Der Ton in der Debatte um Nebeneinkünfte wird rauer. Der SPD-Kanzlerkandidat will angreifen, ist aber mit sich selbst beschäftigt.
Berlin. Zwischen dem Freitag der vorvergangenen Woche und dem gestrigen Sonntag lagen nur neun Tage. Peer Steinbrück konnte in diesen neun Tagen am eigenen Beispiel erleben, wie man von der euphorisch aufgenommenen Bekanntgabe der Kanzlerkandidatur und vom unbeschwerten, angriffslustigen Merkel-Herausforderer zum angeschlagenen Verteidiger in eigener Sache zusammenschrumpfen kann.
Der 65-Jährige, der in einem Jahr Bundeskanzler werden will, muss sich noch immer wegen seiner hoch bezahlten Nebentätigkeiten rechtfertigen. Und dabei zeigt der SPD-Politiker Nerven. Während er am Freitag angekündigte, alle Informationen zu seinen Honoraren so schnell und umfassend wie möglich offenzulegen, ärgert er sich nur einen Tag danach öffentlich über die Kritik an seiner Person. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk wirft er Union und FDP Scheinheiligkeit vor, weil diese eine Verschärfung der Richtlinien über Nebeneinkünfte für Bundestagsabgeordnete verhindert hätten.
Er selbst habe sich allen Regeln entsprechend, "steuerrechtlich sowieso", korrekt verhalten. Auf seinen Vorträgen bei Banken und Anwaltskanzleien habe er nicht anders geredet, "als ich öffentlich rede". Seine Zuhörer könnten bestätigen, dass er "alles andere als ein Knecht des Kapitals" sei. "Dämlich" und "absurd" nennt er Teile der Kritik. Er könne nichts "Ehrenrühriges" daran finden, dass er von Banken, Versicherungen und Anwaltskanzleien, die gewinnorientiert seien, für eine erbrachte Leistung ein Honorar genommen habe. "Ich glaube, dass es Transparenz nur in Diktaturen gibt", sagt er mit dem Hinweis darauf, dass es auch "Privatheit" geben müsse.
Kaum ist das Gesprochene gesendet, entwickelt sich die Debatte weiter zu seinen Ungunsten. Der "Spiegel" meldet, dass Steinbrück 2007 als Minister die Lobbyorganisation Initiative Finanzstandort Deutschland ein Konzept für die halbstaatliche Beratungsfirma ÖPP Deutschland AG erarbeiten ließ, für die eine Wirtschaftskanzlei ein Gutachten geliefert habe. Nach der Zeit als Minister sei Steinbrück dann bei der Kanzlei und beteiligten Finanzinstituten als Redner aufgetreten. Unklar ist, wie viel Geld er dafür bekommen hat. Die Regeln des Bundestags sehen bislang vor, dass die Abgeordneten ihre Zusatzeinkünfte nur in drei Stufen angeben müssen. Die oberste Stufe endet bereits bei mindestens 7000 Euro. Wie die "Welt am Sonntag" schreibt, lagen Steinbrücks Honorare oftmals deutlich höher. In mindestens zwei Fällen habe das Nettohonorar bei 20.000 Euro oder geringfügig darüber gelegen.
Als SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles auch noch einen der schärfsten Steinbrück-Kritiker, den FDP-Generalsekretär Patrick Döring, auffordert, seine eigenen Nebenverdienste offenzulegen, platzt manchen Liberalen der Kragen. "Es ist albern, so zu tun, als sei Steinbrück ein einfacher Abgeordneter", sagt der stellvertretende FDP-Fraktionschef Volker Wissing dem Abendblatt.
Man frage sich doch, warum gerade die Finanzbranche den Ex-Finanzminister so fürstlich bezahlt habe. Wissing nennt es "hochproblematisch", dass Steinbrück erst als Finanzminister Aufträge an Kanzleien vergeben und diese mit Geld versorgt habe und später bei diesen begünstigten Firmen gut bezahlte Vorträge gehalten habe. "Steinbrück tut so, als hätte er keine Vergangenheit. Das Problem ist nicht Steinbrück als Abgeordneter, sondern Steinbrück als früherer Finanzminister", so der FDP-Politiker. Die Frage dränge sich auf, ob er ein Produkt der Finanzindustrie sei, sagt Wissing, der auch finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist.
Nach Ansicht Wissings hat sich die SPD mit der Nominierung des Ex-Ministers keinen Gefallen getan - schon allein wegen dessen momentanen Verhaltens: "Steinbrück neigt dazu, seine Person grenzenlos zu überhöhen. Er sollte wissen, dass er nicht Gott ist."
Auch aus Sicht der Linkspartei, die wegen Steinbrück schon die Chancen eines rot-rot-grünen Bündnisses auf Bundesebene schwinden sieht, kommt die Erklärungsnot des sozialdemokratischen Hoffnungsträgers gerade recht. Selten habe sich ein Kandidat so schnell selbst aus dem Rennen genommen, stellt Linken-Parteichef Bernd Riexinger fest. Riexinger setzt nun auf die Linken in der SPD. Diese sollten darüber nachdenken, "ob sie nicht eine Notbremse für die Kandidatur Steinbrücks finden". Er verschrecke nicht nur Linke, sondern auch Liberale.
Für Steinbrück versprechen die kommenden Tage ungemütlich zu bleiben, solange der Vorwurf der zu großen Nähe zur Finanzbranche im Raum steht. An Verteidigungsversuchen seiner selbst mangelt es derzeit nicht. Am Wochenende hat er auch auf seiner Homepage erklärt, dass die "Angriffe aus den Reihen von CDU/CSU und FDP auf meine Glaubwürdigkeit haltlos, heuchlerisch und scheinheilig sind". Gestern Abend dann der nächste Aufschlag: Er ist in der ARD bei Günther Jauch zu Gast, eine Chance, vor Millionenpublikum Punkte zu sammeln.
Nach zehn Minuten hat sich der Talkmaster an das Thema Nebeneinkünfte herangepirscht, und Steinbrück antwortet knapp auf jede Frage. Er habe es nicht für möglich gehalten, dass über das Thema Misstrauen entstehen könnte, gibt sich der Kanzlerkandidat entrüstet. Er sei auch oft aufgetreten, ohne Honorare zu nehmen, in Schulen und Verbänden etwa. Fast beiläufig erwähnt er, dass er und seine Frau auch gespendet hätten. "Aber das geht nur das Finanzamt etwas an." Mehr als zehn Minuten triezt Jauch seinen Gast mit Nachfragen und will zum Schluss wissen: "Nervt Sie das Thema?" Steinbrück verneint mit einem freundlichen Lächeln. Er antwortet, wie nur Steinbrück antworten kann: "Glauben Sie, mir das anmerken zu müssen?" Da ist Jauch für einen Moment baff.