Köln. Täter für voll schuldfähig erklärt. Sozialdezernentin Reker außer Lebensgefahr. Wahllokale am Sonntag trotz des Anschlags geöffnet.
Gegen den Attentäter von Köln ist nach der Attacke auf die parteilose Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker Haftbefehl erlassen worden. Ihm wird versuchter Mord und mehrfache gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Nach Ansicht eines Gutachters ist der 44-Jährige voll schuldfähig. Es gebe keine Anhaltspunkte, nach der psychologischen Begutachtung daran zu zweifeln, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Sonntag mit. Der Mann hatte die von CDU, Grünen und FDP unterstützte Reker am Samstag im Wahlkampf mit einem Messer attackiert und schwer verletzt. Reker ist nach Angaben ihrer Ärzte außer Lebensgefahr. Als Grund für seine Bluttat hatte der 44-Jährige fremdenfeindliche Motive genannt.
Unterdessen öffneten trotz des Attentats am Sonntag die Wahllokale in Köln. Gut 800.000 Menschen sind in der viertgrößten Stadt Deutschlands aufgerufen, bis 18 Uhr ihre Stimme abzugeben. Die Wahlleiterin Gabriele Klug appellierte an die Kölner, nach dem Angriff auf Reker unbedingt wählen zu gehen.
Opfer hatte offenbar beste Chancen auf Wahlsieg
Die von CDU, Grünen und FDP unterstützte Reker hat einer Umfrage zufolge gute Chancen auf einen Wahlsieg. Sie war am Sonnabend bei einem öffentlichen Auftritt von einem 44-Jährigen mit einem Jagdmesser niedergestochen worden und musste operiert werden. Der Angreifer nannte für seine Tat fremdenfeindliche Motive - Reker ist als Kölner Sozialdezernentin für die Unterbringung von Flüchtlingen in der Domstadt zuständig und hatte sich im Wahlkampf wiederholt für die Integration von Asylbewerbern ausgesprochen.
Nach einer Notoperation war die 58-Jährige am Sonnabend außer Lebensgefahr, wie ihre Ärzte mitteilten. „Wir halten zum jetzigen Stand und bei normalem Verlauf die vollständige Wiederherstellung der Gesundheit von Frau Reker für wahrscheinlich“, sagte Klinikdirektor Karl-Bernd Hüttenbrink.
Attentäter bereits zuvor im Internet mit Hassparolen aufgefallen
Das Attentat hat das spannende Duell um den Chefsessel im Kölner Rathaus in den Hintergrund treten lassen. Dabei könnte Reker die erste parteilose Oberbürgermeisterin und die erste Frau an der Spitze der Domstadt werden. Neben ihr hat einer Umfrage zufolge noch der SPD-Landtagsabgeordnete Jochen Ott Chancen auf den Wahlsieg.
Der 44-jährige Täter hatte Reker am Sonnabendmorgen an einem CDU-Wahlkampfstand auf einem Wochenmarkt niedergestochen. Die 58-Jährige wurde nach offiziellen Angaben im Halsbereich schwer verletzt. Der Mann nannte für seine Tat fremdenfeindliche Motive. Neben Reker wurden auch eine Kölner CDU-Politikerin, eine FDP-Ratsfrau und zwei Bürger verletzt.
Augenzeugen des Attentats erklärten gegenüber der Zeitung „Kölner Stadt-Anzeiger“, der Täter habe kurz vor dem Zustechen gerufen: „Ich rette Messias. Das ist alles falsch, was hier läuft, ich befreie Euch von solchen Leuten“. Reker ist als bisherige Sozialdezernentin in Köln auch für Flüchtlinge zuständig.
Kölns scheidender Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) rief zu Standhaftigkeit auf. „Es geht jetzt darum, dass wir uns nicht unterkriegen lassen“, sagte Roters der Deutschen Presse-Agentur. Die Diskussion um Flüchtlinge in Deutschland werde heftiger, immer häufiger würden Asylbewerberheime angegriffen. „Wir müssen alle gemeinschaftlich darauf achten, dass das Klima des Zusammenlebens nicht beschädigt wird“, appellierte Roters.
