Der Verteidigungsminister wusste schon im Frühjahr von der NSU-Akte. Mit Volker Limburg muss der vierte Verfassungsschutz-Chef gehen.
Berlin. Kein anderer Spitzenpolitiker kennt sich so gut mit der Nachrichtendienstszene in Deutschland aus wie der ehemalige Innenminister und heutige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU). Doch ausgerechnet er hat nun beim Umgang mit heiklen Unterlagen gepatzt. Anfang dieser Woche war bekannt geworden, dass der ihm unterstellte Militärische Abschirmdienst (MAD) schon im Frühjahr von einer Akte über Uwe Mundlos, das spätere Mitglied des rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), gewusst hatte. Schnell kam heraus, dass der Minister eingeweiht war. Hätte am Mittwoch nicht die ganze Welt nach Karlsruhe auf das Urteil zur Euro-Rettung geguckt - de Maizière hätte weit mehr Negativschlagzeilen gehabt.
Mittlerweile hat der Umgang mit der Mundlos-Akte sogar zu einem Rücktritt geführt: Der Chef des Landesverfassungsschutzes Sachsen-Anhalt, Volker Limburg, wurde auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt - einen Tag nachdem Mitarbeiter im Archiv des Landesamts eine Kopie der Mundlos-Akte entdeckt hatten.
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Linke und Grüne wie Fraktionschef Jürgen Trittin fordern bereits eine Auflösung aller Geheimdienste. Das geht den meisten jedoch noch zu weit. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte der "Welt": "Es ist absurd, dass Bundespolitiker und Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses alle Nachrichtendienste pauschal zur Disposition stellen." Doch im Kreuzfeuer der Kritik steht der Bundesverteidigungsminister: Die Mitglieder des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur Pannenserie bei den NSU-Ermittlungen sind von de Maizières Verhalten empört - parteiübergreifend. Selbst CDU-Obmann Clemens Binninger sagte: "Es ist nicht zu erklären, warum solch ein Hinweis nicht mitgeteilt wurde." Auf Nachfragen habe niemand die Unterlagen erwähnt. In Unionsreihen fragt man sich: Wieso konnte ausgerechnet de Maizière ein solcher Fehler unterlaufen? Er ist Routinier im Umgang mit Geheimdiensten und musste ganz genau wissen, welche Provokation es bedeutete, dem Ausschuss Unterlagen vorzuenthalten.
Das Vorgehen seines Hauses, das seit März von der Existenz der Akte wusste, nannte de Maizière zwar "unsensibel". Sich selbst sparte er aber von Kritik aus. Das sei die Sache des zuständigen Referenten gewesen, wiegelte ein Sprecher ab. Versöhnlich klang deshalb, wovon der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), berichtete: Der Minister habe sich bei ihm am Rande der Haushaltsdebatte "ein Stück weit entschuldigt. Er hat gesagt, es sei unsensibel gewesen, uns nicht zu unterrichten." Das reiche jedoch nicht aus, sagte Edathy. Der Ausschuss überlegt nun, ob de Maizière als Zeuge geladen werden soll. Das wäre politisch brisant, weil sich ein amtierender Bundesminister den bohrenden Fragen der Abgeordneten stellen müsste. Für de Maizière könnte die Affäre also brenzlig werden. Vor dem Rücktritt des Verfassungsschutzchefs von Sachsen-Anhalt mussten bereits die Präsidenten der Landesämter in Thüringen und Sachsen gehen. Auch der Leiter des Bundesamts, Heinz Fromm, ist nicht mehr im Amt.
Doch nun müssen zunächst die genauen Umstände rund um die Mundlos-Akte aufgeklärt werden. Kanzlerin Merkel sagte mit Blick auf die Aktenpanne: Die Regierung werde alles tun, "um die Dinge aufzuklären".
Die nächste Aktenpanne deutet sich bereits an. Unionsobmann Binninger sagte, der Ausschuss habe erfahren, dass im Land Berlin bereits 2002 ein Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort der NSU-Mitglieder vorgelegen habe. Die Information wurde dem Ausschuss aber nicht weitergeleitet.