Bundespräsident löst mit ungewöhnlicher Einmischung zur Regierungsbildung in Thüringen Widerspruch aus. Kritik auch von SPD und Grünen
Berlin. Bundespräsident Joachim Gauck hat ungewöhnlich deutlich Bedenken gegen eine rot-rot-grüne Regierung in Thüringen geäußert: Er hat Zweifel an der demokratischen Zuverlässigkeit der Linkspartei – wenn sie den Ministerpräsidenten stelle, sei das für ihn schwer zu akzeptieren. Die Kritik löste bei SPD, Grünen und Linken Verärgerung und Protest aus.
Für seine Botschaft hatte sich der Präsident den passenden Rahmen gesucht: Der ehemalige Rostocker Pfarrer ließ sich in der Ostberliner Gethsemanekirche interviewen, zu DDR-Zeiten ein Sammelpunkt für Oppositionelle. Erst bekräftigt Gauck, die DDR sei ein „Unrechtsstaat“ gewesen, dann kommt das Gespräch für den ARD-„Bericht aus Berlin“ auf die mögliche Wahl eines ersten Linken-Ministerpräsidenten. Normalität oder schwer zu verstehen? Im Kirchenraum hinter ihm flackert eine Kerze, als der Präsident zur Kritik anhebt: „Na ja, Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren.“ „Aber“, fügt er hinzu: „Wir sind in einer Demokratie. Wir respektieren die Wahlentscheidungen der Menschen.“ Doch gleichzeitig stelle sich die Frage: „Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?“ Gauck meint, „es gibt Teile in dieser Partei, wo ich – wie viele andere auch – Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln. Und wir erleben gerade in Thüringen einen heftigen Meinungsstreit: Ja, was ist denn diese Partei nun wirklich?“
Diese Frage beantwortet auch Gauck nicht, aber seine Botschaft ist klar: Finger weg von Rot-Rot-Grün in Thüringen – eine Mahnung kurz vor dem wahrscheinlichen Beginn der offiziellen Koalitionsverhandlungen in dieser Woche, sofern ein am Montag endender SPD-Mitgliederentscheid wie erwartet grünes Licht gibt. Die Linke ist empört: „So etwas gehört sich für einen Präsidenten nicht“, sagt Parteichefin Katja Kipping. Gaucks Zweifel an der demokratischen Gesinnung der Linken-Mitglieder und Wähler weise sie entschieden zurück. Der Ministerpräsidentenkandidat Bodo Ramelow, bekennender Christ, zeigt sich „seltsam irritiert“, dass der ehemalige Pastor Gauck so über andere Christen spreche. Dabei steht Gauck mit seinen Bedenken nicht allein, nur als Einmischung eines Bundespräsidenten sind sie ungewöhnlich. Es sind ja auch in der Thüringer SPD solche Stimmen zu hören. Der Ilmenauer SPD-Kreischef Stefan Sandmann etwa warnt, die Linke sei „immer noch Sammelbecken für Extremisten, Kommunisten, Stalinisten, SED-Altkader“. In der Linken-Landtagsfraktion sitzen zwei ehemalige Stasi-Mitarbeiter, darauf spielt wohl auch Gauck an. Aber mehrheitlich ticken SPD – und ebenso die Grünen – inzwischen anders. Das hat auch viel mit dem Ministerpräsidentenkandidaten Ramelow zu tun: Der stammt aus dem Westen, kam erst nach der Wende nach Thüringen und bemüht sich nach Kräften, mögliche SED-Altlasten in den Hintergrund zu schieben. Für die Berliner SPD-Spitze hat Generalsekretärin Yasmin Fahimi deshalb die rot-rot-grünen Pläne ausdrücklich begrüßt. Es habe sich eine neue Generation in der Linken-Führung etabliert, mit der man eine stabile Regierung bilden könne, lobt sie. Da passt die Kritik des Präsidenten denkbar schlecht.
Die SPD-Spitze ist entsprechend angesäuert. Parteivize Ralf Stegner mahnte Gauck, in der aktuellen Parteipolitik sei „Zurückhaltung geboten“. Grünen-Chefin Simone Peter forderte den Präsidenten zur „parteipolitischen Neutralität“ auf; allerdings zeigt Kovorsitzender Cem Özdemir auch Verständnis für Gaucks Einlassung. Dem Präsidenten dürfte die Aufregung wenig ausmachen. Er weiß die Mehrheit hinter sich: Laut ZDF-Politbarometer fänden bundesweit 40 Prozent der Bürger einen linken Regierungschef in Thüringen schlecht, nur 29 Prozent gut, dem Rest ist es egal. Doch anders als Gauck suggeriert ist die Stimmung im Osten eine andere: Dort befürwortet eine relative Mehrheit von 46 Prozent Rot-Rot-Grün unter linker Führung, nur jeder Vierte findet sie schlecht. Gauck aber hat eine klare Position: Er lebte in der DDR in Distanz zum System, bei den Demonstrationen gegen das SED-Regime im Wendeherbst 1989 spielte er in Rostock eine entscheidende Rolle. Später als Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde lag Gauck im Clinch auch mit der PDS, ihren Fraktionschef Gregor Gysi nahm er wegen Stasi-Verdachts ins Visier. Schon deshalb hatte die Linkspartei stets Vorbehalte gegen Gauck – sie hat sich aber auch inhaltlich nach Kräften an ihm abgearbeitet. Mal kanzelt die Linke Petra Pau Gauck als „Präsidenten der kalten Herzen“ ab, mal geißelt Parteichef Bernd Riexinger eine Rede in Polen als „präsidialen Fehlgriff“, und auch als „widerlichen Kriegshetzer“ und „Nato-Nagelbomben-Repräsentanten“ musste sich Gauck schon von Linken beschimpfen lassen.
Der Graben ist also tief. Aber was der Linken als Partei erlaubt ist, darf der Präsident nicht unbedingt: So geht die Debatte nun auch darüber, welche Grenzen dem Staatsoberhaupt gesetzt sind. Das Bundesverfassungsgericht hat das im Juni geklärt und bestätigt, dass die Redefreiheit des Präsidenten weit reicht und er auch über Parteien Meinungen äußern darf. Aber, mahnten die Richter, das Staatsoberhaupt habe dabei die Aufgabe, integrierend zu wirken und die Einheit des Gemeinwesens sichtbar zu machen.