Innenminister verteidigt “entscheidenden Baustein der Sicherheitsarchitektur“. Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.
Karlsruhe. Nach den Verfahren gegen den Großen Lauschangriff 2004 und die Vorratsdatenspeicherung 2010 befassen sich die obersten Richter nun erneut mit der Frage, inwieweit der Staat die Grundrechte seiner Bürger zu deren Schutz einschränken darf. In den beiden genannten Verfahren hatten die Richter die Rechte der Bürger gestärkt. Verfassungsbeschwerde hatte ein ehemaliger Richter aus Oldenburg eingelegt. Er hat nun auch Verfassungsbeschwerde gegen die Anti-Terror-Datei eingelegt, weil er einerseits den Datenschutz verletzt sieht und andererseits eine unzulässige Verflechtung von Polizei und Geheimdiensten befürchtet.
Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht gestern bei der mündlichen Verhandlung Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anti-Terror-Datei erkennen lassen. Der Kreis der gespeicherten Personen berge verfassungsrechtliche Probleme, sagte der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof. Mit zahlreichen technischen Detailfragen zeigten die Richter den Klärungsbedarf zu der seit 2007 existierenden Datei auf. Sie wollten insbesondere genau wissen, nach welchen Kriterien die Suchabfragen ablaufen und welche Behörde Daten wie speichert und erhält. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.
Kirchhof sagte, die verfassungsrechtlichen Probleme beträfen insbesondere die Frage, in welchen Fällen Daten von Kontaktpersonen mutmaßlicher Terroristen gespeichert werden dürften. Diesen Punkt monierte auch der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar. "Da werden teilweise Personen gespeichert, bei denen der Bezug zum internationalen Terrorismus nicht erkennbar ist." Kirchof sagte, auch sei zu erwägen, ob und inwieweit eine Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten zulässig sei.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und BKA-Präsident Jörg Zierke bezeichneten die Anti-Terror-Datei als unverzichtbares und effektives Instrument im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Vor allem an Zierke richteten die Richter ihre Fragen. Sie wollten unter anderem wissen, ob Massenabfragen möglich sind und ob mit der Speicherung für die entsprechende Person Nachteile etwa beim Fliegen möglich sind. Beides verneinte der Präsident des Bundeskriminalamts. Für Irritationen sorgte jedoch seine Aussage, Daten würden auch ins Ausland geliefert. "Haben Sie im Griff, was dann damit dann passiert?", fragte Berichterstatter Johannes Masing.
Friedrich verteidigte die Datei als eine Antwort mit Augenmaß auf die in Deutschland immer noch bestehende konkrete Anschlagsgefahr. Sie ermögliche, dass die Sicherheitsbehörden im Eilfall schnell auf Daten zugreifen könnten. Terroristen vernetzten sich weltweit, und die Sicherheitsbehörden müssten sich anpassen, um mithalten zu können. Zierke sagte, früher habe man 38 Behörden um Informationen anschreiben müssen. Sicherheitsbeamte müssten Hinweise jedoch schnell einschätzen um richtig zu reagieren zu können. 300 000 Anfragen habe es seit Bestehen der Datei gegeben.
Gespeichert werden Daten wie Name, Geschlecht und Staatsangehörigkeit, aber unter Umständen auch Religionszugehörigkeit, Bank- und Telefondaten sowie Beruf. Derzeit sind nach Angaben des Gerichts etwa 16 000 Personen erfasst. Davon seien 130 Personen als sogenannte Gefährder und 130 aus deren unmittelbaren Umfeld, sagte Zierke. Weitere 1000 Personen hätten die Behörden im Blick.
Nach dem Vorbild dieser Datensammlung wurde im September zudem eine Neonazi-Verbunddatei freigeschaltet. Die Bundesregierung zog damit eine Konsequenz aus den Versäumnissen bei den Ermittlungen zur Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Die Bundesanwaltschaft hat unterdessen offenbar Anklage gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Unterstützer der Zwickauer Terrorzelle erhoben. Das berichtete der "Tagesspiegel". Zu den vier weiteren Angeklagten zählt nach Informationen der Zeitung der mutmaßlich wichtigste Helfer der Rechtsterroristen, der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Er und Zschäpe sind die einzigen Beschuldigten in dem Verfahren, die noch in Untersuchungshaft sitzen. Der Zwickauer Terrorzelle werden zwischen den Jahren 2000 und 2007 zehn Morde zur Last gelegt. Opfer waren türkisch- und griechischstämmige Kleinunternehmer und eine Polizistin. Zschäpe ist die einzige Überlebende des Trios: Sie stellte sich vor einem Jahr der Polizei, ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt töteten sich selbst.