Heidi P., 64, muss Nachtschichten in einer Spielhalle in Horn machen, um mit ihrem Mann über die Runden zu kommen
Hamburg. Ihre Schicht in der Spielhalle beginnt immer um Mitternacht und dauert mindestens acht Stunden. Eigentlich sind es zwei Hallen mit jeweils einem Dutzend Geldspielgeräten. Die gemauerte Trennwand ist durchgebrochen worden. Der Betreiber hat dort einen erhöhten Rundtresen installiert, mit einem Getränkeautomat, einer Kaffeemaschine, einer Geldzählmaschine sowie zwei Wechselkassen, sodass Heidi P. immer ein wenig an einen Kapitän auf einer Brücke erinnert.
Die Stammgäste mögen sie, obwohl oder gerade weil sie ein strenges Regiment führt. Aber wenn ein Spieler nervt oder gar ausflippt, weil er mal wieder zu viel verloren hat, kriegt sie den Kerl innerhalb kürzester Zeit ruhig. Oder sie schmeißt ihn rigoros raus. Außerdem verzählt sie sich niemals, und keiner der Angestellten kocht angeblich einen besseren Kaffee. Sagt einer, der Helmut heißt und seit über 20 Jahren seine Freizeit hier verbringt.
Die Spielhalle liegt in Horn, wir dürfen sie nicht näher beschreiben, ihr Chef will das nicht. Aber er meint auch: "Ich beschäftige am liebsten Rentner. Die sind ehrlich und klauen nicht." Heidi ist nicht ihr richtiger Name. Obwohl sie keine Probleme damit habe zu erzählen, dass sie als Aufsicht in einer Spielhalle arbeitet. Na ja, wohl eher doch arbeiten muss, denn die ehemalige Verkäuferin, sie ist 64, leidet an Durchblutungsstörungen und ist daher bereits seit 15 Jahren Frührentnerin.
Wenn sie diesen Job nicht hätte, dann würden sie und ihr Mann noch sparsamer leben müssen, als sie es eh schon tun. Obwohl ihr Mann beinahe 37 Jahre lang als Malergeselle gearbeitet hatte, bevor seine Knie und Ellenbogen endgültig kaputt waren und seine Lungen auch. Wegen des jahrelangen Hantierens mit Lösungsmitteln. Und so hatte auch er sich vorzeitig aus dem Erwerbsleben verabschieden müssen.
"Komm mir bloß nicht mit Altersarmut in der Zukunft oder von was die jetzt immer reden", sagt Heidi in breitestem Hamburgisch. Und dann rechnet sie vor, was sie von Vater Staat bekämen: Gemeinsam erhielten sie jetzt 1239,83 Euro ausbezahlt. Dem gegenüber stehen ihre monatlichen Fixkosten: 689 Euro Miete warm für drei Zimmer plus Balkon, Strom 32 Euro, Wasser 23 Euro, Telefon und Fernsehen rund 50 Euro sowie zwei Handys für durchschnittlich 40 Euro. Zum Leben blieben ihnen also 405,83 Euro, wenn da nicht noch die 150 Euro wären, die sie aufgrund einer geschäftlichen Fehlinvestition monatlich an die Bank überweisen müssen.
"Als wir damals in Rente gehen mussten, wollten wir uns nicht langweilen und außerdem was fürs Alter zurücklegen", sagt Heidi, die ansonsten über ihren Versuch, sich selbstständig zu machen, eisern schweigt. "Es ist Lehrgeld", meint sie mit bitter-ironischem Unterton, "aber es kam wohl ein bisschen spät." 255,83 Euro für zwei Erwachsene im Monat. Für Essen und Trinken, für Kleidung, für Körperhygiene, für Zigaretten, für Busse und Bahnen und für die Freizeit.
Dazu die ständigen Arztbesuche - da tun selbst die zehn Euro Praxisgebühr pro Quartal richtig weh. "Ich weiß eigentlich nicht mal mehr, wie man das Wort Urlaub schreibt." Früher seien sie einmal im Jahr weggefahren, nichts Aufregendes, aber es sei schön gewesen, mal rauszukommen. Das könnten sie jetzt vergessen. "Im Grunde sind wir tatsächlich arm, aber wir fühlen uns nicht so." Sie arbeitet auf 400-Euro-Basis, aber der Stundenlohn ist miserabel. Er liegt unter dem Einstiegsgehalt bei McDonald's, aber immerhin bekomme sie einen Hauch mehr als die anderen Kräfte in der Spielhalle, die überwiegend aus dem Osten stammten.
Dafür schlägt Heidi sich bis zu zehn Nächte im Monat um die Ohren, kocht Kaffee für die Nachtspieler, die nicht schlafen können, ohne vorher zu verlieren, räumt Schmutz weg, macht die Kasse, füllt Süßigkeiten nach. Im Morgengrauen schwingt sie den Staubsauger und putzt Toiletten. Und die ganze Nacht hat sie das nervtötende Gedudel der Automaten im Ohr. Sie sei froh, dass seit dem 1. September nicht mehr in den Hallen geraucht werden darf. "Seitdem ist die Luft besser, und auch der Dreck hat nachgelassen."
Leider habe aber auch die Spendierfreudigkeit der Spieler nachgelassen. Wenn vor einiger Zeit einer mal richtig gewonnen hatte, konnte sie schon mal mit einem Zehner extra rechnen. "Nee", sagt Heidi, "die sind heute alle zugeknöpft. Und arm sein kannst du schon in jungen Jahren - sieh dir die Jungs doch an!" Das wirklich Blöde an der Armut im Alter sei bloß, dass sie wirklich ein Leben lang andauere. Auch dass sie von ihren Schulden jemals runterkommen werden, glaubt sie nicht. "Uns hat ein Schlaumeier mal geraten, Privatinsolvenz zu beantragen. Da habe ich ihn angeguckt und gefragt: 'Wie soll ich denn das bezahlen?'"