Umfrage ergibt: Die Deutschen halten die große Koalition für noch zerstrittener als Schwarz-Gelb. Sie trauen dem neuen Kabinett aber mehr zu. Schäuble beliebter als Merkel.

Berlin. Zuwanderung, Vorratsdatenspeicherung, Pkw-Maut, Mindestlohn: Vier Wochen nach Start der schwarz-roten Koalition liegen die ersten Streitthemen auf dem Tisch, die Stimmung wird ungemütlicher. Das ist den Wählern offenbar nicht entgangen. 39 Prozent der Befragten für den neuen Deutschlandtrend von ARD-„Tagesthemen“ und die „Welt“ halten die große Koalition für noch zerstrittener als die schwarz-gelbe Regierung.

In der hatten sich die Koalitionspartner immerhin schon im ersten gemeinsamen Regierungsjahr als „Wildsau“ (Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr [FDP] über die CSU) und „Gurkentruppe“ (der heutige Verkehrsminister und damalige Generalsekretär Alexander Dobrindt [CSU] über die FDP) beschimpft. 18 Prozent der insgesamt 1004 für den Deutschlandtrend befragten Personen erinnern sich offenbar daran und halten Schwarz-Rot für harmonischer als Schwarz-Gelb, 34 Prozent sehen bei der Zerstrittenheit keinen Unterschied.

In der Koalition selbst ärgern sich bereits die Ersten über öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte eine bessere Zusammenarbeit der Koalitionspartner. „Ich finde schon, das erwarte ich und das verlange ich auch, dass wir zunächst einmal miteinander reden und uns nicht über die Presse und die Öffentlichkeit erzählen, was wir vorhaben oder was wir nicht machen“, sagte er – vermutlich mit Bezug auf Justizminister Heiko Maas (SPD), der mit seinem Plan, vor einem Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung erst ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten, bei der Union Ärger auslöste.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verteidigte Parteifreund Maas und betonte: „Es gibt den gemeinsamen Willen, diese Regierung zum Erfolg zu führen. Wir haben nicht umsonst mit großer Tiefenschärfe und über dreieinhalb Wochen miteinander verhandelt.“ Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber äußerte sich versöhnlich. Dem Deutschlandfunk sagte er, es sei „ganz normal“, dass jeder versuche, „seine Claims abzustecken“, bevor die Arbeit richtig losgehe. Trotz aller Streitigkeiten geben die Wähler der Großen Koalition einen Vertrauensvorschuss. Sie trauen ihr zu, einiges besser umzusetzen als Schwarz-Gelb. Vor allem das Thema Familienpolitik sehen sie bei Schwarz-Rot in guten Händen: 43 Prozent glauben, dass die aktuelle Regierung das Themenfeld besser bearbeitet als ihre Vorgängerin, nur sechs Prozent glauben, dass es schlechter wird. Ebenso bei der sozialen Gerechtigkeit: 40 Prozent glauben, dass Schwarz-Rot besser dafür sorgt als Schwarz-Gelb (zehn Prozent sagen schlechter).

Pessimismus bei Altersvorsorge

„Die Wirtschaft voranbringen“ könne die neue Regierung besser als die alte, sagen 26 Prozent. 60 Prozent glauben, dass sie es genauso gut oder schlecht machen wird, nur elf Prozent sagen schlechter – eine nachträgliche Ohrfeige für die FDP. Tatsächlich trauen die Wähler dem neuen Kabinett in keinem einzigen der abgefragten Themenfelder weniger zu als der Vorgängerregierung. Am pessimistischsten sind sie noch beim Thema langfristige Sicherung der Altersvorsorge. Hier sagen 25 Prozent, die neue Regierung werde es besser machen als die alte, 18 Prozent sagen schlechter.

