Der Kontinent müsse aber seinen eigenen Weg finden, sagte der Bundespräsident beim Besuch in Äthiopien - und kritisierte damit Chinas Einfluss
Addis Abeba. Für einen Mann von 73 Jahren relativiert sich manches. Ein Jahr im Amt, was ist das schon, meint Bundespräsident Joachim Gauck. Vor genau zwölf Monaten stand er noch vor der Bundesversammlung in Berlin und ließ sich als neues Staatsoberhaupt feiern. Ein Jahr später tritt er vor die Afrikanische Union in Addis Abeba und spricht über einen afrikanischen Weg zur Demokratie. In viele Themen habe er sich erst einarbeiten müssen, sagt Gauck, aber das habe ihm auch einen richtigen Push gegeben.
Dass das fortgeschrittene Alter auch Vorteile haben kann, konnte Gauck gleich nach seiner Ankunft in der äthiopischen Hauptstadt erleben. Mit Regierungschef Hailemariam Desalegn, 47, hatte er ein ungewöhnlich offenes Gespräch geführt. "Man hört den Alten in Afrika ganz anders zu", hieß es später aus Gaucks Umgebung. Desalegn war erst im vergangenen September dem verstorbenen starken Mann Äthiopiens, Meles Zenawi, gefolgt.
Wie viel Einfluss Desalegn tatsächlich auf die Geschicke des Landes am Horn von Afrika hat, weiß niemand so genau. An Charisma und Durchsetzungsvermögen seines Vorgängers reicht er jedenfalls nicht heran. Dass die "Demokratische Bundesrepublik Äthiopien" von einer Demokratie westlichen Musters sehr weit entfernt ist, bestreitet in Europa indes keiner.
Menschenrechts-Organisationen hatten Gauck eine Reihe von Anliegen mit auf den Weg gegeben - etwa nach verhafteten Journalisten zu fragen. Wegen einer unangemeldeten Demonstration waren gerade 43 Menschen in Äthiopien festgenommen worden. Ihre Freilassung wurde "in den nächsten Tagen" in Aussicht gestellt. Die Organisation "Survival International" forderte Gauck in einem offenen Brief dazu auf, auch die dramatische Menschenrechtssituation der indigenen Völker im südäthiopischen Omo-Tal anzusprechen. Sie würden brutal aus ihrer Heimat vertrieben, weil die Regierung in der Region Plantagen anlegen wolle.
Am Montag traf Gauck mit äthiopischen Oppositionellen und Menschenrechtlern zusammen. "Bitter und bedrückend" beschrieben Teilnehmer die Schilderungen der Gäste. "Wir dürfen uns nicht einbringen", berichteten die Äthiopier, die gewiss nicht zur radikalen Opposition zählen. "Helfen Sie uns", appellierten sie an Gauck. Die vielen Milliarden Euro Entwicklungshilfe Jahr für Jahr würden das Land nicht voranbringen. Gauck sprach später von der Gefahr, dass auch konstruktive Bürger abgedrängt würden in Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit.
Auf einem Friedhof ehrte Gauck einen Pfarrer, der gefoltert wurde und starb
Dann kommt der frühere Pastor aus dem Osten seinem früheren Leben plötzlich ganz nah. Auf einem Friedhof in Addis Abeba ehrt er den evangelischen Pfarrer Gudina Tumsa, der 1979 als Märtyrer für seinen Glauben starb, gefoltert und ermordet vom damals sowjet-freundlichen Regime. Gauck kennt das Schicksal seines Bruders im Geiste schon aus DDR-Zeiten. Heute tröstet er hier, 6000 Kilometer von Rostock entfernt, Tumsas Witwe und dessen Töchter.
Der deprimierenden Erinnerung an die Vergangenheit folgt ein etwas hoffnungsvollerer Blick in die Zukunft. Am Nachmittag spricht Gauck vor der ständigen Vertretung der Afrikanischen Union. Der Kontinent müsse einen afrikanischen Weg zur Demokratie finden. "Wahre Partner Afrikas unterstützen diese Veränderungen", sagt Gauck. Man kann das als leise Kritik an den auch in Äthiopien allgegenwärtigen Chinesen verstehen. Die hatten den Afrikanern unter anderem den prachtvollen Bau ihres neuen Hauptquartiers finanziert, in dessen Plenarsaal Gauck redete.
Stolze 200 Millionen Dollar (153 Millionen Euro) ließen sie dafür springen. Auch Straßen und andere Infrastruktur-Projekte in Afrika sind fest in der Hand der kommunistischen Volksrepublik. "Sechs der zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt liegen in Afrika", betonte Gauck. Viele Afrikaner sind wütend, dass die 54 Staaten des Kontinents es trotz dieses Wirtschaftswachstums bisher nicht schaffen, ihre wichtigen Millionen-Projekte selbst in Angriff zu nehmen.
Zum Jahrestag seines Amtsantritts hat Gauck auch vor überzogenen Erwartungen gewarnt. "Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass der Bundespräsident eine Art übergeordnete Politikinstanz wäre, die genau wüsste, was der richtige Weg ist", sagte Gauck am Rande seines Besuchs in Addis Abeba. "Dann würde ich mein Amt überdehnen." Er sei vielleicht weniger kritisch, als es manche von ihm erwarteten, aber: "Ich möchte nicht die Rolle spielen, als wüsste ich alles, und die Abgeordneten und Minister seien eine Klasse darunter."
Er selbst wolle dem Jahrestag keine große Bedeutung beimessen. "Ich bin 73 Jahre alt und ein einjähriges Jubiläum spielt dann eine geringere Rolle. Ich habe darüber nicht groß nachgedacht." Als besondere Freude und Mittel zum Stressabbau habe er die Begegnungen mit Ehrenamtlichen empfunden. "Das ist einfach super", sagte Gauck.