Bundespräsident beschreibt Chancen der Zuwanderung – und Probleme. „Keine mildernden Umstände für Eigenarten, die Gesetzen zuwiderlaufen.“
Berlin. Bundespräsident Joachim Gauck fordert die Deutschen auf, Zuwanderer mit größerer Selbstverständlichkeit aufzunehmen und jede Form der Ausgrenzung zu beenden. „Hören wir auf, von ‚Wir‘ und ‚denen‘ zu reden“, sagte Gauck bei einer Einbürgerungsfeier für 22 Zuwanderer in Schloss Bellevue. „Es gibt ein neues deutsches ‚Wir‘.“
Menschen, die in Deutschland geboren und seit Jahren heimisch seien, fühlten sich immer wieder zu „anderen“ gemacht, kritisierte Gauck. Entweder würden sie aus falsch verstandener Höflichkeit auf Englisch angesprochen oder gefragt, woher sie denn eigentlich stammten. „Das darf nicht sein“, mahnte das Staatsoberhaupt.
Deutschland dürfe nicht länger jene Bürger auf Abstand halten, die schon längst dazugehörten, sagte Gauck in seiner ersten Grundsatzrede zur Zuwanderung. „Ich wünsche mir einen Alltag, in dem wir das selbstverständlich Eigene achten – und dem anderen selbstverständlich Raum geben.“
Mit dem Appell, Zuwanderern auf Augenhöhe zu begegnen, fordert Gauck nicht nur eine neue Selbstverständlichkeit im Umgang zwischen den Bevölkerungsgruppen in Deutschland. Die Aufforderung markiert auch für den Bundespräsidenten selbst eine neue Etappe in der Zuwanderungsdebatte.
So hatte Gauck im Jahr 2012 den Zuwanderungskritiker Thilo Sarrazin noch als „mutig“ bezeichnet. Nun, nach gut zwei Jahren als Bundespräsident, benennt Gauck zwar auch Missstände und Integrationsprobleme. Der Schwerpunkt seiner Rede liegt aber darauf, den Deutschen mehr Offenheit abzuverlangen.
Skurril sei die Vorstellung mancher, es könne so etwas geben wie ein homogenes „einfarbiges“ Deutschland, sagte Gauck. Es sei zwar normal, dass Zuwanderung auf beiden Seiten zunächst Fremdheitsgefühle hervorrufe und dass anfangs noch Abstand gehalten werde. „Dann kommt man mehr und mehr in Kontakt. Manchmal auch in Konflikt. Und schließlich wächst Gemeinschaft.“
Gauck beschreibt auch seinen persönlichen Lernprozess – und wirbt damit für ein größeres Bemühen um ein engeres Miteinander. „Das alles war auch für mich ein Lernen, ein Kennenlernen“, sagte der frühere DDR-Bürgerrechtler aus Mecklenburg. „Ich habe selbst gemerkt, dass man in wenigen Jahren sein Bild vom ‚Ich‘ und vom ‚Wir‘ verändern kann.“ Heute wisse er: „Wir verlieren uns nicht, wenn wir Vielfalt akzeptieren.“ Was deutsch sei, verändere sich ständig.
Ausdrücklich lobte Gauck die von der Koalition geplanten Erleichterungen bei der doppelten Staatsbürgerschaft. Es sei gut, dass der Doppelpass nun nicht mehr als notwendiges Übel oder als Privileg bestimmter Gruppen betrachtet werde. Deutschland lerne, dass eine Gesellschaft attraktiver werde, wenn sie vielschichtige Identitäten akzeptiere. Inzwischen stehe Deutschland in der Rangfolge der beliebtesten Ziele von Zuwanderern auf Platz zwei nach den USA. „Unsere Gesellschaft lässt andere anders sein.“
Doch auch die Schwierigkeiten bei der Integration führte Gauck auf: Gettobildung und Jugendkriminalität, Schwulenfeindlichkeit, Sozialhilfekarrieren, Schulschwänzer. Es gebe Familien, deren Mitglieder Dauergäste bei Polizei und Justiz seien; es gebe Milieus, in denen die Hinwendung zur Religion zur Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft führe.
Diese Probleme dürften nicht verschwiegen werden. „Gleichzeitig müssen wir aber darauf achten, mit Kritik an diesen Phänomen nicht ganze Gruppen zu stigmatisieren.“
Die Antworten auf derartige Probleme fänden sich in den Gesetzen und im Grundgesetz. „Es kann keine mildernden Umstände geben für kulturelle Eigenarten, die unseren Gesetzen zuwiderlaufen.“ Ohne den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und dessen umstrittenen Köln-Besuch am kommenden Wochenende ausdrücklich zu erwähnen, warnte Gauck davor, Auseinandersetzungen aus dem Ausland hierher ins Land zu tragen. „Wenn etwa Konflikte aus Herkunftsländern auch in Deutschland ausgetragen werden, erleben wir Erweiterung als Belastung.“
Die Rücksichtnahme auf andere Kulturen dürfe auch nicht so weit gehen, dass in Deutschland Weihnachtsfeiern in „Jahresabschlussfeiern“ umgetauft würden, mahnte Gauck. Wer seine eigenen kulturellen Werte gering schätze, werde kaum von anderen Respekt dafür erhalten. „Wer vom Bundespräsidenten eine Weihnachtskarte bekommt, wird weiterhin ‚Frohe Weihnachten‘ lesen.“
Gauck forderte mehr Geld für Schulen, um benachteiligte Kinder aus Zuwandererfamilien besser zu fördern. „Wir müssen um jedes dieser Kinder kämpfen“, sagte er. Dazu müssten sich die Schulen verändern, verstärkt den unterschiedlichen Herkünften Rechnung tragen und Verabredungen mit den Eltern treffen. Ein gerechtes Bildungssystem, das Verschiedensein auch als Bereicherung begreife, werde Geld kosten. „Geld, das gut angelegt ist!“