Berlin. Mehrere Tausend Menschen sterben auch in Deutschland, wenn extreme Hitze herrscht. Der Gesundheitsminister will die Vorbeugung auf breiter Front voranbringen - und nennt auch ein konkretes Ziel.
Mehr öffentliche Informationen, mehr Vorbereitung, direkte Tipps von Hausärztinnen und Hausärzten: Mit einer Reihe von Schutzmaßnahmen sollen Gesundheitsschäden und Tote durch Hitzewellen in Deutschland noch in diesem Sommer stärker vermieden werden.
„Wir haben das Ziel, die Zahl der Sterbefälle in diesem Jahr zu halbieren, also unter 4000 zu halten“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Ein jetzt vorgelegter Hitzeschutzplan sieht dazu auch mehr Aufklärung und Betreuung in Pflegeheimen vor. Im Blick stehen zudem Kliniken und Gesundheitsämter. Patientenschützern reichen die Pläne nicht aus, die Opposition warnte vor Alarmismus.
„Hitze kann tödlich sein“, steht vor rotem Hintergrund auf einem neuen Plakat, das Lauterbach in Berlin vorstellte. Es soll zentrale Verhaltenstipps bekannter machen - etwa „ausreichend Wasser trinken“ oder „Anstrengungen vermeiden“. Oberstes Ziel der Vorbeugung sei der Schutz von Risikogruppen, heißt es im Plan des Ministeriums - also von Älteren, Kindern, chronisch Kranken, allein lebenden Menschen, Pflegebedürftigen, Menschen mit Behinderungen und Obdachlosen.
RKI: 1500 Hitzetote in Deutschland in vergangenen Monaten
Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) sei allein von Mitte April bis Mitte Juli von 1500 Hitzetoten in Deutschland auszugehen, erläuterte das Ministerium - darunter 880 Menschen, die 85 Jahre oder älter waren. Beim Berechnen der Zahl der Hitzetoten wird verglichen, wie viele Menschen mehr in Wochen mit hohen Temperaturen sterben als in vergleichbaren Wochen. Das Barcelona Institute for Global Health hatte von 8170 hitzebezogenen Toten im Sommer 2022 in Deutschland berichtet. In ganz Europa waren es demnach mehr als 60.000 Tote.
Die Aufklärung forcieren wollen auch die Hausärztinnen und Hausärzte, wie der Verbandsvorsitzende Markus Beier sagte. Denn sie behandeln jährlich 34 Millionen chronisch Erkrankte. Dabei solle jeder Kontakt für Informationen, Tipps und individuelle Beratung zum Hitzeschutz genutzt werden - etwa, wenn Menschen mit Inkontinenz eigentlich nicht so viel trinken wollen, wenn sie einkaufen gehen. Wichtig seien auch Hinweise, dass Medikamente bei Hitze anders wirken könnten, erklärte Beier. Schulungen für Ärztinnen und Ärzte seien schon angelaufen.
Frankreich als Vorbild
Ausgebaut werden sollen generell die Informationen vor Hitzewellen, ausgehend von Warnungen des Deutschen Wetterdienstes. Lauterbach sagte, er habe dazu mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) auch öffentliche Rundfunkhäuser angeschrieben. Das Ziel: Infos zu Hitzeschutz sollten mehr in den Nachrichten thematisiert werden. Im August soll mit Vertretern der Krankenhäuser und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes über weitere Schutzvorkehrungen beraten werden.
Mit dem Bundesinnenministerium werden demnach Möglichkeiten für akute Gefahrenwarnungen vorbereitet, etwa über SMS-Nachrichten auf Handys oder die offizielle bundesweite Nina-Warnapp. Das sei aber nicht vor normalen Hitzewellen nötig, erläuterte Lauterbach - sondern nur für katastrophale Hitzesituationen, in denen am Tag auch mehrere Hundert Menschen sterben könnten. Ob das System in diesem Sommer zum Einsatz kommen kann, steht demnach noch nicht fest. Im Herbst soll dann bei einer Konferenz eine Bilanz der ersten Maßnahmen gezogen werden.
In engem Austausch sei man auch mit den französischen Behörden, sagte Lauterbach. Denn den Hitzeschutzplan im Nachbarland hatte er schon ausdrücklich als Vorbild genannt. Dort sollen in der höchsten von vier Warnstufen Kommunen etwa den Zugang zu Schwimmbädern und Stränden erleichtern, Wasser verteilen oder den Sportunterricht an Schulen streichen. Der deutsche Hitzeschutzplan entspreche nun zu 80 Prozent dem, was auch in Frankreich gemacht werde, sagte Lauterbach.
Kritik: „Aneinanderreihungen von Selbstverständlichkeiten“
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte das Konzept des Ministers: „Aneinanderreihungen von Selbstverständlichkeiten sind kein Hitzeschutzplan“, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Apps, Plakate und Warnmeldungen senken die Temperaturen in den Räumen von Kranken und Pflegebedürftigen um kein Grad Celsius.“ Ein Hitzeschild sei nicht zum Nulltarif zu haben. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte, wichtig für langfristigen Hitzeschutz seien auch Umbauten in Kliniken und Pflegeheimen. CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge hielt Lauterbach unangemessenen Alarmismus vor. Bei Schutz und Vorsorge sollte der gesunde Menschenverstand Richtschnur sein.
Der Minister äußerte sich auf Nachfrage auch zu dem leichten Wirbel, den eine Twitter-Nachricht aus seinem Italien-Urlaub ausgelöst hatte. Er habe nur darauf hingewiesen, dass die südlichen Länder in Europa in Zukunft mehr mit Hitzewellen zu tun haben würden. Das sei Konsens in der Wissenschaft. „Ich rate nicht vom Urlaub in Italien ab. Ich habe ihn selbst genossen, werde ihn auch wieder genießen.“ Italiens Tourismusministerin Daniela Santanchè hatte irritiert auf den Tweet reagiert und erklärt, man sei sich des Klimawandels bewusst, der nicht nur Südeuropa, sondern den ganzen Planeten betreffe - und man sei sicher, dass die Deutschen Italienurlaub weiter schätzen würden.