Berlin. In Hamburg lebender Sohn des deutschen Staatsoberhauptes rät dem 75-Jährigen, lieber den Lebensabend mit Daniela Schadt zu genießen.
Ein fester Termin im Kalender des Bundespräsidenten ist die Weihnachtsansprache. Mut machen, Zuversicht verbreiten, zur Not auch ein paar strenge Worte an die Bürger – für einen ehemaligen Pfarrer wie Joachim Gauck wie geschaffen. „Wir haben gezeigt, was in uns steckt – an gutem Willen und an Professionalität, aber auch an Improvisationskunst“, hat Gauck in diesem Jahr gelobt und ein entschiedenes Eintreten gegen Gewalt und Hass verlangt: „Brandstiftung und Angriffe auf wehrlose Menschen verdienen unsere Verachtung und verdienen Bestrafung.“
In den nächsten Tagen geht es weiter mit präsidialer Routine: mit dem Empfang der Sternsinger, mit dem Neujahrsempfang für die Spitzen des öffentlichen Lebens und dem Neujahrsempfang für Diplomaten. Alles wie immer? Der Eindruck täuscht. Gauck stehen schwierige Wochen bevor.
Der Präsident muss sich bald öffentlich erklären, ob er im Februar 2017 ein zweites Mal für das höchste Staatsamt kandidiert – oder die Öffentlichkeit mit einem Verzicht enttäuscht. Vieles spricht inzwischen für einen Rückzug des 75-Jährigen, was die Bundestagsparteien unter Druck setzen würde, rasch einen Kandidaten zu suchen.
Bislang ist Gauck allen Fragen nach seinen Plänen ausgewichen. Nur einmal hat er sein Hadern öffentlich gemacht: „Ich wäre ein oberflächlicher Präsident, wenn ich nicht intensiv das Für und Wider erörtern würde“. In seiner Familie wird vor allem das Wider diskutiert. Christian Gauck, eines seiner vier Kinder, plaudert bereits aus, was dem Präsidenten von den Angehörigen geraten wird: „Lass es mit der zweiten Amtszeit“, hat der Hamburger ihm bei der letzten Geburtstagsfeier „im Namen der Familie“ erklärt. Gauck solle sich lieber noch unbeschwerte Jahre mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt machen.
Gauck muss sich bald erklären
Viel Zeit, das zu wägen, bleibt nicht. Am 12. Februar 2017 wird die Bundesversammlung den nächsten Präsidenten wählen – nach den Gepflogenheiten klärt der Amtsinhaber ein Jahr vorher über seine Pläne auf, so hielten es Horst Köhler und Johannes Rau. Roman Herzog hatte schon nach zwei Amtsjahren klargemacht, dass er 1999 nicht wieder kandidieren wolle. Macht Gauck weiter, würde er wie bei seiner Wahl 2012 von einer breiten Mehrheit von Union, SPD, Grünen und FDP getragen.
Führende Politiker dieser Parteien ermuntern ihn längst – doch drängen will ihn niemand. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagt der Berliner Morgenpost: „Ich freue mich, wenn Joachim Gauck noch einmal kandidiert.“ Und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt erklärt: „Joachim Gauck macht eine gute Arbeit und repräsentiert uns hervorragend.“ Sie begrüße auch, dass er immer wieder Denkanstöße gebe. „Ich fände es gut, wenn er für eine zweite Amtszeit kandidieren würde. Aber entscheiden muss er selbst“, sagt die CSU-Politikerin.
