Nach der deutlichen Niederlage steuert die Partei auf eine Führungsdebatte zu
Berlin. Die Schmerzgrenze war klar definiert: 10,7 Prozent, das Ergebnis der Grünen bei der Bundestagswahl vor vier Jahren. Entsprechend groß waren die Schmerzen am Sonntagabend: Die Grünen, noch vor wenigen Monaten auf 15 bis 16 Prozent taxiert, sind einstellig geworden. Auf ihrer Wahlparty in der Berliner Columbiahalle herrschte Entsetzen, das sich auch im Mienenspiel der Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt niederschlug. „Das wird eine schwere Zeit für uns“, prophezeite sie den Parteianhängern mit Blick auf die kommenden Monate.
Es werde eine Zeit, in der man „schonungslos diskutieren“ müsse, sagte der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Er nannte als einen möglichen Grund für die Niederlage das „Steuerpaket“, die Pläne der Grünen für starke Steuererhöhungen. Hamburgs Grünen-Spitzenkandidatin Anja Hajduk forderte eine Dikussion über das Partei-Personal. „Ich glaub, dass bei dem Ergebnis sowohl personelle als auch inhaltliche Fragen auf den Tisch gehören“, sagte sie. Damit war der Blick auf den Mann gerichtet, der am Sonntag ebenfalls eine „schonungslose Analyse“ ankündigte: Jürgen Trittin.
Er steht für fast alles, was die Grünen von der gesellschaftlichen Mitte abgekoppelt haben dürfte. Das beginnt mit den Steuerpläne. Schon vor Jahren hatte er begonnen, ein Finanztableau für Bund, Länder und Kommunen zu entwerfen. Die Zahlen wurde immer größer. Doch weil Trittin auf mathematische Schlüssigkeit verweisen konnte, wagte niemand zu fragen, ob die Grünen damit nicht die bürgerliche Mitte verlieren würden.
Zum Opfer von Trittins Kühle wurden die Grünen auch bei der Energiewende. Dieses Projekt, das die Herzen der Parteimitglieder und vieler Anhänger erwärmt, ist in den vergangenen Monaten von außen abgekühlt worden. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) ließ die Komplexität der Materie deutlich werden. Hierauf reagierte Trittin zunächst gar nicht. Als er sich dann des Themas wieder annahm, argumentierte er so technokratisch, dass das Thema von der Partei erst recht nicht mit Hoffnungen besetzt werden konnte. Kalt gerieten auch Trittins Reaktionen auf die Pädophiliedebatte, wo er zu offener Anteilnahme gegenüber möglichen Opfern kaum fähig war.
Nun fragt sich, ob er sich als Fraktionschef halten kann. Als möglicher Nachfolger wird der Bayer Anton Hofreiter gehandelt. Renate Künast, die Frau in der Fraktions-Doppelspitze, wird von kaum jemandem weiter in dieser Funktion gesehen. Aber auch Katrin Göring-Eckardt steht nun für enttäuschte Hoffnungen. Chancen auf den Fraktionsvorsitz werden Kerstin Andreae zugetraut. Der Unmut im Realo-Lager ist groß. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer nannte das Ergebnis eine „furchtbare Niederlage“. Palmer: „So schlecht, wie Schwarz-Gelb vier Jahre lang regiert hat, müssen wir uns eingestehen: Die Niederlage haben wir selbst gemacht.“ Nötig sei jetzt „eine offene Debatte“ über mögliche Ursachen. Zu fragen sei nach der Rolle von „Veggie Day, Pädophiliedebatte, Steuerkonzept, Linkskurs“ – und: „Personal“.