Eine Indonesierin verklagt einen Unternehmer auf 100.000 Euro Lohnnachzahlung: Er soll sie als billige Haushaltshilfe missbraucht haben.
Tia H. aus Bandung, Indonesien, wollte in Hamburg studieren und landete als Arbeitssklavin im Haushalt von Till H.
Till H., Windkraftunternehmer aus Hamburg, wollte etwas Gutes tun und steht jetzt als Beklagter vor Gericht.
Der Prozess zwischen Tia H. und Till H. läuft vor dem Landesarbeitsgericht. Beim ersten Termin Ende Januar trafen die beiden im Gerichtssaal 206 wieder aufeinander. Tia H. schaute zu Boden, als ihr vermeintlicher Arbeitgeber Till H. hereinkam. Sie: 32 Jahre alt, schwarze, volle Haare zu einem Zopf zusammengebunden, klein, leise Stimme. Er: 51 Jahre alt, braune, nach hinten gekämmte Haare, hochgewachsen, aufrechter Gang, laute Stimme.
Tia H. will 100.000 Euro, weil sie für einen Hungerlohn im Haushalt von Till H. gearbeitet haben soll. Es ist ein Kampf, den viele Migranten sich nicht trauen.
Ihre Geschichte steht stellvertretend für viele. Es sind Geschichten von einem missglückten Neustart im fremden Deutschland. Geschichten der Hoffnung und der Enttäuschung. Geschichten von Ausbeutung und Missbrauch. Und doch hat die Geschichte von Tia H. zwei Seiten: Till H. bestreitet alle Vorwürfe. Er sieht sich als Opfer von Tia H., die seine Gutmütigkeit ausgenutzt haben soll.
Die Fakten sind unklar, die Fronten verhärtet. Unstrittig ist nur: Die Klägerin und der Beklagte kennen einander. Und: Till H. zahlte Tia H. ein Taschengeld, erst 400 Euro, später 700 Euro. Wofür, ist unklar. Beide bestätigen, dass Tia H. drei Jahre in Büroräumen von Till H. wohnte. Was genau sie in seinem Haushalt in Harvestehude von 2009 bis 2012 machte, daran erinnern sich beide sehr unterschiedlich.
Tia H. schilderte ihre Version vor dem Gericht so: 2007 reiste sie mit einem Au-pair-Visum nach Deutschland ein, Deutsch hatte sie schon auf Lehramt in ihrer Heimat studiert. Sie arbeitete bis 2009 als Kindermädchen in einer Hamburger Familie. Bei Bekannten von Till H. Als die Familie nach Dänemark umzog, bot Till H. ihr einen Übernachtungsplatz an: sein Büro. Als Gegenleistung sollte Tia H. die Räume putzen. 2009 zunächst nur sechs Stunden die Woche. Dann musste sie aber immer öfter auch im privaten Haushalt des Unternehmers arbeiten, sagt sie. Als Till H. und seine Partnerin 2010 ein Kind bekamen, musste sie nicht nur putzen, bügeln und einkaufen, sondern auch Windeln wechseln. "Nur zum Stillen habe ich der Mutter das Kind gebracht. Ich habe sechs Tage die Woche gearbeitet, 14 Stunden am Tag, sonntags zwölf Stunden", sagt die Indonesierin. Sie spricht mit schwacher Stimme und starkem Akzent.
Als sie 2010 endlich einen Studienplatz hatte, konnte sie nicht zur Uni, weil sie immer arbeiten musste. Tia H. will mehr Zeit für ihre Pläne eingefordert haben, sei aber wiederholt vertröstet worden. Erst wenn das Kind von Till H. älter sei sollte sie mehr Freizeit bekommen. Die ebenfalls beklagte Partnerin von Till H., Christina H., habe der Indonesierin immer wieder klargemacht, dass ihr Partner so viel für sie getan habe und Tia H. ihm gefälligst dankbar sein sollte.
Im vergangenen Jahr wurde Tia H. von ihrem Freund schwanger. "Du musst wissen, was gut für dich ist", soll Till H. gesagt haben. Vorher hatte sie das Paar oft auf Reisen begleitet. Die Tickets waren immer schon gebucht. Doch im Juni weigerte sich Tia H., mit nach Griechenland zu kommen. Der Rückflugtermin kollidierte mit dem Stichtag. Sie konnte nicht mehr arbeiten. Und plötzlich war sie ihren Job los: Till H. hatte das Schloss zu den Büroräumen ausgetauscht. Sie stand vor der Tür. Ohne Wohnung. Ohne Geld. Im siebten Monat schwanger.