Trotz ihrer Rolle als kleinster Koalitionspartner sieht sich die CSU in der Großen Koalition als besonders einflussreich an. „Wir sind Impulsgeber, wir sind Taktgeber in der Koalition,“ sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zum Abschluss der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth. Zum Jahreswechsel haben vor allem Vorstöße aus München die politische Debatte geprägt. Vor allem die von den Christsozialen angestoßene Debatte über die Armutszuwanderung hinterlässt dabei ihre Spuren im Meinungsbild der Deutschen. Zwei Drittel der Deutschen haben keine Angst vor der Zuwanderung von EU-Ausländern in die Bundesrepublik – aber eine knappe Mehrheit von 49 gegenüber 46 Prozent glaubt nicht, dass Deutschland von den Zuwanderern alles in allem mehr Vorteile als Nachteile hat. Drei Viertel der Befragten sind der Ansicht, dass die politischen Parteien sich viel zu wenig um die Probleme kümmern, die durch Zuwanderung entstehen.

Mit der Forderung der CSU „Wer betrügt, der fliegt“ kann sich eine große Mehrheit der Befragten anfreunden: 83 Prozent meinen, Zuwanderer, die gar nicht die Absicht haben in Deutschland zu arbeiten, sollten auch keine finanzielle Unterstützung bekommen. 70 Prozent sind dafür, dass diese arbeitsunwilligen Zuwanderer das Land wieder verlassen sollen. Dabei ist den Deutschen durchaus bewusst, dass ihr Land auf Zuwanderer angewiesen ist. 68 Prozent stimmen der Aussage „Unsere Wirtschaft braucht qualifizierte Arbeitskräfte aus anderen Ländern, um weiterhin erfolgreich zu sein“, zu. Auch die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union stellen die Deutschen nicht infrage. 40 Prozent sehen eher Vorteile der Mitgliedschaft, 64 plädieren sogar für mehr gemeinsame Politik in Europa.

Überraschende Kabinettsbewertung

Bei der Bewertung des Kabinetts gibt es zwei Überraschungen. Erstens liegt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) noch vor der Kanzlerin. 76 Prozent der Befragten halten ihn für eine gute Besetzung. Angela Merkel kommt nur auf 75 Prozent. Zweitens stößt die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als Einzige auf mehr Ablehnung als Zustimmung: 44 Prozent halten sie für eine Fehlbesetzung, nur 40 Prozent für eine gute Wahl. Damit liegt sie hinter ihrer Amtsnachfolgerin im Arbeitsressort, Andrea Nahles (SPD), die auf 42 Prozent Zustimmung kommt.

Neben Schäuble und Merkel wird der neue Außenminister Steinmeier, der das Amt bereits von 2005 bis 2009 innehatte, besonders positiv bewertet. Er kommt auf 73 Prozent Zustimmung. Viele der Neubesetzungen im Kabinett sind den Wählern aber noch unbekannt. Eine Mehrheit der Befragten sagt, dass sie Gerd Müller (CSU, Entwicklung), Barbara Hendricks (SPD, Umwelt), Heiko Maas (SPD, Justiz), Hermann Gröhe (CDU, Gesundheit) und Manuela Schwesig (SPD, Familie) nicht kennt oder nicht beurteilen kann. Und sogar Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) ist 54 Prozent unbekannt – obwohl sie bereits seit knapp einem Jahr im Amt ist.

Vom Start der neuen Regierung profitiert bislang vor allem die SPD. Sie kann in der Sonntagsfrage im Vergleich zum Vormonat um zwei Prozentpunkte zulegen und kommt auf 27 Prozent Zustimmung. 41 Prozent der Wähler (minus zwei Prozent) würden die Union wählen. Ganz leicht zulegen kann die FDP. Sie kommt auf vier Prozent (plus eins) – den Wiedereinzug in den Bundestag würde sie damit allerdings nicht schaffen. Auch die AfD wäre mit vier Prozent Zustimmung weiter nicht im Parlament vertreten. Grüne (neun Prozent) und Linke (acht Prozent) verlieren jeweils einen Prozentpunkt.