Das Attentat hatte bundesweit Sorge über zunehmende Gewalt in der Diskussion über die Aufnahme von Asylbewerbern in Deutschland ausgelöst. „Dieser feige Anschlag in Köln ist ein weiterer Beleg für die zunehmende Radikalisierung der Flüchtlingsdebatte“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Sonnabend. Die Spitzen der NRW-Politik hatten sich als Zeichen gegen Gewalt an einer Menschenkette um das Kölner Rathaus beteiligt.
Eigentlich sollte schon Mitte September in der viertgrößten deutschen Stadt gewählt werden. Die Bezirksregierung hatte aber die Stimmzettel beanstandet, das Votum wurde um fünf Wochen verschoben.
Nach einem unbestätigten Medienbericht soll der Messerstecher in den 1990er Jahren bei bei der Freiheitlichen Deutschen Arbeitspartei (FAP) mitgemacht haben, berichtet „Spiegel Online“ ohne direkten Bezug auf eine Quelle. Die rechtsextreme Gruppe war 1995 vom Bundesinnenministerium verboten worden. Zuletzt sei der Mann mit ausländerfeindlichen Kommentaren im Internet aufgefallen, berichtete „Spiegel Online“ unter Berufung auf Behörden
Ein Bundespolizist war zufällig am Tatort und griff ein
Am Tatort kam es am Morgen zu dramatischen Szenen. Ein Beamter der Bundespolizei, der in seiner Freizeit auf dem Markt war, griff laut Polizei als erster ein und überwältigte den mit zwei Messern bewaffneten Attentäter. Neben Reker wurden auch eine Kölner CDU-Politikerin, eine FDP-Ratsfrau und zwei Bürger verletzt. Reker und eine weitere schwer verletzte Frau wurden in ein Krankenhaus gebracht.
Der festgenommene Mann mit deutscher Staatsangehörigkeit hatte nach Angaben der Ermittler zwei Messer bei sich und griff Reker gezielt an. Nach der Festnahme habe der Angreifer allgemeine Angaben zur Flüchtlingspolitik gemacht, den Namen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dabei nicht erwähnt. Die Polizei teilte am Abend mit, dass der Angreifer weiter in ihrem Gewahrsam sei.
Der Mann handelte nach ersten Erkenntnissen allein. Er werde auch auf seinen psychische Gesundheit untersucht. Nach eigenen Angaben war der Tatverdächtige seit längeren Jahren arbeitslos, von Beruf Maler und Lackierer sowie Hartz IV-Empfänger. Zuvor sei der in Köln lebende Mann polizeilich nicht ausgefallen.
Kanzlerin Merkel verurteilte die Tat und erkundigte sich in einem Telefonat bei NRW-CDU-Chef Armin Laschet nach dem Gesundheitszustand Rekers, wie eine Regierungssprecherin mitteilte. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki erklärte: „Es ist erschütternd, dass eine solch sinnlose Gewalttat den Wahlkampf überschattet.“
Hamburgs Bürgerschaftspräsidentin warnt vor Stimmungsmache
Hamburgs Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit hat angesichts des Messerattentats auf die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker vor Stimmungsmache in der Flüchtlingskrise gewarnt. "Was Hamburg nicht braucht, sind Stimmungsmacher, die nur aufhetzen und radikalisieren wollen", sagte die SPD-Politikerin am Sonntag dem Hamburger Abendblatt. "Das wird am Ende niemandem helfen."
Veit warb um Verständnis für die provisorischen Unterkünfte, in denen ein großer Teil der in den vergangenen Wochen in Hamburg eingetroffenen Flüchtlinge derzeit leben muss. "Niemand bringt Menschen absichtlich in großen Unterkünften, in Zelten oder Baumärkten unter. Aber die Situation ist nun mal so", sagte Veit. Den Behörden und der Politik der Stadt gehe es zuallererst darum, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Zuletzt waren täglich 300 und mehr Flüchtlinge in der Hansestadt eingetroffen.