Vor Koalitionsausschuss stichelt FDP: Keine neuen Sozialleistungen, die Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushaltes 2014 gefährden.
Hamburg/Berlin. Für die schwarz-gelbe Regierungskoalition ist es eine Herkulesaufgabe. Und deshalb reicht es eigentlich, wenn die politischen Schwergewichte aus CDU, CSU und FDP die Streitigkeiten um die Rente, die Praxisgebühr, die Energiewende und das Betreuungsgeld unter sich ausmachen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie die Parteichefs Horst Seehofer und Philipp Rösler wissen, dass beim Koalitionsausschuss am Sonntag nicht weniger als der Frieden innerhalb der Regierung auf dem Spiel steht - und der Auftakt in den Bundestagswahlkampf 2013. Denn wer jetzt punktet, signalisiert dem einen oder anderen unentschlossenen Wähler: Das konnten wir durchsetzen.
Doch über allem schwebt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der an der Dreier-Runde nicht teilnehmen wird, weil er dienstlich in Mexiko weilt. Der Kassenwart wird allerdings bei allem, was Merkel, Seehofer und Rösler aushandeln, prüfen, ob das mit einem neuen Ziel vereinbar ist: bereits 2014 einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen. Deshalb sagte auch FDP-Generalsekretär Patrick Döring im Gespräch mit dem Abendblatt: "Wenn wir einen ausgeglichenen Haushalt für 2014 verabreden, sind wir einen Riesenschritt weiter gegenüber anderen Parteien, die auf Verschuldung und höhere Steuern setzen."
Die Stimmung unter den Koalitionären mag schlecht sein, die Reibereien groß innerhalb der Union um die Rente und innerhalb der Liberalen um die Führung von Parteichef Philipp Rösler - doch die Bilanz ist vorzeigbar. Die Steuerquellen sprudeln, die Rentenkasse und die gesetzliche Krankenversicherung stehen blendend da. Deshalb will die FDP die Praxisgebühr abschaffen. "Wir benötigen die Praxisgebühr nicht mehr, denn die gesetzlichen Krankenkassen haben einen Überschuss von über zwölf Milliarden Euro. Dabei haben wir sie mit einem Defizit von neun Milliarden Euro von Ulla Schmidt übernommen", sagt Döring.
Die Zahl der Arztbesuche sei auf dem alten Niveau, Und die Praxisgebühr störe das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten. "Mancher Arzt steht vor der Frage, ob er den Patienten behandeln soll, der die zehn Euro gerade nicht hat."
Erhebliche Bauchschmerzen haben die Liberalen mit dem Betreuungsgeld, das Frauen erhalten sollen, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Es ist ein Lieblingsprojekt der CSU. Parteichef Horst Seehofer hat eine Lösung angemahnt. CDU-Fraktionschef Volker Kauder sagte, zum 1. Januar 2013 werde das Betreuungsgeld wegen der Zeitverzögerung nicht mehr kommen.
FDP-General Döring geht auf den Koalitionspartner zu, hat aber einen Vorbehalt: "Im Koalitionsvertrag ist das Betreuungsgeld vereinbart. Neben der Möglichkeit, das Geld in die Altersvorsorge zu investieren, muss das auch für Bildung möglich sein. Grundsätzlich gilt der Finanzierungsvorbehalt auch für Projekte der anderen Koalitionspartner. Wir dürfen keine neue Sozialleistung auf Pump einführen, die das Ziel eines zumindest strukturell ausgeglichenen Haushaltes 2014 gefährdet."
Ähnlich skeptisch bleibt die FDP bei der Rentenreform. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist mit ihrer Idee einer Zuschussrente für Bedürftige in den eigenen Reihen umstritten. Das macht es nicht leichter. Döring sagt: "Die Gefahr der Altersarmut muss uns alle beschäftigen. In der Union schwelt ein Streit darüber, in welche Richtungen es gehen soll. Deshalb ist eine Verständigung mit unserem Koalitionspartner schwierig. Wir wollen, dass sich private Vorsorge lohnt. Daher dürfen private Altersvorsorge und Betriebsrente nicht vollständig mit der Grundsicherung verrechnet werden."
Dabei sieht die FDP jedoch eine Gefahr: "Eine Umverteilung innerhalb des beitragsfinanzierten Rentensystems darf es aber nicht geben. Das wäre der Weg in die Einheitsrente", so Döring. Der FDP-Generalsekretär kann sich einen Seitenhieb auf den Koalitionspartner nicht verkneifen: "Wir sind das marktwirtschaftliche Korrektiv dieser Koalition. Bei den Irrungen und Wirrungen in Teilen der Union muss es eine vernünftige Partei geben."
Diese Uneinigkeit sieht er auch in der Energiewende. "Die Hälfte der Bundesländer will sich selbst versorgen, die andere Hälfte will Strom exportieren. Das passt vorne und hinten nicht zusammen." Auch das Wirrwarr beim Fördern erneuerbarer Energien habe man zum Teil führenden Unionisten zuzuschreiben: "Das findet zulasten der Verbraucher statt. Für diese Umverteilungsmaschinerie von unten nach oben ist ein Teil der Ministerpräsidenten der Union mitverantwortlich. Je schneller wir aus dem Fördersystem des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes aussteigen, desto besser. Niemand will zurück zur Kernenergie. Aber Versorgungssicherheit und stabile Preise sind ernsthaft bedroht."
Das sind dicke Bretter, die der Koalitionsausschuss bohren muss. Deshalb baut FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle vor: Es gebe einen "guten Willen aller Beteiligten". Er sagte, er sei optimistisch, dass der Sonntag "ein guter Tag" werde. Ob aber schon dann "alles gelingt oder in den nächsten Wochen", werde sich dann zeigen.
Bei der Rente heißt es aus CDU-Kreisen, dass von der Leyen ihr Modell anpassen wolle und der CSU um Seehofer entgegenkommt. So sollen etwaige Lösungen für künftig bedürftige Ruheständler überwiegend aus Steuermitteln aufgebracht werden.
Während der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte, die Koalition betreibe einen "Kuhhandel auf Kosten der Steuerzahler", haben Union und FDP die Landtagswahlen in Niedersachsen im Januar im Blick: Schafft es die FDP wie zuletzt in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein gegen den Trend doch wieder über die Fünf-Prozent-Hürde, ist sogar eine Neuauflage von Schwarz-Gelb nach der Bundestagswahl wieder denkbar.