Die Bundespolizei verhaftet eine Schleuserbande für syrische Flüchtlinge. Die Hauptroute führt über Hamburg nach Norden.
Hamburg/Berlin. Zehn Monate Spurensuche und Observation der Bundespolizei und der Staatsanwaltschaft Essen mündeten am Dienstag in einen Großeinsatz mit 500 Beamten in sechs Bundesländern. 37 Wohnungen wurden durchsucht, elf Haftbefehle vollstreckt. Ein Schwerpunkt lag in Norddeutschland. Bei einem der Beschuldigten, einem 52 Jahre alten Deutschen mit syrischen Wurzeln, wurden in Geesthacht Handys, Notebooks und Computer sichergestellt. 100.000 Euro in bar fanden die Polizisten bei dem Mann. Sogar die Spezialeinheit GSG 9 war an dem Einsatz beteiligt. Denn der Vorwurf gegen die verhafteten Männer lässt erahnen, dass es um Leben, Tod und hohe Summen geht: bandenmäßiger Menschentransport.
Angesicht von europäischer Wirtschaftskrise, Arabischem Frühling und Bürgerkrieg in Syrien haben die Schleuser Hochkonjunktur. Über Europa hat sich vom Süden nach Norden ein Netz von Menschenschleppern gelegt, die untereinander bestens verdrahtet sind und ihren hilflosen Klienten Komplettangebote machen. Zwischen 5000 und 10.000 Euro zahlen Flüchtlinge, wenn sie aus der Türkei oder Griechenland nach Norddeutschland oder Skandinavien gebracht werden wollen. Für eine Passage aus Syrien werden noch einmal 5000 bis 10.000 Euro mehr verlangt.
Die Schleuser geben ihren Kunden neue Kleidung und etwas Bargeld, instruieren sie genau, was sie wo zu tun haben. In Norddeutschland sind die Autobahn 7 über Hamburg und Flensburg sowie die Fähr- und Bahnverbindung zwischen Ostholstein und Dänemark zu den wichtigsten Schleuserrouten geworden. Hamburg, vor allem der Hauptbahnhof, hat sich zum Brückenkopf für Tausende entwickelt, die in Dänemark, Norwegen oder Schweden Asyl beantragen wollen.
"Skandinavien wird von den Flüchtlingen bevorzugt", sagt Matthias Menge von der Bundespolizei in Bad Bramstedt. Das liege möglicherweise an Familienangehörigen dort, am Lebensstandard und Sozialleistungen oder am gesicherten Aufenthaltsstatus. Die meisten Flüchtlinge kämen aus Afghanistan und dem Irak. Syrer machten schon jetzt die drittgrößte Gruppe aus.
"Wir wollen an die Hintermänner heran", sagt Menge. Im Kofferraum von Pkw, in Kleintransportern, im Wohnmobil oder unauffällig per Zug reisen die Menschen gen Norden. "Nicht auszudenken, was passiert, wenn ein Kleinlaster mit zusammengepferchten Menschen verunglückt", sagte Bundespolizist Menge.
Häufig sind es junge Männer, die quer durch Europa ihr Heil in der Flucht suchen. In ihren Heimatländern herrscht Chaos. Die Aussichten auf Jobs sind praktisch gleich null. Ihre Pässe lassen sie meist zurück - auch um sich jünger zu machen und dem Erwachsenenstrafrecht zu entgehen, wenn sie gefasst werden. Oft sind die Ausweise gefälscht. Die Bundespolizei kontrolliert deshalb schon vorsorglich in den Herkunftsländern, wie Thorsten Völlmecke von der Bundespolizei in Hannover sagt. Dazu reisen deutsche "Urkunden-Fachkräfte" an Luftdrehkreuze wie Istanbul.
Nach dem Migrationsbericht des Bundesinnenministeriums sind im Jahr 2011 insgesamt 21.156 illegal eingereiste Personen registriert worden, 18,6 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Unter den EU-Staaten ist Deutschland ohnehin das beliebteste Ziel von Einwanderern. Es gab 958.000 Zuzüge, ein Plus von 20 Prozent. Großbritannien war das zweitbeliebteste Land mit 591.000 Migranten. Die meisten Zuwanderer nach Deutschland kamen aus Polen. Aus Griechenland kamen 84 Prozent mehr Einwanderer, aus Spanien 31 Prozent mehr als 2010.
Fast 210.000 Menschen kamen als Saisonarbeiter oder Schaustellergehilfen in die Bundesrepublik. Von den knapp 46.000 Asylantragstellern erhielten fast 24.000 einen ablehnenden Bescheid. Den Zuzügen standen auf der anderen Seite rund 680.000 deutsche Auswanderer gegenüber.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, liest in der Statistik, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei: "Und das ist auch gut so", erklärte Böhmer. Zuwanderung könne stärken, wenn sie richtig gestaltet werde. Daher müsse sie stets im Zusammenhang mit Integration gedacht werden.
Der innen- und rechtspolitische Sprecher der CSU, Stephan Mayer, sieht die Zunahme der Illegalen in Deutschland mit Sorge. Man nähere sich "bedrohlich den Werten aus den 1990er-Jahren", so Mayer. "Ich halte es daher für dringend notwendig, den Schutz der Grenzen durch die Bundespolizei, die Polizeien der Länder sowie die Zollverwaltung weiterhin auf einem sehr hohen Niveau zu halten."
Der Migrationsbericht zeige aber auch, dass "die Attraktivität des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts Deutschland weiter zugenommen hat". In der Zuwanderung von Hochqualifizierten gebe es deutliche Zuwächse um bis zu 40 Prozent. "Der bisherige Höchststand ausländischer Studierender aus dem Vergleichsjahr 2010 konnte sogar nochmals um zehn Prozent übertroffen werden."
Dagegen forderten die Grünen Gesetzesänderungen, um mit dem Zustrom von Einwanderern besser umgehen zu können. Notwendig seien eine vereinfachte Einbürgerung sowie das kommunale Wahlrecht auch für Nicht-EU-Bürger, sagte der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kilic.