Der Wahlkreis Altona gilt als besonders heikel in der SPD: Seit 1998 war das Direktmandat fest in der Hand des heutigen Ersten Bürgermeisters. Nun müht sich Matthias Bartke im Straßen- und Haustür-Wahlkampf, es für die Partei zu sichern.
Hamburg. Es geht ihm nicht um Politik. „Kochlöffel“, raunzt der Betrunkene und zeigt mit seiner verbundenen Hand in kreisenden Bewegungen auf den Stehtisch unter dem roten SPD-Sonnenschirm. Dort liegt ein Stapel hölzerner Bratenwender mit dem Logo der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Aufschrift: „Damit nichts anbrennt.“ Schnell reichen ihm die Assistenten von Matthias Bartke, dem SPD-Direktkandidaten aus Altona, ein Exemplar. Inhaltlich können sie mit diesem potenziellen Wähler heute ohnehin nichts werden. Wahlkampf ist ein hartes Geschäft.
Es ist Sonnabendmittag. Bartke hat mit seinen vier Mitstreitern den Wahlkampfstand an der Stresemannstraße (Altona-Nord) direkt vor dem Musical-Theater Neue Flora aufgebaut. Daneben steht eine rote „Dialog-Box“ mit dem Konterfei des Kandidaten. Die Box in der Größe eines Erdbeerverkaufsstandes ist bei näherer Betrachtung ein mit Luft aufgeblasener Plastikaufsteller und nicht begehbar. Sie erzeugt Volumen und macht so ein wenig mehr her als nur ein einfacher Stehtisch.
Matthias Bartke ist Jurist und Leiter der Rechtsabteilung in der Sozialbehörde. Als er Direktkandidat im Wahlkreis Altona wurde, gab der 54-Jährige den Posten des Büroleiters von Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) ab. Aus Sicht der SPD hat Bartke den wohl heikelsten der sechs Wahlkreise ergattert. Denn sein Vorgänger ist nicht irgendwer, sondern der SPD-Landeschef und Bürgermeister Olaf Scholz. Und der hat den Wahlkreis seit 1998 durchgehend gewonnen. Vor vier Jahren zwar nur noch knapp mit 36,1 Prozent, aber immerhin. Sollte es mit seinem Einzug in den Bundestag nicht klappen, käme es für Bartke gleich doppelt dicke. Scholz hat schließlich den Auftrag ausgegeben, dass die SPD alle sechs Wahlkreise direkt holen soll.
„Ja, ich weiß, dass Altona nun ganz besonders nicht verloren gehen darf“, sagt Bartke. Es seien wohl große Fußstapfen, in die er trete, aber bange machen lassen wolle er sich auch nicht. Er tut viel. Seit Juni macht er Wahlkampf. Wenn er nicht gerade am Stand steht oder Grillfeste abhält, dann macht er Hausbesuche. Etwa 90 am Tag. Bislang seien es 4000, am Ende sollen es 5000 sein. Erdacht hat das Konzept die Bundes-SPD. Anhand eines Mobilisierungs-Indexes lässt sich erkennen, wo potenzielle SPD-Wähler leben, aber vor vier Jahren ihre Stimme nicht abgegeben haben. Jetzt, in der heißen Phase des Wahlkampfes, wird Bartke daher in Lurup, Bahrenfeld und Osdorf unterwegs sein. Er hat daher seinen Jahresurlaub genommen.
Unter dem SPD-Schirm wird es nun politischer. „Also, das mit Vattenfall gefällt mir überhaupt nicht“, sagt ein Passant. Es geht um den Volksentscheid zum Rückkauf der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze und der findet parallel zur Bundestagswahl statt. Der Mann mittleren Alters ist für den Rückkauf. „Ich glaube, die Stadt kann Geld damit verdienen.“ Nun kommt Bartke in Fahrt. „Glauben heißt nicht wissen. Das, was die Linken und die Grünen vorhaben, ist ein fiskalisches Vabanque-Spiel.“ Der SPD-Kandidat steht automatisch in der Haftung für die Politik der SPD-Landesregierung. „Wo kommen Sie denn her?“, will Bartke wissen. „Aus Bergedorf“, lautet die wenig befriedigende Antwort für den Kandidaten aus Altona.
Aber auch Politiker haben es manchmal schwer, gute Antworten zu finden. Der Bürgerschaftsabgeordnete und Lehrer Anjes Tjarks, der für die Grünen antritt, berichtet, dass er an seinem Wahlkampfstand beim Thema Sterbehilfe einmal passen musste. „Ich halte sehr viel von Selbstbestimmung, aber bei diesem Thema stoße ich an meine Grenzen.“ Er bezeichnet es als eine „hohe bürgerliche Ehre“, das Bundestagsmandat zu erlangen. Wenngleich für ihn der direkte Einzug in das höchste deutsche Parlament diesmal nahezu aussichtslos ist. „Wenn nicht jetzt, dann in vier Jahren“, sagt Tjarks. „Ich kämpfe dafür, das beste Ergebnis der Grünen in Altona zu erreichen.“
Im Marion-Dönhoff-Gymnasium in Blankenese diskutieren Tjarks und Bartke bei einer Podiumsveranstaltung mit den übrigen Direktkandidaten Marcus Weinberg (CDU), Jan van Aken (Linke) und Lorenz Flemming (FDP). Unter den Abiturienten kommt beim Thema Legalisierung von Cannabis mächtig Stimmung auf, als van Aken die Freigabe fordert, weil das Verbot nicht wirke. Der Liberale Flemming schließt sich an. Und Weinberg attackiert Tjarks: „Die Grünen wollen Regeln abschaffen, aber dem Bürger einen Veggie Day vorschreiben.“ Auf die Fragen der Schüler, wie man sich denn bitte als Kunde international verzweigter Internetfirmen vor dem Ausspionieren schützen kann, weiß dann niemand eine rechte Antwort.
Am Wahlkampfstand von Matthias Bartke geht es mittlerweile um Altersarmut. Das sei ein Thema, um das er sich kümmern müsse, sagt eine Seniorin. „Ich bin ja noch nicht im Bundestag“, sagt der Kandidat. „Ich will sie da aber drinhaben“, sagt sie. Balsam. Und dann kommt ein Passant, der zwar nicht reden, aber etwas vom Stapel auf dem Stehtisch mitnehmen will. Diesem Mann geht es tatsächlich um Politik: „Einmal ihr Wahlprogramm bitte.“