Karlsruhe. Trotz Schuldenbremse wurde der Haushalt 2021 mit 60 Milliarden Euro aufgestockt - bei Notlagen wie der Corona-Krise geht das. Aber darf der Bund das Geld auch für Klimaschutz nutzen?
In Notlagen wie einer Pandemie darf der Staat trotz Schuldenbremse Kredite aufnehmen - aber darf er auch Gelder zur Bekämpfung der Corona-Krise umschichten in Fonds zum Klimaschutz? Mit dieser Frage hat sich das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch beschäftigt. „Wir haben ein heftiges Programm vor uns“, sagte die Vorsitzende des Zweiten Senats, Doris König, zu Beginn der Verhandlung in Karlsruhe.
Diskutiert wurde vor allem, ob die Kreditermächtigung auch wirtschaftliche Krisenfolgen abdecken darf und wann nachträgliche Haushaltsänderungen beschlossen werden müssen. Ein Urteil wird erst in geraumer Zeit erwartet. (Az. 2 BvF 1/22)
Nachträgliche Änderung des Haushalts 2021
Hintergrund ist eine nachträgliche Änderung des Haushalts 2021. Der Bund hatte ihn wegen der Corona-Krise zunächst um 60 Milliarden Euro aufgestockt. Weil das Geld am Ende nicht gebraucht wurde, schichtete die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP mit Zustimmung des Bundestages die Kreditermächtigung auf den sogenannten Klima- und Transformationsfonds 2022 rückwirkend um. Dagegen klagten 197 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg sagte am Mittwoch, die Schuldenbremse brauche eine wirkliche Bremswirkung, damit nicht immer wieder Vorratskassen angelegt und Verwendungszwecke geändert würden. Auch in Notlagen müsse klar sein, wo der Spielraum des Staates für Kreditermächtigungen ende, ergänzte der Bevollmächtigte der Union, Karsten Schneider.
Dagegen argumentierte Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, die Corona-Pandemie sei eine außergewöhnliche Notsituation gewesen. Die Volkswirtschaft habe geschwächelt, auch private Investitionen hätten angestoßen werden müssen. Der Bevollmächtigte der Bundesregierung, Joachim Wieland, betonte, dass es auch darum gegangen sei, nach außen zu zeigen: „Wir haben das Geld reserviert.“ Damit habe ein Stück weit Verlässlichkeit für Investitionen geschaffen werden sollen.
Kritische Fragen vom Bundesverfassungsgericht
Das Karlsruher Gericht stellte beiden Seiten kritische Fragen. Die berichterstattende Richterin Sibylle Kessal-Wulf sprach etwa davon, dass die Schuldenbremse manchmal auch eine „Spaßbremse“ sei. Richter Peter Müller hinterfragte, ob dem Gesetzgeber bei der Haushaltsaufstellung durch die Schuldenbremse „engere Fesseln auch in der Situation der Notlage“ angelegt werden sollten.
Als Sachverständiger sagte der Finanzwissenschaftler Thiess Büttner, mit den Kreditermächtigungen, um die es hier gehe, würden künftige Regierungen zur Konsolidierung gezwungen. Anders als bei sonstiger Staatsverschuldung könne nicht immer wieder mit neuen Krediten nachgelegt werden, weil eine Pflicht zur Tilgung bestehe. Der Professor sprach gar von einer Umkehr der Schuldenbremse.
Aus Sicht des Ökonomie-Professors Jens Südekum hat Deutschland in der Pandemie nicht „überreagiert“. Solche Situationen hätten einen Nachhall, den man auch dann noch spüre, wenn die eigentliche Krise schon vorbei sei. Das sei auch in diesem Fall zu sehen, sagte er.
Wenn das Gericht den Nachtragshaushalt wegen Verstoßes gegen die Maßgaben der Schuldenbremse für verfassungswidrig erklären sollte, wäre die Übertragung der Kreditermächtigungen ungültig. Dazu sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch im Bundestag, das würde Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen.
In einer Eilentscheidung im November hatte das höchste deutsche Gericht grünes Licht für die Haushaltsänderung gegeben. Der Schaden wäre groß, würde das Ganze gestoppt, stellte es sich später aber als verfassungsgemäß heraus. Zugleich merkte der Senat an, dass gegen verfassungsrechtliche Vorgaben an notlagenbedingte Kreditaufnahmen des Bundes verstoßen worden sein könnte. Um die Details ging es nun.