EU-Anwalt: Deutschland darf Unterstützung bei Missbrauch und Formen von Sozialtourismus verweigern. EuGH entscheidet im Herbst
Luxemburg. Der Fall „Dano“, die Klage einer arbeitslosen Rumänin gegen das Leipziger Jobcenter auf Hartz IV, hat am Dienstag vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine spektakuläre Wendung genommen: Deutschland darf Bürgern aus anderen EU-Staaten Hartz-IV-Leistungen verweigern – wenn sie ausschließlich zum Bezug von Sozialhilfe einreisen. Zu dieser Auffassung gelangte Generalanwalt Melchior Wathelet in einer Stellungnahme für das Luxemburger Gericht, wie der EuGH mitteilte. Ausdrücklich stellt der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen fest, dass die entsprechenden deutschen Rechtsvorschriften im Einklang mit dem Willen des EU-Gesetzgebers stehen. Sie erlaubten die Verhinderung von Missbrauch und Formen von „Sozialtourismus“. (Az.: C-333/13).
In der Debatte um Armutszuwanderung aus Osteuropa, die zu Jahresbeginn mit der vollen EU-Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen in Deutschland losbrach, spielt der Fall „Dano“ eine große Rolle. Die Europäische Kommission hatte in einer Stellungnahme für den EuGH argumentiert, der generelle Hartz-IV-Ausschluss von EU-Bürgern in Deutschland sei rechtlich zweifelhaft. Vor allem Politiker der CSU hatten darauf empört reagiert. Die Befürchtung war groß, der EuGH könnte den deutschen Hartz-IV-Ausschluss kippen. Das aktuelle Gutachten des Generalanwalts dämpft diese Befürchtungen. Allerdings ist es für den EuGH nicht bindend. In der Regel, aber nicht immer, folgt es jedoch den Anträgen des Generalanwalts.
In Berlin machte sich dennoch Erleichterung breit: „Die Schlussanträge bestätigen die Rechtsauffassung, die die Bundesregierung vor dem EuGH vertreten hat“, sagte eine Sprecherin von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). „Insbesondere begrüßt die Bundesregierung, dass der Generalanwalt den Willen des europäischen Gesetzgebers, die mitgliedstaatliche Sozialhilfesysteme vor unangemessener Inanspruchnahme zu schützen, maßgeblich bei seiner Auslegung berücksichtigt hat.“ Die Schlussanträge binden den Europäischen Gerichtshof zwar nicht, erklärte die Sprecherin. „Aber sie bilden eine wichtige Grundlage für sein Urteil, mit dem in einigen Monaten zu rechnen ist.“ In Deutschland sind jene EU-Bürger von Hartz IV ausgeschlossen, die nur zum Bezug von Sozialhilfe oder zur Arbeitsuche ins Land gekommen sind. Damit soll die unangemessene Inanspruchnahme von Sozialleistungen verhindert werden. Das Sozialgericht Leipzig legte dem EuGH die Frage vor, ob diese Regelung mit dem europäischen Grundrecht auf Freizügigkeit und dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist. Hintergrund ist der Fall einer Rumänin, die seit mehreren Jahren mit ihrem Sohn in Leipzig bei ihrer Schwester wohnt, von der sie auch mit Naturalien versorgt wird.
Frau Dano bekam zwar von den deutschen Behörden Kindergeld in Höhe von 184 Euro im Monat für ihren in Deutschland geborenen Sohn sowie einen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 133 Euro pro Monat. Als sie jedoch Hartz IV beantragte, lehnte das Jobcenter mit Verweis auf den in deutschem Recht vorgesehen Ausschluss ab. Die Frau hat keinen erlernten oder angelernten Beruf und war bislang weder in Deutschland noch in Rumänien erwerbstätig. Sie bemühte sich den Angaben zufolge in Deutschland nicht um eine Arbeitsstelle.
Nach Angaben des Bundessozialgerichts hat es in den vergangenen Jahren bereits mehr als 250 Entscheidungen von Sozialgerichten zu dieser Thematik gegeben, die recht unterschiedlich ausgefallen sind. Je länger die Ausländer in Deutschland sind, desto eher waren die Richter bereit, ihnen einen Anspruch auf Hartz IV zu gewähren. Der Generalanwalt wies nun darauf hin, dass das EU-Recht es EU-Bürgern und ihren Familienangehörigen gestattet, sich für drei Monate in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten – so lange sie dessen Sozialhilfeleistungen nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Wenn sie länger als drei Monate bleiben wollen, müssten sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, sodass sie keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaats benötigen. Daraus folge zwangsläufig, dass es bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen zu einer Ungleichbehandlung im Verhältnis zwischen Staatsangehörigen des Aufnahmelandes und anderen EU-Bürgern kommen könne, argumentierte der Generalanwalt.
Die deutsche Regelung, die eine Belastung für das Sozialhilfesystem durch jene EU-Bürger verhindern soll, die ausschließlich wegen eines möglichen Hartz-IV-Bezugs eingereist sind, stehe im Einklang mit dem Willen des EU-Gesetzgebers, befand Wathelet. Die Regelungen könnten verhindern, dass Menschen, „die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen, ohne sich integrieren zu wollen, eine Belastung für das Sozialhilfesystem werden“. Die Regelungen in Deutschland stünden außerdem mit dem Gestaltungsspielraum in Einklang, der den Mitgliedstaaten in diesem Bereich überlassen sei. Über den konkreten Fall der Rumänin müssen nach dem EuGH-Urteil wiederum deutsche Richter befinden. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg ist die Zahl der bedenklichen Fälle ohnehin nicht groß: „Wir haben definitiv keine Einwanderung in das Sozialsystem“, hatte die Behörde Anfang des Jahres erklärt. Allerdings hatte der zuständige BA-Vorstand Heinrich Alt gewarnt: „Sollte der EuGH entscheiden, dass künftig auch für die Arbeitsuche Hartz IV gezahlt werden müsste, dann bekäme das Thema Sozialhilfetourismus eine ganz andere Dimension.“