Magdeburg. Von den Richtungskämpfen ist bei der AfD nicht mehr viel zu spüren. Doch trotz aller zur Schau gestellten Einigkeit bekommt der Spitzenkandidat für die Europawahl nicht so viele Stimmen wie einst Jörg Meuthen.
Einstecktuch, üppiger Seitenscheitel und ein Tonfall, den manche AfD-Mitglieder gewinnend und andere ölig finden: Maximilian Krah, der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl im nächsten Juni, ist auch in den eigenen Reihen nicht unumstritten.
Den Delegierten in Magdeburg ruft der 46-Jährige zu: „Wir sind ein Volk, weil, wenn wir unsere Familienalben zeigen, dann erkennen wir, dass schon unsere Großväter und unsere Urgroßväter ein Volk sind.“
Krah führt aus, wer aus seiner Sicht zum deutschen Volk gehört und wer nicht und erzählt Kalauer wie: „Es gibt, liebe Freunde, an deutschen Sonderschulen keine dummen Menschen, aber vergleichen Sie das einmal mit einem Grünen-Parteitag.“ Das überzeugt am Ende 65,7 Prozent der Anwesenden, die ihm ihre Stimme geben.
Meuthen erhält damals 90 Prozent der Stimmen
Am gleichen Ort hatte die AfD im November 2018 ihren damaligen Parteivorsitzenden Jörg Meuthen zum Spitzenkandidaten für die Europawahl gewählt. Meuthen, der die Partei mittlerweile verlassen hat, erhielt damals rund 90 Prozent der Stimmen. Viele hatten vor der jüngsten Versammlung hinter vorgehaltener Hand Bedenken gegen Krah geäußert, der als schillernde Figur gilt und unter anderem wegen seiner Nähe zu China kritisiert wird. Er selbst spricht von einer anonymen Schmutzkampagne.
So krawallig wie bei früheren Versammlungen geht es in Magdeburg nicht zu. Das mag auch daran liegen, dass diejenigen, die sich offen gegen den Kurs der rechtsnationalen Strömung stellen, inzwischen entweder die Partei verlassen haben oder in die innere Emigration gegangen sind. Zur zweiten Gruppe zählen beispielsweise einige Parteimitglieder, die bei der Bundeswehr Karriere gemacht haben und jetzt mit dem russlandfreundlichen Kurs der AfD hadern.
Abgesehen von der Frage, ob Deutschland langfristig in der EU und der Nato bleiben sollte, gibt es in der AfD des Jahres 2023 weniger parteiinternen Meinungsstreit als noch vor Jahren. Die Machtkämpfe zwischen verschiedenen Gruppierungen sind allerdings nicht beendet, wie die Kampfkandidaturen für mehrere der vorderen Listenplätze zeigen.
Der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter, der als möglicher Gegenkandidat zu Krah gehandelt worden war, ist in Magdeburg aber gar nicht erst vor Ort. Er galt eine Zeit lang als möglicher Hoffnungsträger derjenigen, die nach der inneren Logik der AfD als „Gemäßigte“ gelten.
AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft
Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD inzwischen als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstuft und mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet, quittieren die meisten Spitzenpolitiker der Partei mit einem Schulterzucken. Sie verweisen darauf, dass man sich dagegen juristisch zur Wehr setze. Sie behaupten, die Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes sei politisch motiviert. Fakt ist, dass die AfD mit ihrer Klage gegen die Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes vor dem Kölner Verwaltungsgericht gescheitert ist. Über die von der Partei eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht in Münster noch nicht entschieden.
Den „Flügel“, den der Vorsitzende des Thüringer Landesverbandes, Björn Höcke, 2015 gegründet hatte, gibt es schon seit mehr als drei Jahren formal nicht mehr. BfV-Chef Thomas Haldenwang ist allerdings überzeugt, dass die Ideologie der Rechtsaußen-Strömung in der Partei weiterlebt und sogar an Gewicht gewonnen hat. Höcke wird bei seiner Ankunft im Saal am Samstag sofort von mehr als einem Dutzend Parteifreunden umringt. Mit der Arbeit der amtierenden Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel sei er momentan „sehr zufrieden“, sagt Höcke dem TV-Sender Phoenix am Rande des Parteitages.
Damit stimmt Höcke in den Ton ein, den auch Chrupalla und Weidel in Magdeburg anschlagen. Fast schon überschwänglich loben sie die Zusammenarbeit im Vorstand. Das bringt Beifall der Delegierten. Angesichts von aktuellen Umfragewerten zwischen bundesweit 18 und 22 Prozent soll die Einheit demonstrativ nach außen getragen werden - ebenso wie die Erfolge. Robert Sesselmann aus Sonneberg in Thüringen, der erste AfD-Landrat in Deutschland, gibt Autogramme auf seine Wahlplakate. Die Delegierten sichern sich diese stolz als Souvenir.
Zu den Besuchern der Europawahlversammlung zählt ein mittelalter Mann im weißen Polohemd mit „Flügel“-Logo. Weitere modische Accessoires, die auf der Versammlung in einer schlichten Messehalle mit Kunststoffboden zu sehen sind: eine Krawatte in Schwarz-Rot-Gold sowie eine Jacke mit dem Parteilogo und dem Umriss Deutschlands. Vereinzelt sieht man auch Tätowierungen an Hals und Kopf, was in der noch stärker gesellschaftlich konservativ geprägten „Professoren-Partei“ der frühen Jahre vermutlich für Kopfschütteln gesorgt hätte.