Die FDP, die Gauck 2012 mit einem spektakulären Manöver gegen den Willen von Kanzlerin Angela Merkel durchgesetzt hatte, hält ebenfalls zum Präsidenten: „Joachim Gauck ist eine wichtige Stimme für den Wert der Freiheit“, sagt FDP-Chef Christian Lindner. „Er ist ein guter Bundespräsident, der im Falle einer neuerlichen Kandidatur gewiss große Unterstützung in der Bundesversammlung hätte. Ob er eine zweite Amtszeit anstrebt, sollte er in aller Ruhe und ohne Drängen entscheiden.“ Für die SPD hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier schon vor Monaten erklärt: „Ich wünsche mir eine zweite Amtszeit von Joachim Gauck.“ Nur die Linke stellt sich gegen den Präsidenten. Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn meint: „Zur Situation der Flüchtlinge kam von ihm lange nichts und dann kaum mehr als gesalbte Worte.“
Am Ende einer zweiten Amtszeit wäre Gauck 82 Jahre alt
Gut möglich, dass Gauck der Linken unfreiwillig den Gefallen tut. Nach Informationen der Morgenpost mehren sich die Hinweise, dass sich Gauck insgeheim für den Ruhestand entschieden hat. Keine Frage, Gauck ist ein guter Präsident, der dem Amt die Würde und Gewicht zurückgegeben hat: Als Repräsentant im Ausland, als nüchterner Mutmacher in der Flüchtlingspolitik, als Demokratielehrer, als streitbarer Verfechter von mehr internationaler Verantwortung Deutschlands. Mit 75 Jahren ist er aber schon jetzt der älteste Präsident, den die Republik je hatte.
Sollte er eine zweite Amtszeit regulär beenden, wäre Gauck bereits 82 Jahre alt. Das Knie bereitet ihm Probleme, langes Stehen strengt ihn an. Die Strapazen, die das Amt mitunter abverlangt, haben Spuren hinterlassen – auch wenn Gauck auf seinen Reisen erstaunliche Kondition beweist. Schon am Anfang hatte er zum Entsetzen seiner Mitarbeiter einmal erklärt, es bleibe bei einer Amtszeit; da hatte er sich mit Terminen überlastet und war überrascht, wie hart das Amt sein kann.
Und er hat ja noch Pläne. Im kleinen Kreis denkt Gauck schon mal darüber nach, wie und wo er sich – befreit von präsidialen Zwängen – gesellschaftlich noch engagieren wird. Roman Herzog, einer seiner Vorgänger, sagt: „Wenn die ersten fünf Jahre gut laufen, erwartet das Volk von den zweiten fünf Jahren Wunderdinge. Sie können aber keine Wunder produzieren.“ Gauck hat erlebt, wie Horst Köhler in seiner zweiten Amtszeit ins Schleudern geriet.
Promis aus Politik und Medien beim Bundespresseball
Gauck ist nicht gerade uneitel
Andererseits: Er ist mit großer Freude erster Mann des Staates. Und uneitel ist er auch nicht. Er fühle sich sicher im Amt, ohne sich selbst fremd geworden zu sein, sagt der frühere Pfarrer. Und er versichert: „Wenn ich im Dienst bin, merke ich das Alter nicht“. Dazu hat er viel zu viel Freude an den Möglichkeiten, die das höchste Staatsamt bietet, an der großen Rede ebenso wie an der Begegnung mit Menschen.
Doch ob das genügt? In der Koalition wird die Frage intern bereits diskutiert – erste Spitzenleute äußern mit gebotenem Respekt die Erwartung, dass Gauck wohl nicht mehr zur Verfügung steht. Vor allem Union und SPD wollen vorbereitet sein: Sieben Monate vor der Bundestagswahl würde die Präsidentenkür als Vorentscheidung über die nächste Koalition gedeutet. Eine Mehrheit für einen eigenen Kandidaten hätten derzeit weder Union noch SPD sicher. Viele verschiedene Konstellationen wären deshalb denkbar.
Wird Kanzlerin Merkel Gauck deshalb noch einmal bitten? Möglich, dass der Präsident auf ein solches Signal wartet. Doch die Kanzlerin lässt sich nichts anmerken. Sie und Gauck haben sich arrangiert. Merkel hat bereits klargemacht, dass Gauck allein entscheiden soll: „Ich werde ihn auf jeden Fall unterstützen, in jede Richtung.“