Ausschussvorsitzender Binninger legt überraschend sein Amt nieder. Grüne vermuten Druck aus dem Kanzleramt auf den CDU-Innenexperten
Berlin. Die Nachricht kam so überraschend, dass sich auch Politiker der Opposition zunächst nicht äußern wollten und um Bedenkzeit baten: Clemens Binninger, CDU-Innenexperte, ist nur wenige Tage nach dem Start des NSA-Untersuchungsausschusses als Vorsitzender des Gremiums im Bundestag zurückgetreten. Binninger gab zwar eine schriftliche Erklärung ab und wies dabei auf Unstimmigkeiten zwischen den Fraktionen hin – aber tritt man deshalb denn gleich zurück? Ein paar Telefonate in der Sache und keine Stunde später hatten manche Vertreter der Opposition eine ganz andere, eine spektakuläre Erklärung parat.
Die Grünen machen das Kanzleramt für den Rückzug Binningers verantwortlich. Das stellvertretende Ausschussmitglied Hans-Christian Ströbele äußerte den Verdacht, das Haus von Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Druck auf den CDU-Politiker ausgeübt, „um die Vernehmung und Aufklärung durch Edward Snowden im Ausschuss zu verhindern“. Ähnlich äußerte sich Konstantin von Notz, Ausschussmitglied und Vize-Fraktionschef. Er sprach von einem „erzwungenen Rücktritt“ und warf der Regierung ein „unwürdiges Spiel“ vor, da ihre „massive Einflussnahme“ die kurz vor der US-Reise von Merkel „dringend notwendige Aufklärungsarbeit des größten Überwachungs- und Geheimdienstskandals aller Zeiten durch das Parlament“ hintertreiben würde. Einen Beleg für diese Vorwürfe konnten die Grünen aber nicht liefern.
Christian Flisek, SPD-Vertreter in der Runde, sagte deutlich: „Soweit Herr Ströbele verbreitet, dass von irgendeiner Stelle der Bundesregierung Druck auf uns ausgeübt wurde, kann ich für mich und meine Partei nur sagen, dass das Unsinn ist.“ Die Vermutung füge sich in Ströbeles bisheriges Auftreten, „bei dem es eher um mediale Verbreitung und weniger um Sachaufklärung geht“. Binninger schreibt in seiner Erklärung, dass die von ihm geplante „sachdienliche Zusammenarbeit aller Fraktionen“ nicht möglich sei. So habe die Opposition bereits in der ersten Sitzung am vergangenen Donnerstag in Beweisanträgen und öffentlichen Stellungnahmen zu erkennen gegeben, dass sie ausschließlich die Vernehmung des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden in den Mittelpunkt der Arbeit stellen wolle. Der CDU-Politiker erklärte, in dem NSA-Ausschuss dürfe es nicht darum gehen, „dass Parteien mit einzelnen Personalien medial spektakulär vorgehen“. Der gemeinsam beschlossene Auftrag sei viel breiter und differenzierter angelegt. Er als Vorsitzender habe es als vorrangig angesehen, zunächst mit allen Fraktionen einen Fahrplan zu erstellen. Innenexperte Binninger bekräftigte zugleich, dass er „unverändert sehr, sehr skeptisch“ sei, ob Snowden als Zeuge überhaupt hilfreich sei.
Martina Renner, Obfrau der Linksfraktion im Ausschuss, hält dagegen, man habe zu keinem Zeitpunkt die Arbeit des Ausschusses torpediert. Es habe immer das Interesse gegeben, gemeinsam den Untersuchungsauftrag zu erfüllen. Sie sei überrascht, schließlich habe man im Gremium zielführende Gespräche geführt. Eine Befragung Snowdens sei nichts Neues, die Opposition fordere dies bereits seit Monaten.
Man muss an dieser Stelle anmerken: Beide Seiten äußern sich durchaus korrekt. Während die Opposition seit Monaten auf eine Anhörung Snowdens dringt, melden vor allem Unionspolitiker bereits seit Langem Zweifel an. Das Problem für CDU und CSU: Sie können Snowdens Anhörung nicht verhindern. Bereits im März einigten sich alle Fraktionen im Bundestag auf die Einsetzung des Gremiums. Grüne und Linke erhielten dabei besondere Rechte. Obwohl die beiden Fraktionen nur über rund 20 Prozent der Stimmen im Bundestag verfügen, stellen sie im Untersuchungsausschuss zwei von insgesamt acht Mitgliedern. Der große Vorteil: Bereits ein Viertel der Mitglieder gilt als sogenannte qualifizierte Mehrheit eines solchen Gremiums und darf Beweisanträge stellen – das heißt: Akten beantragen oder eben Zeugen einladen.
Grüne und Linke stellten den Antrag, Edward Snowden vorzuladen
Als die Abgeordneten vor Kurzem über die möglichen Konsequenzen sprachen, herrschte in der Fraktionssitzung der Union Trubel: Man bedenke die Konsequenzen für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Und es stimmt: Wer sagt denn, dass Snowden, der derzeit im russischen Exil sitzt, bei einer Befragung nicht gleich in Deutschland bleiben würde? In der vergangenen Woche, gleich in der konstituierenden Sitzung des Ausschusses, zogen Grüne und Linke den Joker: Sie stellten den Antrag, Snowden vorzuladen. Bereits am heutigen Donnerstag soll darüber entschieden werden. Ablehnen können Union und SPD dies nicht, sondern lediglich verzögern. Es ist der Ausschussvorsitzende, der den Auftrag umsetzen muss und zwischen die Fronten gerät.
Die Bundesregierung hat vergangenen Freitag erklärt, dass sie einen gesicherten Aufenthalt für Snowden selbst im Fall einer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss ablehne. Auf die Frage, ob der 30-Jährige ein Aufenthaltsrecht oder Asyl zugestanden bekomme, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, Innen- und Justizressort seien bereits im Sommer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen nicht vorlägen.