Senatorin Prüfer-Storcks und die SPD wollen gegen heftigen Widerstand die private Krankenversicherung abschaffen. Prüfer-Storcks sagte, sie kenne keinen Experten, der die Zweiteilung befürworte.
Hamburg. Privat oder gesetzlich versichert? Der Bundestagswahlkampf entwickelt sich zum Kassenkampf. Nicht weniger als ein neues Gesundheitssystem steht an, wenn es um die Pläne der Opposition geht. SPD und Grüne wollen eine Bürgerversicherung für alle einführen. Vor allem aus Hamburg kommen die größten Impulse dazu — und der größte Widerstand. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sagte: „Wir sollten uns endlich von der privaten Krankenversicherung verabschieden.“ Sie kenne keinen Experten, der die Zweiteilung befürworte.
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung stützt ihr Vorhaben. Der Think Tank aus Gütersloh fordert in Zusammenarbeit mit den Verbraucherzentralen eine Zusammenführung von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Diese Kasse solle aus Beiträgen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Steuermitteln finanziert werden.
Dagegen laufen die privaten Krankenversicherer Sturm. Eberhard Sautter, Vize-Vorstandsvorsitzender der HanseMerkur Versicherungsgruppe, sagte dem Abendblatt: „Wenn bei einem Regierungswechsel die Pläne für eine Bürgerversicherung umgesetzt würden, hätte das erhebliche Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft. Das hat unter anderem das Gutachten der Hans-Böckler-Stiftung gezeigt.“ Die gewerkschaftsnahe Stiftung spricht vom Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen. „Aber nicht nur die Unternehmen wären betroffen, sondern vor allem die Versicherten und Patienten“, so Sautter. „Das duale Krankenversicherungssystem ist weltweit spitze sowohl bei der Qualität der Behandlung also auch beim schnellen Zugang zu Diagnose und Therapie, sprich: keine Rationierung und keine oder sehr kurze Wartezeiten. Diese Qualität garantiert besonders auch die PKV.“ Tatsächlich sieht beispielsweise die OECD das deutsche Gesundheitssystem weltweit führend.
Die größten Anwälte der privaten Krankenversicherung (PKV) sitzen in den Arztpraxen. Der Hamburger Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Dirk Heinrich, Chef des NAV-Virchow-Bundes, sagte: „Das Nebeneinander von Privaten und Gesetzlichen Krankenkassen ist der große Vorteil für den Gesundheitsstandort Deutschland. Kommt die Bürgerversicherung, droht die Patientenversorgung Schaden zu nehmen.“ Die Ärzte fürchten um ihre Honorare.
Prüfer-Storcks beruhigt. Den Ärzten solle kein Geld verloren gehen: „Auch dass wir in einigen Stadtteilen nicht mehr genügend Ärzte haben, dass sie auf dem Land fehlen, hängt mit dem Versicherungssystem zusammen. Wenn Ärzte nicht genügend Privatversicherte haben, haben sie geringere Einnahmen. Die Bürgerversicherung ist die eine Seite. Die andere ist ein einheitliches Vergütungssystem für Ärzte. Dabei sollten auch die Honorare anders verteilt werden und beispielsweise die ,sprechende Medizin‘ besser vergütet werden.“ Der Chef der Bundesärztekammer, Prof. Frank Ulrich Montgomery, bleibt skeptisch: Die Bürgerversicherung wäre der „Turbolader der Zweiklassenmedizin“.
Die Privaten haben Szenarien entwickelt, falls die alte PKV abgeschafft wird. Zusatzversicherungen für die Zähne und Extraleistungen werden durchgerechnet. Bei den Gesetzlichen wird gemunkelt, dass auch bei den Privaten die Kosten wegen der alternden Bevölkerung immer weiter steigen und damit die Prämien für die Patienten.
HanseMerkur-Vorstand Sautter widerspricht: „Die 170 Milliarden Euro Rückstellungen, die hier gebildet wurden, garantieren nicht nur eine vernünftige Behandlung im Alter, sondern sorgen zusammen mit dem gesetzlichen Zuschlag und Beitragsentlastungstarifen dafür, Beiträge bezahlbar zu halten.“ Dagegen setzten die gesetzlichen Kassen seit Jahrzehnten auf Kostendeckelung. „Dass neue Medikamente und modernste Geräte allen Versicherten zur Verfügung stehen, das garantiert die Dualität von PKV und GKV.“
Die Ärzte neigen offensichtlich bei Privatversicherten zu einer „umfassenden“ Behandlung. So sagte der Essener Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem dem Abendblatt: „PKV-Versicherte bekommen in höherem Maße neue, teure Arzneimittel verordnet, was überwiegend für sie gut ist, teilweise aber sicher auch riskant. Sie werden aggressiver behandelt, schneller operiert, vermutlich weil das finanziell attraktiv ist.“
Der Vorstandschef der gesetzlichen Kasse KKH, Ingo Kailuweit, sieht kaum einen Unterschied für die Kunden: „Der PKV-Versicherte erhält keine besseren medizinischen Leistungen. Der Service ist bisweilen besser“, sagte er dem Abendblatt. Kailuweit warnte davor, dass bei einer Bürgerversicherung eine gewaltige Wanderung einsetzt: „Wer dann von den privaten Krankenversicherungen in die gesetzliche käme, wären ältere Menschen und Kranke, die in jungen Jahren privat versichert waren und wegen der steigenden Prämien im Alter wieder in das solidarische System wollen. Diese Belastung darf nicht einseitig der GKV übertragen werden.“
Ältere Privatversicherte mokieren sich über steigende Prämien. Es gibt Selbstständige mit starken Gewinneinbußen oder Ehefrauen von Beamten, die nach einer Scheidung die Prämien nicht mehr zahlen können, aber nicht zurück in die gesetzliche Kasse dürfen. Durch säumige Zahler fehlen den Privaten derzeit 745 Millionen Euro.
Senatorin Prüfer-Storcks sagte, es müsse eine Frist geben, in der Privatversicherte in die Bürgerversicherung könnten. „Wer privat versichert ist, ist fast ein Gefangener seiner PKV. Bei einem Wechsel des Unternehmens kann man die Altersrückstellungen nicht komplett mitnehmen und muss sich einem weiteren Gesundheitsscheck unterziehen. Dann steigen womöglich die Prämien erneut.“
Auf die künftige Regierungskoalition schauen Versicherungen sowie Patienten und Ärzte mit Skepsis. Der amtierende Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) holte beim Ärztetag die Wahlkampfkeule heraus: „Die Bürgerversicherung macht den Versicherten zum Bittsteller einer Einheitskasse.“