Verfassungsgericht gibt unter Vorbehalten grünes Licht für ESM-Beitritt. Reaktionen überwiegend positiv, Dax auf Höchststand.
Berlin. Die mit Spannung erwartete Entscheidung des Verfassungsgerichts gibt grünes Licht für den Start des Euro-Rettungsschirms. Allerdings gibt es Auflagen für den Beitritt Deutschlands zum Rettungsschirm. Die Richter wiesen am Mittwoch in Karlsruhe Anträge der Kläger überwiegend zurück, dem Bundespräsidenten die Unterzeichnung des Gesetzes zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bis zum endgültigen Urteil des Gerichts über die Verfassungsbeschwerden zu untersagen. Die Ratifizierung könne aber erst abgeschlossen werden, wenn völkerrechtlich sichergestellt sei, dass die Haftungsgrenze Deutschlands von 190 Milliarden Euro nur mit Zustimmung des Bundestages geändert werden könne, erklärte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Damit kann Deutschland dem permanenten Euro-Rettungsschirm ESM unter Erklärung entsprechender völkerrechtlicher Vorbehalte beitreten. Deutschland hat bislang als einziges Euro-Land den Vertrag über den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ ESM noch nicht ratifiziert. Erst mit der Beteiligung des größten Mitgliedsstaats kann der Rettungsschirm in Kraft treten.
+++ "Das ist eine gute Nachricht für den Euro" +++
Mehrere Gruppen von Klägern hatten in Karlsruhe Eilanträge gegen den permanenten Euro-Rettungsschirm und den europäischen Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin eingelegt. Unter den Beschwerdeführern sind der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und die Fraktion der Linken im Bundestag. Außerdem haben sich rund 37 000 Bürger einer Beschwerde des Vereins „Mehr Demokratie“ angeschlossen. Die Kritiker hatten eine mangelnde demokratische Legitimation der Rettungsmaßnahmen beanstandet.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM soll den im Mai 2010 gespannten ersten „Rettungsschirm“ EFSF ablösen und langfristig zur Stabilisierung des Euro-Raums beitragen. Der ESM soll Krisenländer mit Notkrediten von bis zu 500 Milliarden Euro unterstützen. Zum ESM-Kapital von 700 Milliarden Euro steuert Deutschland 21,7 Milliarden Bareinlagen und 168,3 Milliarden Garantien bei. Im Extremfall kann der Bundeshaushalt also mit 190 Milliarden Euro belastet werden.
Überwiegend positive Reaktionen aus der Politik
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Euro-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts positiv bewertet. „Das ist ein guter Tag für Deutschland und ein guter Tag für Europa“, sagte Merkel am Mittwoch im Bundestag. Deutschland nehme seine Verantwortung für Europa entschlossen wahr, betonte Merkel. Karlsruhe habe dies mit seiner Entscheidung für den ESM und den Fiskalvertrag deutlich gemacht.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier begrüßte das Urteil ebenfalls. „Ich bin erstmal froh, dass die Spekulationen über den Ausgang des Urteils aufhören“, sagte er. Insofern sei er dankbar für die Klärung. „Ich bin froh darüber, dass die parlamentarischen Entscheidungen (...) verfassungsrechtlich gebilligt worden sind“, betonte er weiter. „Damit kann der ESM endlich seine Arbeit aufnehmen.“ Insbesondere begrüßte Steinmeier die Stärkung der Rechte des Bundestags. Das Gericht habe gesagt: „Wir billigen das Ganze unter dem Vorbehalt, dass die Parlamentsrechte gestärkt werden.“
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hat sich zuversichtlich gezeigt, dass nun ein stabiles Bollwerk rund um den Euro gebaut werde. „Heute ist ein guter Tag für Europa“, sagte er in Berlin. „Mit diesem klaren und eindeutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind wir dem Ziel, den Euro stabil zu halten, einen wichtigen Schritt nähergekommen.“ Der Kurs der Bundesregierung und der Koalition sei bestätigt worden. So sei eine Haftungsbegrenzung stets das Ziel der FDP gewesen. Der Weg für die Ratifizierung des ESM sei nun frei.
Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin sagte der ARD: „Das ist ein gutes Urteil“. Es habe die Auffassung der Mehrheit des Bundestags bestätigt, dass der europäische Fiskalpakt und der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM mit dem Grundgesetz vereinbar seien.
