Berlin. Wer Gewalt durch Angehörige, Partner oder Ex-Partner erlebt, geht oft nicht zur Polizei. Eine Untersuchung soll Licht ins Dunkelfeld bringen. Auch Kontaktverbote sollen durchgesetzt werden.
Immer mehr Männer müssen ausziehen oder Abstand halten, weil sie ihrer Partnerin Gewalt angetan beziehungsweise angedroht haben. Das zeigt das aktuelle Lagebild zur häuslichen Gewalt, das in Berlin vorgestellt wurde. Demnach stieg die Zahl der erfassten Tatverdächtigen im Zusammenhang mit Straftaten, bei denen das Gewaltschutzgesetz Anwendung fand, in den vergangenen fünf Jahren um elf Prozent auf 6587 Tatverdächtige im Jahr 2022.
Von den Tatverdächtigen waren 91,7 Prozent männlich. Laut der Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) führten 17 Tatverdächtige eine Schusswaffe mit sich.
Das Gewaltschutzgesetz hilft Opfern häuslicher Gewalt - vor allem durch die Möglichkeit, die eigene Wohnung nutzen zu können, ohne sie mit der gewalttätigen Person teilen zu müssen. Entsprechende Entscheidungen treffen die Familiengerichte auf Antrag der Opfer.
Weitere Schutzmaßnahmen
Neben dem Verbot, die Wohnung zu betreten, gibt es noch weitere Schutzmaßnahmen. Dazu zählt beispielsweise auch ein Kontaktverbot. Wer gegen eine entsprechende Anordnung verstößt, riskiert eine Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Haft. Im vergangenen Jahr zählte die Polizei 4194 Deutsche und 2393 Ausländer als Tatverdächtige, auf die dieses Gesetz Anwendung fand.
Täter müssten bereits nach dem ersten gewaltsamen Übergriff aus der Wohnung verschwinden, betonte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). „Das muss konsequent kontrolliert werden, damit Täter nicht schnell wieder zurückkehren.“ Um Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz effektiv durchzusetzen, sei möglicherweise auch noch eine Gesetzesänderung notwendig.
In Frankfurt am Main war Anfang vergangener Woche eine 40 Jahre alte Mutter von drei Kindern getötet worden. Ihr Ehemann sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Die Frau hatte ihren Mann am 29. Mai unter anderem wegen Körperverletzung und häuslicher Gewalt angezeigt. Kurz darauf wurde ein von der Polizei ausgesprochenes Annäherungsverbot per Gerichtsbeschluss bestätigt. Wenige Stunden vor ihrem Tod hatte sich die 40-Jährige noch an die Polizei gewandt und berichtet, ihr Mann habe sie in einem Park in der Nähe des Hauses aufgesucht und festgehalten. Sie habe sich aber von ihm entfernen und nach Hause gehen können. Die Beamten suchten nach dem Mann, konnten ihn aber nicht entdecken.
Einsatz der elektronischen Fußfessel
„Es müssen endlich die Maßnahmen ergriffen werden, die Frauen wirklich schützen und schlimmste Gewalttaten verhindern“, forderte die Bundesgeschäftsführerin der Frauenrechtsorganisation Terre Des Femmes, Christa Stolle. „Dazu gehört die Durchsetzung einer bundesweit einheitlichen Wegweisung des Täters vom Wohnort – und zwar auch mit elektronischer Überwachung, wie es sie in Spanien gibt.“ Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) sagte: „Die Entwicklung der Fallzahlen zeigt die Dringlichkeit der hessischen Initiative, den Einsatz der elektronischen Fußfessel in Eskalationsfällen zur Überwachung von Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz zu ermöglichen.“
SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten: „Wir werden das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern und einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen.“ Für Frauen mit Kindern ist es jedoch in manchen Regionen Deutschlands mitunter schwierig, einen freien Platz in einem Frauenhaus zu finden. „Ich setze mich dafür ein, die Lücken im Netz der Frauenhäuser und Beratungsstellen zu schließen“, betonte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne).
Trotz schwieriger Haushaltslage seien dafür deshalb in diesem und im kommenden Jahr zusätzliche Mittel vorgesehen. „Es ist nicht verständlich, warum die Bundesregierung die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag im Bereich Gewaltprävention und Schutz so zögerlich angeht und kaum Geld dafür in die Hand nimmt“, kritisierte die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Beate von Miquel. Paus sagte, ihr Ministerium bereite aktuell ein Gesetz vor, dass für Betroffene einen Rechtsanspruch auf Schutz vorsehe.
Frauen und Mädchen werden insgesamt häufiger Opfer von Gewalt in der Familie als Jungen und Männer. Die Statistik für 2022 zeigt, dass der Anteil der männlichen Opfer innerfamiliärer Gewalt lediglich bei Kleinkindern - in der Altersgruppe bis sechs Jahre - mit 3192 betroffenen Jungen leicht über dem der Mädchen liegt (2993 Betroffene). Besonders groß ist der Unterschied im Teenageralter. Im vergangenen Jahr wurden demnach bundesweit 4087 männliche Opfer von Gewalt in der Familie im Alter zwischen 14 und 18 Jahren erfasst. Im gleichen Zeitraum registrierte die Polizei 5972 Mädchen dieser Altersgruppe, die Opfer innerfamiliärer Gewalt wurden.
Gewalt geht am häufigsten von der Familie aus
In 35,3 Prozent der Fälle, und damit am häufigsten, ging Gewalt in der Familie von einem Elternteil aus. Dass ein Kind gegen die Eltern Gewalt ausübte, kam laut Statistik in rund 23 Prozent der Fälle vor. Bei rund 18 Prozent der Straftaten waren sonstige Angehörige tatverdächtig. In knapp 17 Prozent der Fälle ging die Gewalt mutmaßlich von Geschwistern aus.
Das BKA weist in seinem Lagebild darauf hin, dass gerade bei Gewalt in der Familie oder zwischen Partnern von einem hohen Dunkelfeld auszugehen sei. „Vieles deutet darauf hin, dass die Anzeigebereitschaft größer geworden ist“, sagte Faeser.
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 240.547 Opfer von häuslicher Gewalt gezählt - 8,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg auf 197.348. Faeser und Paus gaben am Dienstag den Startschuss für eine Dunkelfeldstudie zur Partnerschaftsgewalt, für die rund 22.000 Menschen befragt werden sollen. Im vergangenen Jahr erreichten das rund um die Uhr unter der Nummer 116.016 erreichbare Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ täglich durchschnittlich 65 Anrufe von weiblichen Gewaltopfern.