Dass Tia H. jetzt vor dem Landesarbeitsgericht für ihre Rechte kämpft, macht sie zu einem Vorbild für viele Migranten - findet Mónica Orjeda. Die 47-jährige Leiterin des Projekts "ambulante Betreuung für MigrantInnen" des Verbunds für interkulturelle Kommunikation (verikom) hat Tia H. zu dem Prozess geraten. Die Sozialarbeiterin glaubt an die Darstellung der Indonesierin, sieht sie als eine Mutmacherin. Doch vor Gericht machte Tia H. mit der geduckten Haltung manchmal den Eindruck, als fremdele sie noch mit ihrer neuen Rolle. Orjeda sieht das nicht. Sie sieht nur das Schicksal von unzähligen Migranten. Tatsächlich wissen immer noch viel zu wenige von ihnen, welche Rechte sie haben und was sie gegen ihre Ausbeutung tun können. Deshalb vertritt Orjeda Menschen mit und ohne Papiere, die sonst niemanden haben, der für sie kämpft. Sie sagt ihnen, dass auch ein mündlicher Arbeitsvertrag gültig ist. Sie erklärt ihnen, dass ihnen Mutterschutz anstatt Rausschmiss zusteht. Als Tia H.s Beraterin schaltete sie das Deutsche Institut für Menschenrechte ein. Es finanziert aus einem Rechtshilfefonds einen Anwalt, der die Klage der mittellosen Migrantin gegenüber dem Beklagten vertritt.
Till H., der Beklagte, sieht die Sache ganz anders. Aus purer Gutmütigkeit, aus Hilfsbereitschaft hat er gehandelt, sagte er vor Gericht. Damit stehe er für eine Gruppe, die genug habe, um zu helfen. Er sei eben einer, der es auch mache. Doch anstatt Dank erhalte er jetzt eine Klage. Doch eigentlich sei es Tia H. gewesen, die seine Großzügigkeit ausgenutzt habe. Jetzt habe sie sich "ein Kind machen lassen, jetzt braucht sie uns nicht mehr", sagte der hochgewachsene Mann mit aufgeregter Stimme.
Vor Gericht beschrieb der Beklagte die Sache so: Aus "purem Altruismus" hat er die damals 27-jährige Indonesierin in seiner Anliegerwohnung im Büro leben lassen. Er, der Altruist, soll nun plötzlich Ausbeuter sein? Er selbst ist zu Schulzeiten in Tokio jahrelang von einem japanischen Manager unterstützt worden und wollte das zurückgeben. In den drei Jahren hat er ihr Zahn-OPs bezahlt für 8000 Euro und einen Sprachkurs für 4000 Euro. Die Indonesierin war für ihn und seine Partnerin wie ein Kind. Dass Tia H. ihn als Sklaventreiber darstelle, kränke ihn sehr. Das Gegenteil ist der Fall, sagte der Selbstständige.
Mit einer Verpflichtungserklärung habe Till H. 2010 bei der Ausländerbehörde dafür gesorgt, dass Tia H. einen Studienplatz und damit ein Visum bekommt. Tia H. ihren Traum erfüllen, das wollte er. Doch im Sommer 2012 verlor er den Überblick. Wusste nicht mehr, mit wem sich Tia H. traf, sagt er. Er machte sich Sorgen - schließlich habe sie die Schlüssel für sein Büro gehabt. Als sie sich nicht mehr bei ihm meldete, habe er im Juni des vergangenen Jahres das Schloss seines Büros austauschen lassen.
Dass er jetzt als Beklagter vor Gericht steht, kann er sich nicht erklären. "Das ist das Schamloseste und Dreisteste, was mir in meinem ganzen Leben passiert ist. Es ist unglaublich, was mir da vorgeworfen wird", sagte der Windkraftunternehmer vor Gericht. In seiner Maisonette-Wohnung in Harvestehude habe Tia H. nie geschuftet. Sie habe dort nicht putzen müssen - dafür sei eine Putzfrau zuständig gewesen. Und für seine kleine Tochter hätten er selbst, seine Lebensgefährtin und ein Kindermädchen gesorgt. Tia H. hätte höchstens mal mit dem Kind gespielt. Es habe nie einen Arbeitsvertrag gegeben. Jetzt will er Strafanzeige gegen Tia H. stellen, wegen Verdacht auf Prozessbetrug.
Der Fall von Tia H. und Till H. läuft weiter. Beim ersten Aufeinandertreffen vor Gericht kam es zu keiner Einigung. Die Arbeitsrichterin Petra Kriens zeigte sich verwundert über die unterschiedlichen Versionen der Geschichte. "Das ist alles sehr abenteuerlich. Zumindest eine Partei lügt in diesem Fall", sagt Kriens. Der Sachverhalt decke sich an keiner Stelle. Den Fall werde sie deshalb an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Verdacht auf Prozessbetrug - wer von den beiden nicht die Wahrheit sagt, muss Konsequenzen fürchten.
Vor der Kammer sollen deshalb Zeugen aussagen. Menschen, die Tia H. bei der Arbeit gesehen haben sollen. Darunter die Apothekerin aus Harvestehude, aber auch die ehemalige Sekretärin des Beklagten. Dafür hat die Arbeitsrichterin einen Gerichtstermin angesetzt. Am 6. August um 11.15 Uhr werden Tia H. und der Till H. wieder aufeinandertreffen.