollte automatisch greifen, sobald die Anerkennungsquote eines Staates unter fünf Prozent sinkt - und die Lageeinschätzung der Bundesregierung positiv ist.“ Die Bundesregierung müsse dazu sofort eine Gesetzesgrundlage schaffen.