Dänemark wirbt für mehr Pragmatismus bei Hinterlandanbindung der Fehmarnbelt-Querung in Deutschland. Auswirkungen auf den deutschen Staatshaushalt bis zu den Hausbesitzern in Hamburgs Osten sind gewaltig.

Berlin/Hamburg. Wenn die Dänen einen Tunnel in der Ostsee versenken, zittern in den hübschen Eigenheimen in Hamburg-Marienthal die Wände. Beim geplanten Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Dänemark und Ostholstein begleicht zwar das Königreich die erste Rechnung von etwa 5,5 Milliarden Euro. Denn Kopenhagen plant, baut und finanziert den 17,6 Kilometer langen Tunnel, der architektonisch ausgeklügelt in 89 Einzelteilen im Meer versenkt und zusammengefügt wird. Die Auswirkungen auf den deutschen Staatshaushalt bis zu den Hausbesitzern in Hamburgs Osten sind jedoch gewaltig – und schwer zu überblicken.

Rollen von 2021 an die ersten Güterzüge, ICE und Lastwagen über vier Spuren und zwei Gleise durch die Röhren zwischen dem dänischen Lolland und der deutschen Insel, wird es auch an den Trassen im Hinterland lauter. Und die führen von Puttgarden über Lübeck, Bad Oldesloe, Ahrensburg, Rahlstedt, Marienthal. Damit nicht auch noch die Preise für die Immobilien im Hamburger Osten purzeln, müssten vermutlich neue Schallwände her.

Eine moderne Verbindung zwischen Fehmarn und dem Festland muss ohnehin noch gebaut werden. „Und wer über die Autobahn oder im ICE durch den neuen Tunnel aus Dänemark kommt, soll ja nicht auf einem Parkplatz landen“, sagt Torsten Albig (SPD) gern. Er ist Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, führt eine „Dänen-Ampel“ mit den Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband SSW und promotet den Tunnel wie kein Zweiter in Deutschland. Aber auch der Weg der neuen Bahnlinie durch Ostholstein ist alles andere als ausgemacht. Führen die Ausbaugleise entlang der alten Linie durch die Ostseebäder, leidet mutmaßlich der Tourismus, wird es erheblich lauter rund um Timmendorfer Strand und die anderen Gemeinden.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) brachte jüngst wieder die 2+1-Lösung ins Gespräch: Die neue Schnellbahntrasse soll neben der Autobahn 1 Richtung Lübeck verlegt werden, die Regionalbahn schaukelt dann weiter über die alten Gleise nah am Ostseestrand. Das aber würde die Kosten dramatisch in die Höhe treiben. Und so argumentieren Grüne, Umweltschützer, Hotelbesitzer und Bürgerinitiativen mit allen ökologisch und ökonomischen Gründen, die sich gegen dieses europäische Mega-Bauwerk auffahren lassen.

Großprojekt-Experte Malte Siegert vom Nabu in Hamburg wirft den Tunnel-Befürwortern vor, die Kosten kleinzurechnen. „Die 2+1-Lösung lag schon vor dem Staatsvertrag auf dem Tisch und wurde verworfen, weil Schleswig-Holstein und der Bund sie nicht für finanzierbar hielten.“ Nun betrage der deutsche Anteil am Gesamtprojekt 1,7 Milliarden Euro, und das habe der Bundesrechnungshof schon vor vier Jahren kalkuliert. „Erst wird kleingerechnet, dann die Planung korrigiert, und am Ende ist Verkehrsminister Ramsauer ab Herbst vielleicht gar nicht mehr im Amt, um es politisch zu verantworten“, lästert Siegert.

Die Grünen im Norden sind gespalten. Sie tragen die Kieler Koalition mit. Im Hintergrund munitionieren sie jedoch auch ihre dänischen Kollegen mit Material, dass der Bedarf für den Tunnel gar nicht da ist, dass Deutschland sich die Hinterlandanbindung überhaupt nicht leisten kann, dass es ökologisch sinnlos sei und zudem die Jütland-Route kannibalisiere.

Doch Ministerpräsident Albig tut alles, um den Bauwillen seiner Regierung zu demonstrieren. Auf einer Tagung in Berlin, die er wegen einer Augenbehandlung kurzfristig absagen musste, ließ der Regierungschef seinen Verkehrsminister erklären, warum die feste Fehmarnbelt-Querung (FFBQ) allen nützt. Reinhard Meyer (SPD) sagte auch, man habe aus den schlechten Erfahrungen mit Stuttgart 21 gelernt: „Dort hat man zu spät offen über das Projekt gesprochen.“ Diese Offenheit müssten aber auch die Umweltverbände an den Tag legen. „Sie nehmen am Dialog nicht teil, damit sie später gegen den Tunnel klagen können.“ Die Dänen seien im Umgang mit Großprojekten pragmatischer als die Deutschen.

So schilderte der frühere dänische Verkehrsminister Hans Christian Schmidt, der FFBQ vorangetrieben hatte: „Bei uns sind die Umweltkriterien genauso streng wie in Deutschland. Und wir lieben Brücken.“ Dann aber habe die Projektgesellschaft Femern A/S herausgefunden, dass ein Tunnel ökologischer sei. „Also“, sagte Schmidt, „dauert es etwas länger, wird es etwas teurer, aber es ist umweltverträglicher.“ Sieben von acht Fraktionen des Parlaments Folketing unterstützten den Tunnel nach Deutschland.

Mit der Erfahrung aus zwei Mega-Projekten im Rücken, den Brücke-Tunnel-Kombinationen über den Großen Belt und den Öresund nach Schweden, geben sich die Dänen selbstbewusst. Zehn Jahre nach der Eröffnung sei die Situation für Flora und Fauna nahe den Bauwerken besser als vorher. An den Brückenpfeilern hätten sich sogar Muschelbänke angesiedelt. Und, sagt Ajs Dam von Femern A/S, der Widerstand war so groß wie jetzt in Deutschland.

Die Handelskammern, Kummer gewohnt bei Elbvertiefung und Straßenbau, werfen scharfe Pfeile gegen den Berliner Chefbauer Ramsauer. Der Minister solle sich stärker auf „Projekte von nationaler Bedeutung“ konzentrieren, schrieb ihm Fritz Horst Melsheimer ins Stammbuch, Vorsitzender der IHK Nord und Präses der Handelskammer Hamburg. Der Bundesverkehrswegeplan, aus dem auch Geld für den Tunnel fließt, müsse endlich strategisch verstanden werden.

Die Grünen jedoch sehen keinen Gewinn für den Norden. Es gebe keine positiven Effekte für Schleswig-Holstein, wenn es nur Transitland ist. Auch die Fahrzeitverkürzung auf drei Stunden zwischen Kopenhagen nach Hamburg sei kein Argument. Die Zug- und Lkw-Zahlen würden ohnehin zu hoch angesetzt. Die Dänen planen unbeirrt weiter. Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt stellte 148 Millionen Euro bereit, um die Bahnstrecke zwischen Rødbyhavn und Ringsted früher als geplant auszubauen. Und der Bau eines Betonwerkes auf Lolland für die Tunnelelemente wird einfach vorgezogen.