Die Grünen bangen nach der Spitzenkandidaten-Wahl um ihre Parteichefin Claudia Roth. Nach ihrem schlechten Ergebnis denkt sie an Rücktritt.
Berlin. Urwahl mit unerwünschtem Nebeneffekt: Die Grünen bangen nach der Wahl ihrer Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2013 um Parteichefin Claudia Roth. Sie musste sich bei dem Entscheid der Grünen-Basis mit 26,18 Prozent abgeschlagen mit Rang vier begnügen - hinter Fraktionschef Jürgen Trittin, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt und Ko-Fraktionschefin Renate Künast. Roth selbst war am Wochenende abgetaucht und kündigte für Montagmorgen (08.00 Uhr) eine Erklärung an.
Angesichts einer möglichen Führungsdebatte kurz vor dem Parteitag stellten sich Spitzenpolitiker der Grünen am Wochenende demonstrativ und flügelübergreifend hinter die Parteichefin. Ko-Chef Cem Özdemir forderten ebenso wie die beiden Spitzenkandidaten Trittin und Göring-Eckardt die Grünen-Vorsitzende zur erneuten Kandidatur auf. Vor der Urwahl hatte sie noch angekündigt, unabhängig vom Ausgang der Basisbefragung beim anstehenden Bundesparteitag Mitte November in Hannover wieder für den Vorsitz zu kandidieren.
„Kein Votum über Parteivorsitz“
Nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Urwahl am Samstag war Roth derweil auf Tauchstation gegangen. Nur auf Facebook äußerte sie sich knapp: „Ich gratuliere von Herzen Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt. Das ist Demokratie!“, hinterließ Roth als Nachricht im Internet. Ob sie angesichts ihres schlechten Wahlergebnisses an der Parteispitze bleibt, ist offenbar nicht sicher. Özdemir hatte der „taz“ bereits am Samstagabend gesagt: „Es ist keine Schande, bei einer Urwahl nicht einen der beiden Spitzenplätze bekommen zu haben.“
Am Sonntag legte das neue Grünen-Wahldoppel nach. „Ich würde mich freuen, wenn Claudia Roth sich entschließen würde, erneut zu kandidieren“, sagte Trittin und betonte in der ARD, Roth sei bei der Nominierung der Grünen-Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl „nicht abgewatscht“ worden. Roth habe vielmehr „in vielen, vielen schwierigen Entscheidungen diese Partei immer in der Mitte zusammengeführt. Sie hat integriert. Das kann man nur, wenn man ein eigenes starkes Profil hat.“
Ähnlich positiv äußerte sich Göring-Eckardt. Bei der Urwahl sei es eben nicht um den Parteivorsitz gegangen, sondern um die Frage, mit wem die Grünen an der Spitze in Bundestagswahl ziehen, sagte sie in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Daher hoffe sie sehr, dass Claudia Roth weiter für den Parteivorsitz kandiert. Zugleich stellte Göring-Eckardt klar, dass sie im Fall der Fälle nicht für den Parteivorsitz antreten werde.
Özdemir: „Zwei Paar Stiefel“
Auch Özdemir will Roth ungeachtet des schlechten Wahlergebnisses nicht gehen lassen. „Die Urwahl war kein Ergebnis gegen Ihre Arbeit als Parteivorsitzende, es war vielmehr ein klares Votum dafür, welche beiden Personen die Gesichter der Grünen im Bundestagswahlkampf sein sollen“, sagte Özdemir der „Berliner Zeitung“ (Montagausgabe). Diese Frage sei nun geklärt. „Aber die Spitzenkandidatur und der Parteivorsitz sind zwei Paar Stiefel“, machte Özdemir deutlich. „Ich würde mich freuen, mit ihr gemeinsam den Bundestagswahlkampf organisieren und die Spitzenkandidaten unterstützen zu können.“
Trotz der herben Schlappe kann Roth auch auf die Unterstützung aus den Landesverbänden zählen. „Die Grünen können die Bundestagswahl nur im Team gewinnen und Claudia Roth gehört zu diesem Team dazu“, sagte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Sven Lehmann am Sonntag in Düsseldorf. Roth sei ein Garant dafür, dass die Grünen die Partei der gesellschaftlichen Vielfalt und Buntheit blieben.
Grünen-Fraktionsvize Frithjof Schmidt sagte der „tageszeitung“ (Montagsausgabe): „Claudia Roth hat die Partei in den vergangenen Jahren maßgeblich zusammengehalten und immer integrierend gewirkt.“ Er kenne niemanden in der Partei, der nicht hofft, „dass sie dies als Vorsitzende auch im wichtigen Wahljahr tut“. Der Bundestagsabgeordnete Toni Hofreiter sagte der Zeitung: „Claudia Roth sollte wieder antreten. Sie ist eine sehr gute Parteivorsitzende“. Die Urwahl sei kein Votum der Basis darüber gewesen, ob sie eine gute Vorsitzende sei.
Kein Schwenk zur Union
Unterdessen traten die Grünen Spekulationen entgegen, sie wollten eventuell nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr eine Koalition mit der Union eingehen. Sowohl Trittin als auch Göring-Eckardt bekräftigten am Sonntag das Projekt Rot-Grün, mit dem die schwarz-gelbe Bundesregierung abgelöst werden soll. Vor allem die überraschende Wahl von Göring-Eckardt war als möglicher Beleg dafür gesehen worden, dass die Grünen sich in Richtung CDU/CSU öffnen könnten.
Solche Spekulationen sind aus Sicht von Göring-Eckardt unangebracht. Niemand werde nach der Bundestagswahl 2013 ein Gespräch mit der Union ausschlagen, sagte sie. Doch gehe es bei Koalitionen immer um eine inhaltliche Übereinstimmung. „Die sehe ich nicht“, betonte die Grünen-Politikerin. Trittin ergänzte, er könne sich „überhaupt nicht vorstellen“, mit einer antieuropäischen CSU zusammenzuarbeiten. Gleiches gelte auch für CDU und FDP, die eine Vermögensabgabe für Millionäre ablehnten, sagte er.
Auch in der SPD wird eine solche Befürchtung der grünen Neuorientierung nicht geteilt. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sagte im ARD-„Bericht aus Berlin“, die Nominierung von Trittin und Göring-Eckardt werde Rot-Grün nur nutzen. Dies werde letztlich dazu führen, dass die Grünen auch in die Wählerschaft der CDU hineinkämen. „Aber wir müssen jetzt Rot-Grün hinbekommen und das werden wir auch im Jahre 2013 und zwar mit Peer Steinbrück ganz vorne an“, fügte der SPD-Politiker mit Blick auf den designierten Kanzlerkandidaten seiner Partei hinzu.