Gabriel widerspricht Seehofer. SPD-Vorsitzender warnt vor „Arbeitsplatzvernichtungsprogramm“
Berlin. In der Großen Koalition eskaliert der Streit über die Umsetzung des Mindestlohns. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat die Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer, weitere Ausnahmen vom vereinbarten Mindestlohn zuzulassen, mit deutlichen Worten zurückgewiesen. „Ich rate allen, die an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen haben, sich an die dort geführten Diskussionen zu erinnern und ansonsten den Text des Koalitionsvertrages zu lesen. Schon erledigen sich einige sehr überflüssige Debatten“, sagte Gabriel. Rentner könne man „natürlich nicht vom Mindestlohn ausnehmen, sonst würde man ein großes Arbeitsplatzvernichtungsprogramm zugunsten von Rentnerbeschäftigung in Gang setzen“. Das könne ernsthaft niemand wollen. „Mein Rat an alle: Lasst es uns einfach so machen, wie besprochen und beschlossen“, sagte der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister.
Als Ausnahmen von einem gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro nannte Gabriel Auszubildende und Schülerpraktikanten, „weil es sich dabei ja nicht um reguläre Arbeitsverträge handelt“. Allerdings gelte er für die Praktika, die nach abgeschlossener Ausbildung oder Studium gemacht würden, „denn wir müssen endlich Schluss machen, wo exzellent ausgebildete junge Leute in der ‚Generation Praktikum‘ für gute Arbeit schlecht bezahlt werden“.
Seehofer hatte jüngst dafür plädiert, Rentner von den Regelungen zum Mindestlohn auszunehmen. Unter Verweis auf die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) sagte Seehofer: „Ein Rentner, der von seiner Altersrente lebt und noch etwas dazuverdient, muss das nicht unter den Bedingungen des Mindestlohns tun. Dieser Gedanke ist doch nicht abwegig. Wir müssen Gesetze machen, die auf die Lebenswirklichkeit passen.“
Vertreter der Gewerkschaften stützten Gabriels Haltung und warnten vor Ausnahmen. „Wenn vom Mindestlohn ganze Gruppen ausgenommen werden, zum Beispiel, wie von Herrn Seehofer gefordert, Rentnerinnen und Rentner, dann wird keine sinnvolle untere Grenze gegen Lohndumping, sondern ein wirkungsloser Scheinmindestlohn eingeführt“, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Michaela Rosenberger. Nötig sei ein „Mindestlohn für alle – ohne Ausnahmen“. Dieser müsse auch für und Minijobber gelten. Allein im Gastgewerbe gibt es heute fast eine Million Beschäftigte in Minijobs.
Ver.di-Chef Frank Bsirske sagte, wegen der steigenden Preise müsse der Mindestlohn früher als geplant angehoben werden. „Wir kämpfen dafür, dass er rasch bei zehn Euro ankommt“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Weil die Preise weiter stiegen, müsse der Mindestlohn früher als bislang geplant angehoben werden.
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall sieht bei dem flächendeckenden Mindestlohn „die Gefahr, dass die Einstiegsmöglichkeiten für Unqualifizierte und Geringqualifizierte schlechter werden“. Deshalb sei „eine Differenzierbarkeit nach Regionen und Branchen wichtig“, sagte ein Sprecher: „Grundsätzlich sollten wir aber mehr darüber reden, wie man nach dem Einstieg den Aufstieg gestaltet, statt nur über Einstiegsbedingungen zu diskutieren.“