Am Donnerstag startet der Prozess zum Polizistenmord von Heilbronn. Dabei sollen viele noch offene Fragen geklärt werden. Etwa, warum die Terroristen des NSU nach der Tat ein gruseliges Souvenir behielten.
München. Es ist die wohl rätselhafteste Tat des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU): Am 25. April 2007 machen die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihr Kollege Martin A. Mittagspause. Es ist ein warmer, sonniger Tag. Die beiden Beamten parken ihren Streifenwagen am Rande der Theresienwiese in Heilbronn. Die Autotüren stehen offen, sie rauchen eine Zigarette.
Die Attentäter nähern sich von hinten. Die Beamten müssen noch etwas gemerkt haben, denn sie drehen sich nach rechts. Doch zu spät: Wohl ohne Vorwarnung schießen ihnen die Täter von hinten in den Kopf. Sie nehmen Dienstwaffen und Handschellen mit. Michèle Kiesewetter stirbt noch am Tatort. Sie wurde 22 Jahre alt. Martin A., damals 24, überlebt schwer verletzt.
An diesem Donnerstag beginnt im NSU-Prozess die Beweisaufnahme zu dem Polizistenmord. Dann soll auch Martin A. als Zeuge vernommen werden. Anfangs wusste er überhaupt nichts mehr von der Tat; im Krankenhaus dachte er zunächst, er hätte einen Unfall gehabt. Später wird er sogar unter Hypnose vernommen, doch seine Erinnerungen bleiben lückenhaft.
Die Bundesanwaltschaft ist sich sicher, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Täter waren. Im Brandschutt ihrer Zwickauer Wohnung lagen die Tatwaffen. Im Bekennervideo des NSU werden Bilder vom Trauerzug für Kiesewetter und der Polizeipistole gezeigt. Die Seriennummer ist gut zu erkennen.
Dennoch gibt die Tat Rätsel auf. Sie passt nicht in das Muster der fremdenfeindlichen NSU-Anschläge. Michèle Kiesewetter stammte aus Thüringen, sie ging in Oberweißbach zur Grundschule, dort war sie auch im Kirmesverein. Es gab Berichte über angebliche Verbindungen des Neonazi-Trios nach Oberweißbach; die Ermittler vernahmen mehr als 200 Zeugen. Das Bundeskriminalamt kam zu dem Ergebnis: Es gebe keine Hinweise auf eine „wie auch immer geartete“ Vorbeziehung zwischen Kiesewetter und den mutmaßlichen Terroristen.
War Kiesewetter ein Zufallsopfer?
Die Bundesanwaltschaft hält Kiesewetter und Martin A. für „Zufallsopfer“ – die Terroristen hätten sie als angegriffen, weil sie als Polizisten für den von ihnen verhassten Staat stehen. Ganz abwegig scheint das nicht: Mehrere Zeugen aus der rechten Szene berichteten im Prozess von Auseinandersetzungen mit der Polizei und auch von Polizeigewalt.
Hartnäckig hielten sich auch Spekulationen, weitere Täter seien an dem Anschlag beteiligt gewesen. Zeugen wollen blutverschmierte Personen in Nähe des Tatorts gesehen haben, allerdings erst 10 bis 20 Minuten nach der Tat. Um Böhnhardt oder Mundlos kann es sich nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft nicht gehandelt haben – eine halbe Stunde nach der Tat wurde ihr Campingwagen an einer Kontrollstelle gesehen, gut 20 Kilometer von Heilbronn entfernt. Das konnten sie nur schaffen, wenn sie gleich nach dem Attentat losfuhren. Die Ermittler sehen aber auch keine Indizien, dass mehr als zwei Täter beteiligt waren.
„Ich bin allen möglichen und unmöglichen Spuren nachgegangen“, sagt auch Rechtsanwältin Birgit Wolf. Sie vertritt die Mutter der Ermordeten. „Es gab alle möglichen Aussagen. Wenn man das kritisch betrachtet, gibt es jedoch keine Anhaltspunkte, dass weitere Täter an dem Mord beteiligt waren.“
Nach dem Mord von Heilbronn hört – soweit bekannt – die Serie der Terroranschläge auf. Warum, das ist nicht klar. Die NSU-Mitglieder beschränkten sich offenbar auf Banküberfälle, um ihr Leben im Untergrund zu finanzieren. Doch die Erinnerung an ihre Tat war ihnen wohl wertvoll: Bei der Fahrt zu ihrem letzten Banküberfall am 4. November 2011 hatten die beiden Neonazis die Dienstwaffen der Polizisten mit in ihrem Campingwagen. Und an einer Jogginghose von Uwe Mundlos fanden die Ermittler Blutspuren von Kiesewetter. Er hatte sie seit dem Attentat nicht mehr gewaschen.