Bundestag stimmt schwarz-roten Vorschlägen zu. Neun Unionsabgeordnete dagegen
Berlin Am Ende stimmten elf Abgeordnete von CDU/CSU nicht zu: Nach zäher Kompromisssuche beschloss der Bundestag am Freitag das schwarz-rote Rentenpaket. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nannte das Paket „gerecht und notwendig“. Etwa zehn Millionen Bundesbürger können sich damit über Verbesserungen bei der Rente freuen.
Das Gesetz wurde mit 460 Jastimmen bei 64 Neinstimmen und 60 Enthaltungen beschlossen. Neun Unionsabgeordnete votierten mit Nein. Die SPD stimmte geschlossen für das Paket. Die Linke enthielt sich geschlossen. Bei den Grünen gab es drei Enthaltungen und ansonsten Neinstimmen. „Ja, manches wird besser, aber vieles bleibt so schlecht, wie es ist“, sagte der Rentenexperte der Linksfraktion, Matthias W. Birkwald. Er nannte das weiter sinkende Rentenniveau und das Festhalten an der Rente mit 67. Mit der rollierenden Stichtagsregelung gegen Missbrauch der Frührente ab 63 und dem Ausschluss von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit bei der Anrechnung der notwendigen 45 Versicherungsjahre sieht er „weitere Gerechtigkeitslücken“ geschaffen. Der rentenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Markus Kurth, warf der Koalition vor, die Prioritäten falsch gesetzt zu haben. Die Leistungsverbesserungen begünstigten nur bestimmte Gruppen.
Auch nach Ansicht der Rentenversicherung und der Arbeitgeber widerspricht die Rente mit 63 den Bemühungen, die Erwerbsphase angesichts des demografischen Wandels zu verlängern. Das Arbeitsministerium schätzt, dass durch die abschlagsfreie Rente mit 63 im ersten Jahr etwa 50.000 Arbeitnehmer zusätzlich aus dem Erwerbsleben aussteigen. Zuletzt hat die Erwerbstätigkeit Älterer zugenommen: Im Jahr 2012 waren laut Statistikamt 46,4 Prozent aller 60- bis 64-Jährigen erwerbstätig, zehn Jahre zuvor waren es nur 25,1 Prozent. Ein knappes Drittel dieser Altersgruppe ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Die Gesamtkosten des Rentenpakets belaufen sich nach Berechnungen des Arbeitsministeriums bis 2030 auf etwa 160 Milliarden Euro. Der Löwenanteil wird von den Beitragszahlern, also Arbeitnehmern und Arbeitgebern, und den Rentnern getragen. Die Rücklagen der Rentenversicherung von derzeit über 30 Milliarden Euro werden bis 2018 nahezu aufgezehrt. Ab 2019 soll eine Anhebung des Beitragssatzes deutlich mehr Geld in die Kassen spülen. Auch nach 2020 tragen nach Angaben der Rentenversicherung die Beitragszahler und Rentner etwa drei Viertel der Kosten. Der höhere Beitragssatz und höhere Rentenausgaben dämpfen die jährliche Rentenerhöhung und verringern das Rentenniveau.
Eine Arbeitsgruppe der Koalition soll prüfen, wie der Übergang von Arbeit in Rente flexibler gestaltet werden kann. Grüne und Linke warfen der Koalition vor, das Problem der Altersarmut nicht anzugehen. Auch der Generalsekretär der Industriestaatenorganisation OECD, José Angel Gurria, wiederholte die Mahnung, der Niedriglohnsektor werde Deutschland ein „erhebliches Problem mit der Altersarmut“ bescheren. Den Hebel dagegen sieht die Koalition vorerst aber nicht im Rentenrecht, sondern im Mindestlohn. Dass dieser kommt, daran hat die Koalition mit der Einigkeit bei der Rente keinen Zweifel gelassen. Das jetzige Rentenpaket besteht aus vier Teilen: der verbesserten Mütterrente, der abschlagsfreien Rente ab 63, der Flexi-Rente sowie Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. Die Punkte im Einzelnen:
Mütterrente
Etwa zehn Millionen Mütter oder Väter erhalten für ihre Kinder, die vor 1992 geboren wurden, einen sogenannten Rentenpunkt mehr. Das erhöht im Westen die Rente um 28,61 Euro pro Kind im Monat und im Osten um 26,39 Euro. Da die Umstellung Zeit kostet, werden viele erst im Oktober oder später mehr Geld auf dem Konto haben. Die Erhöhung wird rückwirkend ausgezahlt. Auf ein Jahr bezogen kostet die höhere Mütterrente 6,7 Milliarden Euro. Bezahlt wird dies überwiegend aus Beitragsmitteln statt Steuern. In Berlin haben rund 343.000 Rentnerinnen vom 1. Juli an Anspruch auf das Geld, teilte die Deutsche Rentenversicherung Bund mit. In Brandenburg sind es rund 368.000 Rentnerinnen. Es muss kein extra Antrag gestellt werden.