Grünen-Chef Cem Özdemir sieht nun Eile geboten, den ESM wirksam werden zu lassen. „Deutschland sollte nun möglichst schnell das Ratifizierungsverfahren abschließen, damit der ESM endlich starten kann“, sagte er in Berlin. Das Urteil sei aber nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg aus der aktuellen Krise. „Es braucht jetzt ebenso entschiedene Schritte zu einer ausreichend demokratisch kontrollierten Bankenunion, die Einführung der beschlossenen Finanztransaktionssteuer und einen Altschuldentilgungsfonds, der den Krisenländern Luft für weitere Reformen verschafft.“
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Enttäuschung bei Linksfraktion
Die Linke zeigt sich enttäuscht über die grundsätzliche Unterstützung des Bundesverfassungsgerichts für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den europäischen Fiskalpakt. „Das ist die Geburtsstunde der Vereinigten Schulden von Europa“, sagte der Parteivorsitzende Bernd Riexinger am Mittwoch. „Erstmals in der Geschichte sollen die Armen für die Schulden der Reichen blechen.“
Die von den Karlsruher Richtern verlangte Haftungsgrenze „wird nicht halten“, sagte Riexinger voraus. Dennoch sprach er von einem „Teilerfolg“. Das Gericht habe zumindest „eine rote Linie gezogen“.
Der Rechtsexperte der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, nannte das Urteil „mutlos und enttäuschend“. Das Gericht folge „im Kern einer Politik, die nicht versucht, die Finanzmärkte demokratiekonform zu gestalten, sondern sich dem Ziel einer ’marktkonformen Demokratie’ unterwirft“, monierte er.
Enttäuscht zeigte sich auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und Euroskeptiker Klaus-Peter Willsch. „Ich hätte mir natürlich etwas mehr erwünscht“, sagte der Haushaltspolitiker im Sender n-tv. Es habe allerdings gehörigen medialen Druck auf die Verfassungsrichter gegeben. Er begrüße, dass die Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro völkerrechtlich auch bei der Ratifizierung hinterlegt werden müsse.
EU-Parlamentarier applaudieren nach Urteil
Mit langanhaltendem Beifall haben die Abgeordneten des Europaparlaments auf die Genehmigung des Euro-Rettungsschirms durch das Bundesverfassungsgericht reagiert. Parlamentspräsident Martin Schulz unterbrach am Mittwoch die laufende Debatte in Straßburg mit den Worten: „Das Bundesverfassungsgericht hat die Klagen abgelehnt, der Europäische Stabilitätsmechanismus ist zulässig“. Daraufhin applaudierten die Parlamentarier 20 Sekunden lang. Der grüne Fraktionsvorsitzende Daniel Cohn-Bendit rief in den Saal hinein: „Da haben wir ja schon eine erste gute Nachricht heute.“
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Dax: Neues Tageshoch nach Entscheidung zu ESM
Der Dax hat am Mittwoch nach dem Ja des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm bei 7410 Punkten den höchsten Stand seit Juli 2011 erreicht. Am Mittag behauptete der Leitindex noch ein Plus von 0,89 Prozent auf 7375 Punkte. Zuvor schon hatte das wichtigste deutsche Aktienbarometer neue Fahrt aufgenommen und alleine seit Monatsanfang mehr als 6 Prozent zugelegt. Für den MDax ging es am Mittag um 0,53 Prozent auf 11 244 Punkte hoch, der TecDax legte 0,38 Prozent auf 810 Punkte zu.
Der deutsche Aktienmarkt war am Mittwoch bereits freundlich in den Handel gestartet. Kurz vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm ESM legte der Leitindex DAX um 0,2 Prozent auf 7.321 Punkte zu. Schon am Dienstag hatte der DAX zugelegt. Er war mit einem Plus von 1,4 Prozent bei 7.310 Zählern aus dem Handel gegangen.
Die Vorgaben von den internationalen Märkte waren gut. An der New Yorker Wall Street hatte der Dow Jones am Dienstag um 0,5 Prozent auf 13.323 Punkte zugelegt. Der Technologieindex Nasdaq behauptete sich bei 3.104 Zählern. In Tokio kletterte der Nikkei in Erwartung eines positiven Entscheids der deutschen Verfassungsrichter am Mittwoch um 1,7 Prozent auf 8.959 Punkte. Der Euro legte leicht zu. Die Gemeinschaftswährung kostete am Morgen 1,2860 Dollar.
Mit Material von dpa und reuters