Die Sieger der Urwahl - Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin - kündigen ein Ringen um die Mitte an. Claudia Roth denkt an Rücktritt.
Berlin. Mit einer Wahlkampf-Doppelspitze aus Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin wollen die Grünen die schwarz-gelbe Regierung ablösen. Die beiden Sieger der Urwahl riefen ihre Partei am Wochenende zur Geschlossenheit im Kampf für Rot-Grün auf und kündigten ein verstärktes Bemühen um die bürgerliche Mitte an. Parteichefin Claudia Roth gerät durch ihre überraschend deutliche Niederlage unter Druck: Sie denkt an Rückzug und will an diesem Montagmorgen vor der Sitzung des Grünen-Bundesvorstands bekanntgeben, ob sie sich auf dem Parteitag am kommenden Samstag in Hannover erneut als Grünen-Vorsitzende bewerben will.
Roth wurde von Führungspersonen der Partei gebeten, als Vorsitzende weiterzumachen, wie dpa aus Parteikreisen erfuhr. Es sei offen, wie sie sich entscheide. Von Göring-Eckardt bekam Roth offene Unterstützung: „Ich wünsche mir, dass Claudia Roth ein gutes Ergebnis beim Parteitag bekommt“, sagte sie der „Bild am Sonntag“.
„Es gibt keine Verlierer”
„Es gibt keine Verliererinnen und keine Verlierer“, betonte Göring-Eckardt (46) beim ersten gemeinsamen Auftritt mit Trittin (58) nach Bekanntgabe des Urwahl-Ergebnisses. Die Frage, ob sie jetzt auch für den grünen Vorsitz kandidieren will, verneinte Göring-Eckardt in der ARD. Roth gratulierte den beiden Gewinnern zunächst nur im sozialen Netzwerk Facebook: „Das ist Demokratie!“
Der Parteilinke Trittin erreichte in der Urwahl 71,9 Prozent der Stimmen, die Realo-Vertreterin Göring-Eckardt 47,3 Prozent, Renate Künast 38,6 und Roth nur 26,2 Prozent. Göring-Eckardt waren vor dem Mitgliederentscheid – dem ersten dieser Art in einer Partei – nur Außenseiterchancen eingeräumt worden. Rund 62 Prozent der knapp 60 000 Mitglieder hatten sich beteiligt. 35 065 Stimmzettel waren gültig. Die unterlegene Künast sicherte dem Duo zu, sie werde ihre Kraft für den Wahlerfolg einsetzen.
Zugleich flammte die Debatte um eine mögliche schwarz-grüne Koalition auf. Göring-Eckardt und Trittin schlossen ein Bündnis mit der Union 2013 nicht aus, machten aber deutlich, dass sie dieses derzeit ablehnen. „Ich sehe bei der Merkel-CDU keine genügende Übereinstimmung“, sagte Göring-Eckardt der „Bild am Sonntag“. Trittin sagte, die Grünen sprächen mit allen, zu einer Regierung mit Union und FDP werde es wohl nicht kommen. Beide betonten, sie kämpften für Rot-Grün.
Debatte um Schwarz-Grün
Andere Stimmen werteten den Sieg der christlichen Realpolitikerin Göring-Eckardt und des Pragmatikers Trittin jedoch als möglichen Türöffner für Schwarz-Grün. Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer sagte „Bild am Sonntag“: „Die betonartige Koalitionsaussage zur SPD und Peer Steinbrück können die Grünen jetzt aufbrechen.“ Linken-Chef Bernd Riexinger sprach von einem Signal für Schwarz-Grün.
„Wir wollen die bürgerliche Mitte, wenn man sie so nennen will, niemand anderem überlassen“, sagte Göring-Eckardt in der ARD. Ähnlich äußerte sich Trittin. Ihre Spitzenkandidatur könne im Übrigen das grüne Wahlergebnis in Ostdeutschland verbessern, sagte die Thüringerin. Trittin sagte „Bild am Sonntag“: „Wir trauen uns zu, kräftig zuzulegen.“ Zu SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück äußerte er sich zurückhaltend: „Wer Kanzlerkandidat wird, ist eine Entscheidung, die die SPD bei ihrem Parteitag im Dezember zu treffen hat.“
Weiter sagte Trittin: „Wir wollen einen grünen Wandel.“ Als Kernprojekte nannte er ökologischen Umbau, Energiewende und die Regulierung der Finanzmärkte. Göring-Eckardt hob auf Gerechtigkeit und stärkeren Zusammenhalt für eine bessere Gesellschaft ab. Die Unterlegenen bekamen Rückendeckung aus der Partei. Alle vier Beteiligten spielten bei einem Wahlsieg eine tragende Rolle in der Regierung, also auch Roth und Künast, sagte der Abgeordnete Omid Nouripour der dpa. Bayerns Grünen-Chef Dieter Janecek sagte „Tagesspiegel Online“, „dass wir bayerische Grüne ganz klar hinter Claudia Roth stehen“. Hessens Landeschef Tarek Al-Wazir forderte ein Ende der Personaldebatten.
SPD-Chef gratuliert Spitzenkandidaten
Die SPD zeigte sich gewiss über gestiegene Siegchancen für Rot- Grün. „Damit sind wir der Ablösung von Schwarz-Gelb einen großen Schritt näher gekommen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann. SPD-Chef Sigmar Gabriel gratulierte ausdrücklich.
Beworben hatten sich 15 Kandidaten. Die elf zuvor unbekannten Grünen-Mitglieder erhielten zwischen 0,3 und 2,4 Prozent. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke empfahl die Urwahl zur Nachahmung. Hinterzimmerpolitik habe es fortan schwer. Der Sieg Trittins und Göring-Eckardts bringe „eine weise Balance zwischen Kontinuität und Erneuerung“.
Göring-Eckardt kündigte an, ihr Amt als Präses der Synode der Evangelischen Kirche bis zum Ende des Wahlkampfes ruhen zu lassen. Forderungen von FDP und Linken, das Amt als Parlamentsvizepräsidentin niederzulegen, wies sie zurück.