Abschlagsfreie Rente mit 63
Wer 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, kann mit 63 Jahren ohne Abzüge in den Ruhestand gehen. Für Menschen, die ab 1953 geboren sind, steigt die Altersgrenze mit jedem Jahrgang um zwei Monate. Für den Geburtsjahrgang 1964 liegt sie somit bei 65 Jahren. Zeiten der Arbeitslosigkeit werden unbegrenzt als Beitragsjahre mitgezählt, wenn Anspruch auf Arbeitslosengeld I bestand. Nur Arbeitslosigkeit in den letzten beiden Jahren vor dem Renteneintritt wird nicht berücksichtigt, um Frühverrentungen mit 61 zu vermeiden – es sei denn, der Arbeitsplatzverlust „ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt“. Die Kosten wachsen von etwa 900 Millionen Euro 2014 auf 3,1 Milliarden 2030. Auch freiwillige Beiträge werden berücksichtigt, wenn mindestens 18 Jahre Pflichtbeiträge entrichtet wurden. Damit sollen Handwerker, die sich nach Zeiten als Arbeitnehmer selbstständig gemacht haben, von der Rente mit 63 profitieren können.
Flexi-Rente
Sie kam nach dem Kompromiss zwischen Union und SPD auf den letzten Metern ins Rentenpaket. Sie kommt der Forderung des Wirtschaftsflügels der Union nach, älteren Arbeitnehmern zu ermöglichen, auch nach der Regelaltersgrenze weiterzuarbeiten. Die Regelung verlangt dafür eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Um dafür noch nähere Details zu klären, will die Union eine Arbeitsgruppe einrichten. Arbeitnehmern soll erleichtert werden, über das Erreichen der Regelaltersgrenze von derzeit 65 Jahren und drei Monaten hinaus zu arbeiten. Bei Einvernehmen mit seinem Arbeitgeber kann er den Ruhestand hinausschieben. Die Unternehmen müssen dann aber weiter Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung zahlen. Dies wird in diesem Gesetz geregelt. Eine Arbeitsgruppe soll in den kommenden Monaten weitergehende Erleichterungen prüfen. Sie soll auch untersuchen, ob es dabei bleibt, dass Hartz-IV-Empfänger gegen ihren Willen in Rente geschickt werden können.
Erwerbsminderungsrente
Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mindestens sechs Stunden am Tag arbeiten kann, kann Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit haben. Voraussetzung ist unter anderem, dass insgesamt mindestens fünf Jahre Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt wurden. Zudem müssen in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre mit Pflichtbeiträgen vorliegen. Grundsätzlich gilt zudem das Prinzip „Reha vor Rente“. Es wird also zunächst geprüft, ob eine medizinische oder berufliche Rehabilitation eine Rückkehr ins Berufsleben erlaubt. Die Erwerbsminderungsrente wird so hoch sein, wie sie bei regulärer Arbeit bis zum 62. Geburtstag gewesen wäre. Bislang gilt als Grundlage für die Zurechnungszeit der 60. Geburtstag. Zudem können die letzten Jahre vor dem Renteneintritt bei der Berechnung ignoriert werden, wenn sie etwa durch Krankheit oder Teilzeit zu einer Schlechterstellung führen würden. (HA)