Berlin/Magdeburg. Bislang bleibe die Gruppe „bemerkenswert“ ruhig, wenn sie angegriffen werde, sagt Extremismus-Experte Matthias Quent. Das Vorgehen der Polizei gegen die Letzte Generation könne aber Einzelne aufwiegeln.
Der Extremismusforscher Matthias Quent sieht die Gefahr, dass das Vorgehen der Ermittler gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation zu einer Radikalisierung führen könnte. Das Exempel, das statuiert werden solle, könne „Abschreckungseffekte haben, die nach hinten losgehen“, sagte Quent der Deutschen Presse-Agentur.
Diese könnten dazu führen, dass sich Menschen, die sich für Klimaschutz einsetzen, vom Staat nicht unterstützt, sondern im Stich gelassen fühlten. „Das kann dazu führen, dass sich Einzelne radikalisieren“, sagte Quent.
Ermittlungen gegen Klimaschutzgruppe
Polizei und Staatsanwaltschaft waren gestern mit einer bundesweiten Razzia gegen die Klimaschutzgruppe vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.
Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es zunächst nicht. Die Aktivisten bestritten vehement, kriminell zu sein. Am Mittwochabend demonstrierten in Berlin Hunderte Menschen aus Solidarität mit der Gruppe. Für heute ist ein Protestmarsch in München geplant.
Hintergrund der Ermittlungen und Durchsuchungen sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft zahlreiche Strafanzeigen. Die Gruppe macht regelmäßig mit Sitzblockaden und Aktionen in Museen auf die Folgen der Erderhitzung aufmerksam. Die Mitglieder kleben sich dabei häufig fest - an Straßen oder auch an Kunstwerken.
Quent: Mittel der Aktivisten ist Provokation
Forscher Quent betonte, er sehe bisher keine Hinweise auf eine Radikalisierung bei der Letzten Generation. „Im Gegenteil: Ich finde es bemerkenswert, wie ruhig die bleiben, auch wenn sie angegriffen werden.“
Die Aktivisten machten stoisch das, was sie die ganze Zeit gemacht hätten. „Ich sehe im Sinne einer Radikalisierung hin zu extremeren Mitteln oder zu Gewalt oder zu der Ablehnung von Demokratie - also das, was wir unter Extremismus beschreiben - da sehe ich eigentlich keine Indikatoren“, sagte Quent.
Die Strategie dieser Gruppe sei nicht, durch Gewalt einen Schaden zu verursachen, sondern es gehe immer um den öffentlichen Effekt. Das Mittel der Aktivisten sei nicht die Beschädigung, sondern die Provokation und die Irritation. Quent verwies auch darauf, dass keine Steigerung der Aktionen erkennbar sei.
Die Letzte Generation habe bislang immer ausgezeichnet, dass die Aktivisten ihr Gesicht zeigten, dass sie reformistische Forderungen stellten und keine revolutionären. Es bestehe aber die Gefahr, „dass solche Dinge kippen, weil das letzte Vertrauen, das vielleicht noch in Demokratie und Rechtsstaat da ist, bei einigen verloren geht“, sagte Quent. Das habe man in der Forschung in sozialen Bewegungen in den letzten Jahrzehnten immer wieder gefunden.
Zweifel an Einstufung als kriminelle Vereinigung
Berlins neue Justizsenatorin Felor Badenberg nannte das Vorgehen der Gruppe „befremdlich“. „Wer trägt die Verantwortung, wenn da jemand zu spät ins Krankenhaus kommt?“, sagte die frühere Vizepräsidentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz der dpa.
Sie kritisierte weiter: „Es gibt Menschen, die ihre Kinder nicht pünktlich von der Kita abholen können, nicht zu ihren pflegebedürftigen Eltern gelangen bis hin zu Geschäftsleuten, die Termine nicht wahrnehmen können, Flüge verpassen, finanzielle Einbußen haben.“
Natürlich sei es gut, dass sich junge Menschen für Politik interessieren, auf die Straße gingen und demonstrierten. „Was mich bei der Letzten Generation irritiert, ist die gewählte Protestform. Ich finde es belastend, dass die Aktivisten andere Menschen mittels Gewalt - im juristischen Sinne - tagtäglich nötigen.“
In den ARD-„Tagesthemen“ sagte Badenberg aber, in Gänze könne die Gruppe nicht als eine kriminelle Vereinigung eingestuft werden, „sondern es geht ja immer um dem konkreten Einzelfall, den dann die Gerichte zu bewerten haben“.
Gysi mahnt engeren Austausch mit Aktivisten an
Der SPD-Innenexperte Sebastian Hartmann sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Staatsanwaltschaften in einem demokratischen Rechtsstaat handelten erst dann, wenn ein Anfangsverdacht vorliege und die Vorermittlungen abgeschlossen seien. „Wenn man sich zu einem solchen Schritt entschließt, scheint es offenbar eine Änderung der Strategie der Letzten Generation zu geben.“ Der Rechtsstaat müsse eine Trennlinie ziehen zwischen legitimem Protest und der Verabredung zur Begehung von Straftaten. Am Ende müssten Gerichte darüber entscheiden.
Der Linken-Politiker Gregor Gysi mahnte erneut einen engeren Austausch mit den Aktivisten an. Dem „Tagesspiegel“ sagte er: „Die Eskalation durch die Justiz ist der falsche Weg.“ Viele Aktionen gehen ihm demnach zu weit. Aber: „Wenn die Politik und die Justiz eskalieren, werden auch die jungen Leute eskalieren. Wo soll die Entwicklung hingehen?“ Gysi hatte Ende November in Berlin als Anwalt einen Aktivisten vor Gericht verteidigt, der sich bei Straßenblockaden in Berlin auf den Asphalt geklebt hatte.