„Zu viel Basisdemokratie kann auch schaden“, sagte Innensenator Michael Neumann. Auch Dohnanyi und Voscherau üben Kritik.
Hamburg/Berlin. „Ich habe mir eine Zahnbürste eingepackt“, scherzte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Bis tief in die vergangene Nacht haben die Spitzen von CDU, CSU und SPD verhandelt, um die letzten Streitpunkte auf dem Weg zur Großen Koalition auszuräumen. Nach zwölf Stunden gab es kurz vor Mitternacht den ersten großen Durchbruch. Union und SPD verständigten sich auf ein umfangreiches Rentenpaket.
Auch beim Mindestlohn sind sich die Koalitionäre einig: Ab 2015 soll es bundesweit 8,50 Euro je Stunde geben. Schon zuvor hatte sich bei der Pkw-Maut eine Übereinkunft abgezeichnet. Sie soll im nächsten Jahr eingeführt werden. Die Finanzierung der Milliardenkosten für das Rentenpaket war allerdings zunächst unklar. Es sieht vor, dass ab 2014 Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, künftig zwei und nicht mehr nur einen Rentenpunkt bekommen. Im Westen sind das 28 Euro pro Kind pro Monat, im Osten 26 Euro. Ferner soll die SPD-Forderung nach einer abschlagsfreien Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren ebenfalls 2014 umgesetzt und ab 2017 eine „solidarische Lebensleistungsrente“ für Geringverdiener kommen, die jahrzehntelang Beiträge gezahlt haben. Sie sollen bis zu 850 Euro pro Monat erhalten.
Gelingt eine Einigung auch in strittigen Punkten wie Gesundheit, Staatsbürgerschaft, Bildung und Finanzen, soll heute der Vertrag über das schwarz-rote Bündnis präsentiert werden. Doch entschieden ist damit nichts. SPD-Chef Sigmar Gabriel will die knapp 500.000 Mitglieder seiner Partei noch über die ungeliebte Allianz abstimmen lassen. Am 14.Dezember soll ausgezählt werden. Der Ausgang gilt als offen. Stimmt die Basis mit Nein, ist nicht nur die Koalition geplatzt, sondern wohl auch die Karriere von Parteichef Gabriel.
Inzwischen regt sich in den Reihen der SPD-Politiker in Hamburg offen Kritik an der Befragung. Innensenator Michael Neumann sagte in seiner Rede bei der 21. Hamburg Soirée im Hotel Vier Jahreszeiten: „Zu viel Basisdemokratie kann auch schaden.“ Und: „Es ist nicht richtig, dass die Parteimitglieder einer Partei über eine Regierung für 80Millionen Deutsche entscheiden.“
Auch Hamburgs früherer Bürgermeister Klaus von Dohnanyi übt Kritik. „In lokalen Fragen oder in kleinen Gruppen machen basisdemokratische Verfahren wie Volksentscheide auch Sinn. Bei bundespolitischen und gesamtgesellschaftlichen Themen aber nicht. Deshalb halte ich auch die Abstimmung der SPD-Mitglieder über einen Koalitionsvertrag mit der Union für wenig sinnvoll“, sagte er dem Abendblatt. Ähnlich äußerte sich Ex-Bürgermeister Henning Voscherau (SPD). Der geplante Mitgliederentscheid sei „sehr problematisch“.