Die Bundesregierung macht ihrem Ärger über die US-Spionageaffäre ungewohnt deutlich Luft – und weist den Agentenchef der Amerikaner aus
Berlin. Wie soll Deutschland auf die Spionage durch amerikanische Geheimdienste reagieren? Die Opposition hat es leicht, diese Frage zu beantworten. Sie stellt Forderungen an die Regierung: US-Agenten ausweisen! Den NSA-Enthüller Edward Snowden einreisen lassen! Die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen stoppen! Die Zusammenarbeit der deutschen Geheimdienste mit den USA einstellen!
Für die Bundesregierung ist die Sache schwieriger. Einerseits steht sie unter Handlungsdruck, will sie in der Öffentlichkeit nicht als machtloses Anhängsel der Amerikaner dastehen. Andererseits muss sie die deutschen Interessen im Auge behalten.
Was also tun? Am Donnerstagmorgen kamen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) zusammen, um über Reaktionsmöglichkeiten zu beraten. Altmaier berichtete dabei von einem Telefonat zwischen CIA-Direktor John Brennan und dem für die Nachrichtendienste zuständigen Staatssekretär im Kanzleramt, Klaus-Peter Fritsche. Dessen Erkenntnis danach: Man könne nicht davon ausgehen, dass die Amerikaner von sich aus angemessene Konsequenzen ziehen würden. Die Bundesregierung müsse folglich deutliche Signale senden.
Wenig später teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit: „Der Repräsentant der US-Nachrichtendienste an der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika wurde aufgefordert, Deutschland zu verlassen.“ Diese Aufforderung sei vor dem Hintergrund der laufenden Ermittlungen des Generalbundesanwaltes gegen die beiden mutmaßlichen US-Spitzel im Bundesnachrichtendienst und im Verteidigungsministerium ausgesprochen worden. Und sie sei auch als Reaktion auf die technische Überwachung durch die NSA zu verstehen. Seibert fügte hinzu, dass es für Deutschland unerlässlich bleibe, weiter „eng und vertrauensvoll mit westlichen Partnern, insbesondere mit den USA, zusammenzuarbeiten. Dazu sind aber gegenseitiges Vertrauen und Offenheit notwendig.“
Es ist eine ungewöhnlich scharfe diplomatische Reaktion und auch mit Worten geht die Regierung gegenüber den Amerikanern in die Offensive. Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, formulierte in undiplomatischer Offenheit: Die „Skandalisierung“ der Agentenaffären könne ein Beitrag sein, um bei den Amerikanern ein „Bewusstsein zu schaffen“, wie ernst die Spitzeleien in Deutschland genommen werden und wie groß der Schaden für die gegenseitigen Beziehungen ist. Röttgen, derzeit in den USA unterwegs, hat nämlich erfahren müssen, dass jenseits des Atlantiks „sehr wenig Problembewusstsein vorhanden ist“. Er habe in seinen Gesprächen „keine Informationen und Hinweise darauf erhalten, dass sich die Politik hier ändert“.
Also muss Klartext her. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat als Erster demonstriert, wie der klingen kann. In einer Talkshow beim TV-Sender Phoenix lobte Schäuble zunächst die Kooperation mit den Amerikanern: „Wenn wir nicht Informationen in der Partnerschaft von Nachrichtendiensten bekommen hätten, dann hätten wir nicht den Hauch einer Chance gehabt, terroristische Bedrohungen auf Deutschland abzuwehren.“ Das heiße aber nicht, „dass die Amerikaner drittklassige Leute bei uns anwerben dürfen. Das ist so was von blöd, und über so viel Dummheit kann man auch nur weinen.“ Eine bemerkenswerte Wortwahl.
Auch die Kanzlerin, die laut Schäuble „not amused“ über die ganze Angelegenheit ist, meldete sich deutlich zu Wort. Angela Merkel warf den USA vor, ihre Ressourcen völlig falsch einzusetzen. Angesichts großer Herausforderungen im Nahen Osten sei das Ausspionieren von Verbündeten „eine Vergeudung von Kraft“, sagte die Kanzlerin. „Wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren.“ Das aber scheine bei den bekannt gewordenen Fällen von Spionage in Deutschland nicht der Fall zu sein. Indirekt warf Merkel den US-Diensten vor, im Denken des 20. Jahrhunderts zu verharren. Es gehe nicht mehr darum, sich generell zu misstrauen. „In diesen Zeiten kommt es sehr entscheidend darauf an, dass Vertrauen entsteht zwischen Verbündeten. Mehr Vertrauen bedeutet mehr Sicherheit.“
Mit de Maizière meldete sich ein weiteres Regierungsmitglied zu Wort. Der Innenminister kündigte den Ausbau der deutschen Spionageabwehr an. „Ein wirksamer Schutz gegen Angriffe auf unsere Kommunikation ebenso wie eine effektive Spionageabwehr sind unverzichtbar für unsere wehrhafte Demokratie“, sagte de Maizière. „Wir sind dabei, beides zu stärken und weiter auszuweiten.“ Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll sich künftig nicht nur um Problemländer wie China oder Russland kümmern, sondern auch um westliche Verbündete.
Was die Vorwürfe gegen die beiden mutmaßlichen Spitzel der USA in BND und Verteidigungsministerium angeht, stapelte de Maizière eher tief: „Wenn es dabei bleibt, was wir jetzt wissen, sind die durch diese mutmaßliche Spionage gewonnenen Informationen lächerlich. Der politische Schaden ist dagegen jetzt schon unverhältnismäßig und schwerwiegend.“
Jetzt hat die Regierung erst einmal gehandelt. Doch die nächste Frage lautet: Was ist, wenn sich trotz Ausweisung und scharfer Rhetorik nichts ändert an Amerikas Spionagepraxis? Norbert Röttgen hat darauf eine Antwort. „Dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es so ist.“ Die Opposition wird sich damit nicht zufriedengeben. Sie wird die Forderung nach Asyl für Snowden in Erinnerung rufen.
Die eurokritische AfD lässt durchblicken, dass sie sich eine Abkehr vom Verbündeten Amerika wünscht: Vize-Parteisprecher Alexander Gauland teilte mit: „Wenn die Vereinigten Staaten nicht aufhören, Deutschland als besetztes Land zu behandeln, gibt es schließlich auch politische Alternativen und andere Partner für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.“